Knives and Skin – Kritik

Eine Schülerin verschwindet, ein T-Shirt spricht, eine Leiche singt. Auch in ihrem Langfilmdebüt vertraut Jennifer Reeder ihrer erstaunlich eigenwilligen Handschrift. Knives and Skin ist eine surreale Coming-of-Age-Komödie, die uns jede Sicherheit raubt.

Eigentlich ist alles wie immer in High-School-Filmen: Die Jugendlichen freuen sich auf den Abschlussball, knutschen auf dem Autorücksitz, sammeln erste sexuelle Erfahrungen – und wollen so schnell wie möglich weg aus der Kleinstadthölle, in der sie gefangen sind. An und für sich ist Knives and Skin also ein typisch amerikanischer Coming-of-Age-Film. Bis auf das sprechende Tiger-Shirt vielleicht. Und die singende Leiche. Und das Mädchen, das benutzte Unterwäsche an den Schulrektor verkauft. Und die seltsamen Dialoge, und das künstliche Licht, und die eindringlichen Choräle, und die entrückte Atmosphäre, und die spacigen Klamotten, und überhaupt.

Produktive Irritationen

In Jennifer Reeders Spielfilmdebüt geht es vordergründig um das Verschwinden einer Schülerin und den Umgang der Kleinstadtbevölkerung mit diesem Verlust. Die Polizei sucht nach dem Mädchen, die Mutter probiert es zusätzlich auf eigene Faust – oder, in einer der vielen kuriosen Szenen, auf eigene Nase. Ansonsten geht der Alltag weiter: Der Schulchor übt für den Prom-Auftritt, das Football-Team und die Cheerleader trainieren fürs nächste Spiel, die Erwachsenen pflegen ihre Eheprobleme und Depressionen.

Die Regisseurin macht aus all dem jedoch kein Drama, sondern eine absurde Komödie, die sich ständig auf irritierende Weise den Erwartungen entzieht. Der Film arbeitet nicht mit großen Twists, sondern mit lauter kleinen Realitätsverzerrungen: etwa wenn ein Junge im Biber-Kostüm auf dem Schuldach steht, aber ganz andere Intentionen hat als herunterzuspringen. Wenn Mädchen in Sci-Fi-Gewändern zur Schule gehen, plötzlich zu singen beginnen und in einer von mehreren großartigen Chor-Szenen per Untertitel miteinander tuscheln, während sie gleichzeitig weitersingen. Auch beim Sheriff scheint neuronal irgendetwas nicht ganz zu stimmen. Als ein Suchtrupp loszieht, um das verschwundene Mädchen aufzuspüren, gibt er seltsame Instruktionen: „Falls ihr aus irgendwelchen Gründen Hilfe braucht, ruft laut ‚Girls just wanna have fun‘.“

Ein Debüt mit unverwechselbarer Handschrift

Reeder schickt den Zuschauer immer wieder auf ein scheinbar gerades Gleis, um dann plötzlich die Weichen zu verstellen und scharf abzubiegen. Dank solcher non-sequiturs raubt sie dem Publikum jegliche Sicherheit, zumindest ungefähr vorhersehen zu können, wie es weitergeht. Auch die Dialoge nehmen häufig unvorhersehbare Wendungen – mehr Deadpan als in Knives and Skin geht fast nicht. Die grelle, anti-naturalistische Neon-Beleuchtung und die vor sich hin schwebenden Synthesizer-Klänge tun ihr übriges, um den Film tiefer und tiefer ins Reich des Surrealen abtauchen zu lassen.

Nicht jeder Verfremdungseffekt zündet. Und es dauert auch eine Weile, bis man sich in der oft kontraintuitiven Welt von Jennifer Reeder zurechtfindet. Das Bewundernswerte ist hier vielleicht gar nicht das Werk per se, sondern Reeders Fähigkeit, ihre in unzähligen Kurzfilmen und Kunstprojekten erprobte eigenwillige Handschrift auf Spielfilmlänge zu dehnen. Knives and Skin sticht aus der Flut an High-School-Filmen jedenfalls als unverwechselbares Unikum heraus.

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