Les Salauds - Dreckskerle – Kritik

Verloren in der Nacht.

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Man kann sich die Handlung eines Films wie ein Seil vorstellen, an dem sich der Zuschauer langsam entlang hangelt. Was aber, wenn dieses Seil porös ist und immer wieder reißt? Dann fühlt man sich wie ein Taumelnder, der Halt sucht, aber nicht so recht weiß, woran er sich festhalten soll. Bei der französischen Regisseurin Claire Denis geht es einem mitunter so. Ihre Filme erzählen häufig keine klassischen Geschichten oder versuchen gar dem Publikum Bedeutung auf dem Silbertablett zu servieren, sondern vermitteln eher Gefühle, die zu unbestimmt sind, um sie mit Worten zu beschreiben. Sinnliche Werke wie Vendredi soir (2002) und Der Feind in meinem Herzen (L’intrus, 2004) sind Collagen aus Bildern, Klängen und Einzelmomenten, die jemanden, der alles, was auf der Leinwand geschieht, auch verstehen möchte, zwangsläufig frustrieren müssen.

Ihr erster digital gedrehter Film Les Salauds - Dreckskerle (Les salauds) stellt in dieser Hinsicht wieder eine besondere Herausforderung dar. Dabei steht im Mittelpunkt des Films eigentlich eine klassische Rachegeschichte. Der Seemann Marco (Vincent Lindon) besucht seine Schwester, deren Familie großes Leid erfahren hat: Sein Schwager hat Selbstmord begangen, und seine Nichte wurde nach einer besonders brutalen Vergewaltigung ins Krankenhaus eingeliefert. Die Ursache des Übels scheint ein reicher Geschäftsmann (Michel Subor) zu sein, mit dessen Geliebter (Chiara Mastroianni) Marco wiederum eine Affäre beginnt.

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Auf dem Papier liest sich alles durchaus schlüssig, Denis ist jedoch keineswegs daran interessiert, eine leicht aufzulösende Geschichte zu erzählen, sondern spielt lieber mit einzelnen Motiven und Auslassungen. Viele Informationen, die für ein umfassendes Verständnis der Handlung vonnöten wären, behält sie für sich. Passend zu ihrem Plot hat sich Denis einen Protagonisten ausgesucht, der eine typische Figur des Genrekinos ist: ein schweigender Einzelgänger mit mysteriöser Vergangenheit. Genau genommen trifft diese Beschreibung aber auf fast alle Figuren in Les Salauds zu. Geheimnisse und Beweggründe werden konsequent hinter den vieldeutigen Gesichtsausdrücken der Darsteller versteckt, die immer wieder in Großaufnahmen eingefangen werden. Tatsächlich zählen die unergründlichen Gesichter zu den faszinierendsten Elementen des Films. Allein schon Vincent Lindons Züge: vom Leben gezeichnet, gewalttätig und zart, entschlossen und ziellos. Oder Lola Créton, die als Tochter der schicksalsgebeutelten Familie die verstörendste Rolle des Films verkörpert. Nur mit Stöckelschuhen bekleidet und ins Leere blickend, läuft sie eine nächtliche Straße entlang, während Blut ihre Schenkel herunterläuft: die morbide Version einer Helmut-Newton-Fotografie.

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Und dann ist da noch der Titel, bei dem nie ganz klar wird, wer damit gemeint ist. Im Grunde genommen könnten alle Figuren mit ihren moralisch fragwürdigen Handlungen Dreckskerle sein, Denis verwehrt einem aber konsequent die Sicherheit des Konkreten. Alles bleibt Vermutung, nichts lässt sich mit Sicherheit sagen. Selbst der dämonische Geschäftsmann Laporte, der eigentlich den klassischen Bösewicht gibt, bleibt ungreifbar. Er ist überall involviert, in welcher Form, bleibt aber ebenso unklar wie seine genaue Beteiligung am Selbstmord von Marcos Schwager und an der Schändung seiner Nichte. Eigentlich ist das aber auch egal, weil sich Denis ohnehin nicht für moralische Wertungen interessiert, selbst bei den drastischsten Szenen. Wenn eine Regisseurin Gewalt gegen Frauen inszeniert, dann geschieht das meist aus zwei Gründen: Entweder, um diesen Akt zu rächen, oder um ihn als Mittel einer sozialkritischen Botschaft zu nutzen. Das Faszinierende bei Denis ist dagegen, dass sie sich von solchen Ereignissen ganz distanziert. Sie belässt die Dinge unbehandelt und fordert ihr Publikum damit indirekt auf, einen eigenen Weg zu finden, damit umzugehen.

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Les Salauds lässt sich insbesondere dann genießen, wenn man nicht zwanghaft nach Antworten sucht und sich dem Film auf einer abstrakteren Ebene nähert. Denn besonders als ästhetische Erfahrung ist er in jedem Fall lohnenswert. Wie Verlorene taumeln Denis’ Figuren durch die Nacht und gehen damit eine Allianz mit dem Zuschauer ein, der sich ein wenig hilflos in diesem Reich der Dunkelheit zurechtfinden muss. Die an- und abschwellenden Synthesizerakkorde der diesmal mit elektronischen Mitteln operierenden Stammband Tindersticks sowie die düsteren Bilder von Agnès Godard erschaffen eine traumähnliche Stimmung. Erotische und gewalttätige Begegnungen sind zu sehen, ein ständiges Suchen erkennbares Ziel. Gerade in solchen kontemplativen Momenten vermittelt Denis vor allem ein Gefühl. Wenn es plötzlich keinen Halt mehr gibt für uns, die immer nach Bedeutung suchen, bleibt nur ein Ausweg: Man muss die Orientierungslosigkeit als Zustand zu schätzen lernen.

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