Kusswechsel – Kein Vorspiel ohne Nachspiel – Kritik

Von trotteligen Männern und gnädigen Frauen: Fausto Brizzi spielt einmal mehr die ermüdenden Klischees des Kampfes zwischen den Geschlechtern durch.

Kusswechsel 08

Schon die Eingangsszene ist Programm: Beim Sportunterricht stehen sich Mädchen und Jungen gegenüber, in der Mitte die Lehrerin Valentina (Francesca Inaudi), die „Männer gegen Frauen“ (so der italienische Originaltitel) in einem Rennspiel gegeneinander antreten lässt. Valentina hat ihrem trotteligen Freund Rocco (Ficarra) den Job als Schulhausmeister verschafft, doch dieser tauscht lieber Fußballsticker mit den Kindern, als sich um seine Aufgaben zu kümmern. Nach wiederholtem Streit wird Rocco vor die Tür gesetzt. Als einer der Grundschüler ihn um Hilfe beim Verfassen eines Liebesbriefs bittet, lässt er seiner Wut freien Lauf, und der romantische Brief verwandelt sich in den Händen des in seinem Stolz verletzten Rocco in eine Anklage an die Frauen: dass sie ihre Männer nicht akzeptieren können und sich selbst für unfehlbar halten. Leider dominieren die Klischees der Geschlechterdifferenz nicht nur den kindlichen Liebesbrief, sondern auch die restliche Handlung von Fausto Brizzis Episodenfilm Kusswechsel – Kein Vorspiel ohne Nachspiel (2011). Genüsslich bedient sich der Regisseur herrschender Vorstellungen über den ewigen Kampf zwischen Weiblein und Männlein und erschafft daraus eine klamaukige Collage.

Kusswechsel 06

Die weiteren Plots darin: Rocco muss bei Freund Michele (Picone) Unterschlupf nehmen, dessen Frau nicht erfahren darf, dass beide noch immer in einer mäßig erfolgreichen Beatles-Cover-Band spielen. Paola (Nancy Brilli) und Marcello (Claudio Bisio) sind längst geschieden, müssen sich aber noch einmal zusammenraufen, um Marcellos herzkranker Mutter Clara (Wilma De Angelis) für ihre letzten Wochen ein idyllisches Familienleben vorzugaukeln. Schließlich erleidet Piero (Emilio Solfrizzi) durch eine Gehirnerschütterung eine seltene Form von Amnesie – seine letzte Erinnerung ist die an seinen Abschlussball. Pieros Frau Anna (Luciana Littizzetto) nutzt die Schwäche ihres vor dem Unfall nicht gerade romantischen Gatten zu einer Umerziehungskur und redet ihm ein, dass er Fußball hasse, ein vorzüglicher Hausmann sei und sie regelmäßig mit stundenlangem Sex befriedige. Die Kur nimmt ihr jähes Ende, als Pieros Kumpel den verlorenen Sohn wiedertreffen und ihn über seinen „eigentlichen“ Charakter aufklären.

Kusswechsel wird nicht zuletzt mit dem Großaufgebot an italienischen Comedy-Stars wie dem beliebten Duo Ficarra & Picone beworben, die den Film in Italien auf den ersten Platz der Box-Office-Charts gehievt haben. Hierzulande dürfte sich ein solcher Erfolg kaum wiederholen. Selbst die in einigen Szenen angelegte Situationskomik schlägt bei Brizzi zu häufig in Albernheiten um. Laden einige originelle Ideen anfangs noch zum Schmunzeln ein, kosten die Darsteller diese so lange aus, bis das komödiantische Potenzial sich vollends erschöpft hat.

Kusswechsel 01

Ausgerechnet im eigentlich plattesten Motiv des Films steckt aber das interessanteste Moment. Denn nicht zuletzt vereint Brizzi in seinem Film zwei tendenziell widersprüchliche Vorstellungen von Männlichkeit – eine offenkundige gesellschaftliche Notwendigkeit: Damit sowohl das romantische Familienideal als auch die herrschenden Klischees einer natürlichen Geschlechterdifferenz erhalten bleiben, muss Annas Wunschbild des fürsorglichen Gatten mit den Anforderungen von Pieros Männerclique vereinbar sein. Pieros Gedächtnisverlust setzt die wirkende Hegemonie kurzzeitig außer Kraft, seine Heilung lässt dafür umso deutlicher die Subjektivierungsformen unserer Gesellschaft hervortreten: Der zwischen Romantik und Machismo wandelnde Männer-Hybrid, der sich seiner Männlichkeit stets rückversichern muss und trotzdem die große Liebe zu beschwören hat, darf nicht als zerrissen, sondern muss als normal erscheinen – und geliebt werden.

Kusswechsel 05

Kusswechsel verschreibt sich ganz und gar dieser Mission. Brizzi meint es gnädig mit den Schwächen, Ritualen und Sexismen der Männer, die er nicht problematisiert, sondern als liebenswerte Macken verkauft. Weil die Frauen ihren Männern den Machismo nun mal nicht verbieten können, nehmen sie ihn augenzwinkernd hin und beschränken sich auf die Forderung nach Fairness: etwas häufiger den Abwasch erledigen, die Affäre beenden und aufs Neue ewige Treue schwören – und schon ist ihnen verziehen, der Liebe wegen, die am Ende natürlich stärker ist als die hier verhandelten Kleinigkeiten. Männer sind so, nehmen wir das alles nicht so ernst und machen lieber lustige Filme draus. Somit ist Kusswechsel mal wieder ein starkes Beispiel für eine Unterhaltungsindustrie, die den „ewigen“ Kampf der Geschlechter stets mit Freuden durchspielt, um ihn am Ende im immer gleichen Happy End aufzulösen. Die Romantik zähmt die Gesetze der Geschlechterdifferenz, schreibt diese aber gleichsam fest und ist somit nicht mehr als ihre Fortsetzung mit anderen Mitteln.

Dem von Rocco verfassten Liebesbrief für das namenlose Schulkind ergeht es übrigens ähnlich. So ist es Großmutter Clara, die verhindert, dass der kleine Junge ihn der Verehrten übergibt. Sie schreibt kurzerhand einen neuen, romantischeren Brief, verweigert damit aber ebenso wie Rocco dem noch nicht in den herrschenden Codes geübten Kind eine eigene Sprache. Schon ein vermeintlich kindlicher Ausdruck von Zuneigung wird so zum Spielball gesellschaftlicher Vorstellungen von Geschlecht und Liebe – die nicht zuletzt durch erfolgreiche Beziehungskomödien wie diese reproduziert werden. So herrscht am Ende zwar Waffenstillstand, doch dürfte das Kino noch lange nicht genug haben vom Kampf der Geschlechter.

Neue Kritiken

Trailer zu „Kusswechsel – Kein Vorspiel ohne Nachspiel“


Trailer ansehen (1)

Neue Trailer

alle neuen Trailer

Kommentare

Es gibt bisher noch keine Kommentare.






Kommentare der Nutzer geben nur deren Meinung wieder. Durch das Schreiben eines Kommentars stimmen sie unseren Regeln zu.