Krieg oder Frieden – Kritik
Elfi Mikesch sucht am ehemaligen Militärstandort Wünsdorf nach Utopien für eine Zeit nach Kriegen. Krieg oder Frieden holt Gegenwart und Geschichte des Ortes ins Bild, denkt viel über Gewalt nach, windet sich um ein paar Fragen aber auch herum.

Die Munitionsräumung der Wälder um den Standort Wünsdorf würde wohl mehrere Milliarden Euro kosten, erzählt der Wünsdorfer Militärhistoriker Hans-Albert Hoffmann. Im Sommer könnte der rumliegende Sprengstoff explodieren, wenn in Brandenburg wieder Waldbrände auftreten. Mit finanzieller Unterstützung rechnet er trotzdem nicht. Die Skepsis des 70-jährigen, der sich selbst als voll arbeitenden Rentner beschreibt, ist verständlich. In den letzten Jahrzehnten sind zahlreiche Pläne für den Ort entstanden: Beamtenstadt Wünsdorf, Gewerbestadt Wünsdorf, Rehaklinik, Sportstadt, Luxushotel im ehemaligen Quartier des Oberbefehlshaber. Doch all diese Projekte wurden wieder verworfen und die Gebäude stehen seit dem Abzug der Sowjetarmee weiterhin größtenteils leer.
Die Wunden der Vergangenheit

Hoffmanns Hauptgesprächspartner in Elfi Mikeschs Film Krieg oder Frieden ist der 80-jährige Architekt und Siedlungsplaner Ekhart Hahn. Das Team um Hahn will Wünsdorf zu einer Stadt der Zukunft wandeln. Nachhaltigkeit und Bildung stehen dabei im Zentrum. Dafür sollen die bestehenden Gebäude umgebaut werden und etwa Unterkünfte und Arbeitsstätten für Geflüchtete entstehen. Die grüne Mitte bildet das Herz der Stadt. Damit wird auch die symbolische Funktion des Umbaus angesprochen: die Wunden der kriegerischen Vergangenheit heilen.

Vorbereitungen für Krieg gingen von diesem Ort vielfach aus. Als Standort des preußischen Heers, der Wehrmacht und der Roten Armee. Die Geschichte der zuletzt stationierten Soldaten ist noch am sichtbarsten vor Ort und auch im Film. Wir sehen leere Flure, einen verlassenen Saal mit Klappsitzen und Bühne, der Hausmeister zeigt eine sowjetische Wandmalerei. Immer wieder werden auch abstrakte Inszenierungen von Menschen an diesen Orten einmontiert, die aus Mikeschs Filmprojekt Gefährliche Orte von 1994 stammen. In Schwarz-weiß mit hohen Kontrasten und schrillen Klängen soll die Gewalt spürbar werden, die von diesem Ort ausging.

Ausschnitte aus einem anderen Film, Philip Scheffners The Halfmoon Files (2007), lassen die koloniale und rassistische Ebene der deutschen Armee kurz anklingen: Das sogenannte Halbmondlager in Wünsdorf wurde mit einer Moschee für muslimische Kriegsgefangene 1915 gebaut. Auch Auszüge aus der aktuellen Berichterstattung über Wünsdorf tauchen immer wieder im Film auf, der mit seinen Wechseln zwischen diesen Ebenen irgendwo zwischen Filmessay und Reportage verortet werden kann.
Lost-Places-Ostalgie

Krieg oder Frieden droht an manchen Stellen, zu einer Art Lost-Places-Ostalgie zu werden. Etwa wenn das Klatschen des Publikums aus Videoaufnahmen eines Konzerts für sowjetische Soldaten sich in Bilder des heutigen verfallenen Gebäudes erstreckt. Oder wenn ein Künstler voller Elan von seiner schaurigen, aber schönen Begegnung mit einer lila glänzenden Öllache neben einem überwachsenen Panzer im Wald erzählt. Die poetische Verknüpfung von Schönheit und Morbidem lässt den militärischen Ort verwunschen und eher losgelöst von der wirklichen Gewalt erscheinen.

Während des Filmdrehs 2022 fand der groß angelegte Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine statt. Eva Mattes, die sich für den ökologischen Umbau von Wünsdorf einsetzt, beschreibt ihr Dilemma als Pazifistin in einer solchen Situation. Sich nicht zu wehren hieße einfach aufgeben. Mit dem 17-jährigen jüdischen Partisanen Moshe Szniecki, der gegen die Nazis im heutigen Belarus kämpfte, setzt der Film ein Beispiel für gewaltvollen Widerstand. Doch noch eher als sich damit auseinanderzusetzen, was Frieden bedeutet, widmet sich Krieg oder Frieden dem Krieg und seinen Auswirkungen. So wird etwa der junge Drohnenpilot des Filmteams Konrad nach seinen Vorstellungen zur Stationierung in Wünsdorf befragt. Er spricht auch die Schlussworte des Films, dass Frieden nicht erlernt, sondern Gewalt und Ignoranz verlernt werden müssten.

Aber wo und wie beginnt Gewalt, und welchen Begriff machen wir uns von ihr? Um diese wichtigen Fragen windet sich der Film eher. Und auch wenn der ehemalige DDR-Offizier Hoffmann vom Ideal der Sowjetarmee zur Friedenssicherung sprechen darf, wirft er gerade in Anbetracht anhaltender Konflikte über postkoloniale Selbstbestimmung im post-sowjetischen Raum eher neue Fragen auf: Zählen bloße Gewaltandrohung und eine umfassende Indoktrinierung schon zu den Methoden des Friedens? Ist das schon Ignoranz?

In Zeiten, in denen eine neue Kampfdrohne günstiger als viele neue Fahrräder ist, schildert Krieg oder Frieden aber durchaus eine wichtige Perspektive. An vormals militärischen Orten kann auch wieder Leben ohne Krieg einziehen. Für eine zivile Umnutzung können vielleicht sogar ökologische, lebenswerte Städte daraus werden. Dafür müsste die Kriegskultur aber erst enden. Wie das passieren kann, muss ungewiss bleiben.
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