Kung Fu in Rome – Kritik

Teils direkter und unnachgiebiger Actionklopper, teils mäandernde Tragikomödie, deren Hauptfigur gerne Pasta kocht. Gabriele Mainettis Kung Fu in Rome ist hochgradig sympathisches italienisches Genrekino in guter alter Hongkong-Tradition.

Die deutschen Titel, die Verlage und Verleiher nichtdeutschen Büchern und Filmen geben, besitzen zuweilen eine faszinierende Qualität. So benennen sie den zentralen Oberflächenreiz eines Werks punktgenau, blenden dabei aber die poetischen Implikationen des Werks völlig aus.Beispielsweise heißt ein Roman Philip K. Dicks im Deutschen pragmatisch Eine andere Welt. In diesem erwacht der Protagonist in einer Welt, die der seinen in allem gleicht, nur ihn hat es nie gegeben. Der Originaltitel lautet dagegen Flow My Tears, the Policeman Said. Neben der Handlungsebene bietet das Buch nämlich noch eine Meditation über den Umgang mit Emotionen. Beide Titel vernachlässigen eine Dimension des bezeichneten Werks, und treffen es doch – gerade im Zusammenspiel, da sich zwischen diesen beiden Polen alles aufspannt.

Intensität der Gewalt, Kinetik der Bewegung

Gabriele Mainettis neuer Film hat in Deutschland den Titel Kung Fu in Rome (2025), womit die wichtigsten Elemente auch schon genannt sind. Mei (Yaxi Liu) sucht ihre ältere Schwester Yun, die von chinesischen Triaden prostituiert wird. Schnell ist klar, dass Mei vor nichts Halt macht, bevor Yun nicht gerettet und gerächt ist. Kaum hat der Film begonnen, schlägt sie sich schon durch einen enormen Kellerraum, einen Puff und eine Küche, durch ein Meer aus Schergen – mit Kung Fu.

Arm- und Kniegelenke werden, über den ganzen Film verteilt, durchgetreten. Arme und Gesichter mit Käsehobeln geraspelt, Leute mit Rosen gepeitscht − wobei Kamera und Schnitt nicht das Durcheinander akzentuieren, sondern die Intensität der Gewalt und die Kinetik der Bewegung: In guter, alter Hongkong-Tradition ist die Action ein filmisches Ballett, in dem der Zuschauer im besten Fall jeden Aufprall, jeden Schnitt, jeden Stich zu spüren bekommt. Kung Fu in Rome ist darin so gewandt, dass es schwer zu glauben ist, dass es eine rein italienische Produktion ist.

Plötzlich in Rom, dem gallischen Dorf der italienischen Mafia

Bis Mei nach besagter erster Schlacht aus dem Restaurant schnellt, wird uns vermittelt, dass sie sich in China befindet. Die kalkulierte Überraschung ist nun aber, dass sie in Rom auf die Straße tritt, wo sie zwischen ihren diversen Auseinandersetzungen auch eine kleine Tour zu allen zentralen Sehenswürdigkeiten unternehmen wird. Auch trifft sie auf Koch Marcello (Enrico Borello), dessen Vater zusammen mit Yun verschwunden ist und der sich auf seine ganz eigene Art mit der, hier italienischen, Mafia rumschlagen muss.

Implizit sagt uns ein Titel wie Kung Fu in Rome, dass dies kein ernstes Drama sei, sondern ein unterhaltsamer Film. Die italienische Mafia sitzt in Form des alten Capos Annibale (Marco Giallini) jeden Abend bei Marcello im Restaurant und federt mit ihrem den Film auflockernden Dampfplappern Meis Racheplot und Marcellos Familienzusammenbruch ab – selbst oder gerade, wenn Annibale sich dabei notorisch in nationalistischen Tiraden verrennt. An einer Stelle vergleicht er Rom mit dem gallischen Dorf von Asterix und Obelix, das sich als letzte Bastion gegen die Überfremdung und konkurrierende Mafias zur Wehr setzen muss.

Viele Welten. Wer ist drinnen, wer ist draußen

Besser als das „in“ im Titel wäre ein „and“. Bleiben die Welten von Mei und Marcello trotz aller Berührungspunkte doch säuberlich getrennt. Die Genres, für die sie stehen, könnten auch unterschiedlicher kaum sein. Hier der direkte, unnachgiebige Actionklopper. Dort die mäandernde Tragikomödie, deren Hauptfigur die Augen vor den eigenen Problemen verschließt und lieber Pasta kocht. Marcellos Drama entfaltet sich nur langsam; die Wirklichkeit seines Lebens muss sich erst zu ihm vorkämpfen. Mainetti findet für die partielle Verdrängung der Lebensumstände seines Protagonisten ein kompaktes Bild: Der alte, kauzige Annibale ist in Marcellos Restaurant willkommen. Seine nur Ärger versprechenden Bodyguards nicht. Und doch wollen sie einfach nicht draußen bleiben.

Diejenigen Aspekte des Films, die der deutsche Verleihtitel Kung Fu in Rome nicht einfängt, finden sich im italienischen Originaltitel La città proibita, die „Verbotene Stadt“. Diese Bezeichnung für die vormalige Residenz der chinesischen Kaiser, zu der die einfache Bevölkerung keinen Zugang hatte, benutzt Mainetti als Metapher für die Ambivalenz Roms. In den krankhaften Schimpftiraden und Wunschvorstellungen des alten, überlebten Mannes in Marcellos Restaurant ist Rom eine Stadt, die für Nichtitaliener geschlossen sein sollte. Für den multikulturellen Melting Pot aus arabischen Händlern und Gehilfen, afrikanischen Flüchtlingen in schäbigen Schlafsälen und erwachsenen Kindern chinesischer Immigranten, die sich für ihre Herkunft schämen und ihre Popmusik auf Italienisch singen, ist Rom als „Verbotene Stadt“ Realität; ein Ort, an dem sie sind, ohne dazu zu gehören. Auch das Multikulturelle ist voller Trennungen.

Dem über zwei Stunden langen Film raubt sein inneres Durcheinander ein wenig von seiner Schlagkraft. Aber dafür ist er mit seinem Konzept hochgradig sympathisch. Sichtlich geht es Mainetti dabei auch darum, ein eigenes italienisches Genrekino abzuliefern und der Durchsetzungskraft Hollywoods zu trotzen, die seit nunmehr 50 Jahren die lokalen Filmkulturen weltweit ins Hintertreffen bringt. Mit Kung Fu in Rome gelingt ihm ein erfrischender und origineller Beitrag zu einer ganz eigenen Kultur, die sich gerade nicht abriegelt. Einzig das mit dem grellen, veralteten Orange-Grün-Colorgrading könnte er sein lassen.

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