Lange Beine – lange Finger – Kritik
1966 – Papas Kinos bebt (1): Von wegen weltoffener Neuer Deutscher Film. Alfred Vohrer hat eine Gaunerfantasie mit bonbonbunten Dekors, durchgeknallten Garderoben und einem sympathischen Sinn für Artifizialität gedreht. Nicht zuletzt zeigt sein Film, wie internationalisiert das bundesdeutsche Filmschaffen damals war.

Dodo (Senta Berger) klaut reichen Damen die Perlen vom Hals. Im Film wird das als denkbar simpler Spezialeffekt inszeniert: Dodo schiebt sich zwischen die Kamera und ihr Opfer, und wenn sie Letzteres wieder dem Publikumsblick freigibt, ist die sauteure Halskette verschwunden. Der vorher eng behängte Hals bleibt nackt zurück. Obszön fast – das ist durchaus ein intimer Übergriff. Dodo aber eilt zu ihrem Vater und Komplizen, einem alternden Baron (Martin Held), dem man schon an Kinnbart und Sonnenbrille den unsteten Lebenswandel ansieht.
Zu Beginn residieren beide in einem luxuriösen Feriendomizil, wo sich auch der Modedesigner Emilio Gavin (Hanns Lothar) und der Anwalt Robert Hammond (Joachim Fuchsberger) aufhalten. Gavin stolziert, von drei stets großartig im Partnerlook ausstaffierten Models begleitet, durch die Gegend, kultiviert eine „Sexualneurose“ (gemeint ist offensichtlich Homosexualität; Lange Beine – lange Finger (1966) ist ein Film, in dem alle immer kurz davor sind auszusprechen, was sie wirklich denken, es dann aber doch nicht ganz tun) und möchte Dodo anwerben; Hammond hat es ebenfalls auf die schöne Diebin abgesehen, sieht in ihr aber eher die potenzielle häuslich gebändigte Ehefrau und Mutter seiner zukünftiger Kinder.
Flirtender Charmeur und maßregelnder Alpha-Mann

Dodo findet an dieser Idee ebenfalls Gefallen. Aber es gibt einen Unterschied: Wo sie das tugendhafte Familienleben dem mit lesbischen Untertönen veredelten Glamourganoventum aus bloßen Geschmacksgründen vorzieht, wie als würde es um die Frage gehen, ob sie zum nächsten Empfang ein rotes oder ein blaues Abendkleid anziehen soll, braust Robert Hammond moralisch entrüstet auf, wenn er sie leicht bekleidet auf der Titelseite einer Zeitung entdeckt. Fuchsberger hat eben stets und manchmal gleichzeitig beides drauf: den mit eleganter Zielstrebigkeit flirtenden Charmeur und den mit gepresster Stimme und verhärteten Gesichtszügen maßregelnden Alpha-Mann. Diesen übergriffig erzieherischen Tonfall, den das deutsche Kino der 1950er und 60er nur allzu oft befällt, wenn junge, einigermaßen eigensinnige und sexuell halbwegs selbstbestimmte Frauen im Bild auftauchen, wird auch Lange Beine – lange Finger nicht ganz los.

Aber es dominieren zum Glück andere Tonarten. Für den Regisseur Alfred Vohrer, der Mitte der 1960er fast komplett auf Edgar-Wallace-Verfilmungen (und gelegentliche Karl-May-Nachzügler) spezialisiert war, dürfte das Projekt eine willkommene Abwechslung gewesen sein: eine im Ganzen überschaubar originelle, aber im Kleinen spielerische und hinreichend dynamisch inszenierte Gaunerfantasie, die von bonbonbunt stilisierten, oft fast surreal ausladenden Dekors, durchgeknallten Garderoben, bizarren Frisuren, allgemeiner von einem sympathischen Sinn für offensive Artifizialität lebt, der sich bereits im Umgang mit den Schauplätzen niederschlägt: Die Handlung verlegt sich bald von einem nicht genauer lokalisierten exotischen Setting (die Außenaufnahmen entstanden in Israel) nach London, gedreht wurde allerdings in Berlin. Wikipedia schlüsselt das exakter im Stil einer zweiten Stabsliste auf: Der Flughafen Tempelhof spielt Heathrow, das Schloss Charlottenburg das Palais der Französischen Gesandtschaft, die Parkanlage Klein-Glienicke die Villa Hammond.
Komplett internationalisiertes Filmschaffen

Das ist ein Aspekt, den die geläufige Filmgeschichtsschreibung, die das miefig-provinzielle Kommerzkino dem weltoffenen Neuen Deutschen Film gegenüberstellt, übersieht: Tatsächlich waren weite Teile des bundesdeutschen kommerziellen Filmschaffens jener Zeit komplett internationalisiert. Artur Brauner, der Produzent von Lange Beine – lange Finger, war allein im Jahr 1966 mit seinen diversen Filmprojekten nicht nur in der BRD, sondern auch in Jugoslawien, Israel, Italien, Spanien, Hongkong, Island (!) und der Schweiz aktiv. Senta Berger stand ein Jahr vorher für Sam Peckinpah vor der Kamera. Und Robert Hammonds Vater wird vom britischen Star James Robertson Justice verkörpert.

Das alles macht aus dem gerade in den offensichtlicher satirischen Szenen recht behäbigen Lange Beine – lange Finger natürlich noch keinen kosmopolitischen, noch nicht einmal einen besonders modernen Film. Aber es relaxt ihn, macht ihn toleranter für kleine Differenzen (Roberts freche Schwester Sarah Hammond zum Beispiel wird sich sicherlich nicht so leicht zähmen lassen wie Dodo), auch durchlässiger für Abschweifungen und albernen Unfug. In einer Szene zelebriert Vohrer das Zielschießen auf bunte Glaskugeln als reines, der Narration komplett enthobenes Formenspiel; Dodo kultiviert derweil einen Perückenfetisch, und immerhin ein Papagei darf gleich zweimal das Wort „Scheiße“ artikulieren. So hat jeder seinen Spaß. Am Ende vielleicht sogar Fuchsberger.
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Kommentare
Tobias Sunderdiek
Über Papas Kino und die internationalen Co-Produktionen gibt essogar eine wissenschaftliche Arbeit.
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