Tandem - In welcher Sprache träumst du? – Kritik
Claire Burger hat einen in jeder Hinsicht europäischen Film gemacht. Tandem - In welcher Sprache träumst du? ist immer dann am stärksten, wenn das deutsch-französische Familien- und Kulturendrama nur Aufhänger für die Teenager Fanny und Lena ist, auszureißen und alleine zu sein.

Die erste Begegnung findet per Mail statt, die zweite erst einmal gar nicht. Lena (Josefa Heinsius) ist nicht mit zum Bahnhof gekommen, um ihre französische Austauschschülerin Fanny (Lilith Grasmug) abzuholen. Fanny möchte jemand anders sein, raus aus ihrem von Mobbing und zwar liebenden, aber immer nur auf dem Sprung anwesenden Eltern, raus aus ihrer eher schüchternen Haut, und kommt nach Leipzig, ohne so ganz zu wissen, was sie sich dabei gedacht hat. Zwischen den beiden Mädchen herrscht nur auf der Oberfläche zu Beginn eine kühle Atmosphäre. Lena artikuliert ihr Desinteresse, aber ihr Gesicht und ihr Körper können nicht verstecken, dass sie etwas an Fanny interessiert. Um sie herum herrscht familiäres Erwachsenenchaos, das neben gegenseitigem Missverständnis auch eine zu viel Wein trinkende Mutter und ein nicht ganz stabiles Elternpaar mit sich bringt. Am Mittagstisch sitzt schließlich noch ein rassistischer Opa. Die Konstruktion des Films als Erzählung zweier Reisen ist dabei sehr geschickt gebaut. Sie lässt den Film im Prinzip in der Mitte noch einmal von vorne beginnen, aber mit einer verschobenen Ausgangssituation. Tandem - In welcher Sprache träumst du? verortet sich in einer aktuellen, dezidiert deutschen, bzw. später dann französischen Situation, weiß allerdings nicht so richtig damit umzugehen.
Die Treppe der deutsch-französischen Freundschaft hinauf
Claire Burger hat einen in jeder Hinsicht europäischen Film gemacht. Bereits im Vorspann leuchtet das Arte-Logo auf, diverse Gelder aus Deutschland und Frankreich haben die Produktion ermöglicht, mitten im Film tauchen die beiden Hauptfiguren im EU-Parlament auf und steigen die Treppe der deutsch-französischen Freundschaft empor. Auch die beiden Familien sind etwas sehr offensichtliche Metaphern für das deutsch-französische Verhältnis. Der Versuch, dieses Verhältnis ins Private zu übertragen, sorgt dafür, dass Burgers Film bisweilen überfrachtet wirkt und seine Bilder zu sehr normiert und einhegt. Diese Bilder und ihre Ästhetik ächzen darunter, deutsch-französisch sein zu müssen und damit in eine Art kulturellen und historischen Diskurs eingebunden zu werden, dem sich der Film zwar durch die Fokusverlagerung in die jugendliche Perspektive zu entziehen versucht, aber deren Schwere sie nie so ganz ablegen können. Kohl/Mitterand Verdun 1982, die deutsch-französische Freundschaft.
Die Affekte übernehmen den Film
Tandem ist immer dann am stärksten, wenn das ganze Familien- und Kulturendrama nur Aufhänger für die beiden Hauptfiguren ist, auszureißen und alleine zu sein. Das Gefühl, dass die jeweils andere etwas ähnlich verspürt wie man selbst, bringt sie dazu, einander immer näherzukommen. Diese gegenseitige Anziehung führt dazu, dass Fanny sich immer mehr fiktive Geschichten ausdenkt, um auf Lena genauso interessant zu wirken, wie sie selbst gerne wäre. Fanny kann in Lenas Anwesenheit von einer Außenseiterin zu einer Linksradikalen werden. Die beiden finden einander auch deshalb so anziehend, weil sie in der Gegenwart des Anderen erkennen, wie es auch sein könnte. In diesen Momenten übernimmt der Film die Perspektive der beiden und lässt den ganzen Erwachsenenkram zum Hintergrundrauschen werden. Dann ist er nah an anderen jungen Filmen aus den letzten Jahren wie Jonja (2023, Anika Mätzke) oder The Sky Is Everywhere (2022, Josephine Decker), die die Gefühle ihrer jugendlichen Protagonistinnen in filmische Affekte verwandeln, die den ganzen Film übernehmen. Lena und Fanny übernehmen das Bild.
So bekommt Tandem auch etwas Politisches gegriffen. Hier geht es um eine Generation, für die Politik wichtig ist, die diese aber zugleich nicht so wirklich greifen kann. So liegt das Politische darin, erst einmal etwas zu wollen, auszuprobieren, wie es wäre, wenn es nicht so wär’. Der Polit-Kitsch, mal abgesehen von der letzten Szene, bleibt als unbestimmter Hintergrund eher szenische Oberfläche, etwas, dem sich die beiden annähern und verbunden fühlen, aber das sie nicht richtig bestimmen können und auch nicht müssen. Ob Renten- oder Klimademo, ist erst einmal egal, das Wichtige ist die Vorstellung einer anderen Welt, fernab von Erwachsenen, Bürgertum und allem Autoritären. Auch die Liebe der beiden, die in einer wunderschönen Szene das einlöst, was die beiden (sehr toll: Lilith Grasmug & Josefa Heinsius) den ganzen Film über am Körper und an den Bewegungen der jeweils anderen gespürt und erahnt haben, endet nicht in einer romantischen Beziehung, sondern in einem Abschiedskuss am Bahnhof und Tränen im TGV. Am Ende sind es diese Bilder, die von einem Film bleiben, der manchmal ein wenig zu viel ans EU-Parlament denkt, aber das Herz am richtigen Fleck trägt.
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