Kaptn Oskar – Kritik

Am liebsten mochte Oskar sie, wenn sie schlief. Dann war sie friedlich. Tom Lass begibt sich auf Streifzüge durch eine Stadt und ihre Menschen.

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Wenn es darum geht, den Inhalt von Tom Lass’ Spielfilm Kaptn Oskar (2013) wiederzugeben, muss man entweder zu viel oder zu wenig verraten: Nachdem sich Oskar (Tom Lass) von seiner aggressiven Ex-Freundin Alex (Martina Schöne-Radunski) getrennt hat, lebt er in einer Beziehung mit Masha (Amelie Kiefer). Diese hat ihrerseits leidenschaftliche Affären mit älteren Männern. Miteinander leben die beiden in den Tag hinein, sie nähern sich an und entfernen sich wieder. Etwas passiert in ihnen. Und bereits hier sollte man die Inhaltsangabe besser beenden. Der junge Regisseur Lass entwickelt eigenartige Fragmente einer jungen Beziehung und wirft viele Fragen auf.

Auf Betten und Brücken, in Clubs und Containern, vor Zäunen und Zelten. Überall dort spielt Tom Lass’ zweiter Langfilm. Egal in welcher Konstellation, ob einsam umherstreifend oder zu zweit, die undurchschaubaren Charaktere sind stets in abwechslungsreiche Bilder von städtischen – hierbei ist immer Berlin gemeint – wie ländlichen Lebens- und Handlungsorten eingebunden. Doch diese verlieren in Kaptn Oskar ihre festgeschriebene Funktion und werden zu Transit-Orten eines zwischenmenschlichen Annäherungsprozesses. Eine übermächtige Ziellosigkeit ist hier immer präsent, es ist ein nicht enden wollendes Getriebensein, das an diesen Figuren haftet. Begleitet werden die Bilder mal von sanften melodischen Balladen, mal von flirrenden, stampfenden Electrobeats, mal einfach nur vom Klang der Straßenmusiker.

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So wie man sich kurzerhand ins Stadtleben stürzt, so schnell verkriecht man sich wieder in die Heimeligkeit der Schlafzimmer. Damit gelingt es Lass aber wunderbar, die Lage seiner Figuren zu verdeutlichen. Das ziellose Irgendwo-Sein entspricht deren emotionaler Wanderschaft in einem Zwischenstadium zwischen Jugend und Erwachsenemalter. Auf frappierende Weise ist jede menschliche Beziehung dysfunktional und zerstörerisch, Sexualität oft aggressiv und sind Handlungen schwer nachvollziehbar. Es ist ein ständiges Suchen nach Fixpunkten, sowohl emotionalen als auch lokalen und schließlich narrativen. Lass aber hält den Zuschauer hin.

Viele der Dialoge wirken improvisiert, sind nie aufgesetzt oder rein funktional. Lass verstärkt so das Richtungslose seines Films. Mit dieser Vorgehensweise knüpft er nicht nur an sein Debüt Papa Gold (2011) an, in dem ein junger Tunichtgut seinen Stiefvater kennenlernt und mit ihm einen Reifungsprozess vollziehen muss, sondern erinnert an Filmströmungen wie die amerikanische Mumblecore-Bewegung oder das widerstrebende französische Kino der 1960er Jahre. Der auffallende Einsatz von Jump Cuts, die häufigen Gesprächsszenen in Wohnräumen oder der Bezug zur Stadt lassen etwa an Jean-Luc Godard denken. Eine Szene, in der die Kamera schräg von hinten auf die auf dem Beifahrersitz befindliche Masha blickt, ähnelt einer Stelle in Außer Atem (À bout de souffle, 1960), in der aus der gleichen Perspektive eine Autofahrt durch Paris gefilmt wird.

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Psychologische Fragestellungen lässt Lass bewusst aus, er spielt höchstens mit ihnen. Einmal erzählt Masha einem ihrer Liebhaber, ihr Vater habe sich umgebracht. Eine falsche Fährte, wie sich herausstellt, sie revidiert nach wenigen Augenblicken die Aussage. Die darauffolgende Einstellung auf ihr nachdenkliches Gesicht lässt wiederum eben jene Rücknahme des Gesagten bezweifeln. Es erfordert Geduld, sich auf dieses Spiel einzulassen. Im letzten Drittel des Films flüchtet das Paar aufs Land, wo vor allem Oskar seine Gedanken in klare Bahnen zu lenken versucht. Mit einem Male scheint Kaptn Oskar seinen seltsamen Wankelmut zu verlieren und sich plötzlich zu schließen. Bilder einer Autofahrt, die am Anfang zu sehen sind, wiederholen sich am Ende. Erst jetzt wird klar, dass es sich eingangs um vorweggenommene Aufnahmen handelt. Oskar hat beschlossen, die Beziehung sein zu lassen – doch dann die versöhnliche Berührung der Hände bei der Rückkehr in die Stadt. Das Kathartische des Landes verlässt die Körper dieser Stadtneurotiker, denn das Flackern der Großstadtlichter pulsiert wieder in ihren Adern. Eine Möbiusschleife, vielleicht beginnt alles wieder von vorne. Vielleicht auch nicht.

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Lass’ Film ist wahrlich nicht einfach zu handhaben. Er reißt viel an, aber dekliniert nichts durch. Kaptn Oskar durchzieht eine bedrückende Leere, der Blick auf die Situationen und Figuren lässt nur Mutmaßungen zu. Dies ist hier aber keineswegs als negative Eigenschaft zu verstehen. Nicht zuletzt wegen der kurzen Laufzeit von nicht einmal 80 Minuten bleiben diese Beobachtungen spannend und zwingen zum Hinschauen und Assoziieren. Sollte sich der junge deutsche Film in eine Richtung bewegen, wie es Tom Lass mit Kaptn Oskar tut, dann darf man sich in Zukunft auf impulsives und lohnenswertes Kino freuen.

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Kommentare


Moinet

Da ich ein Detail auf dieser Webseite loben möchte, für das es kein Kommentarfeld gibt, mache ich das unter einem Film und Filmemacher, der in seinen bisherigen drei Langfilmen Dinge "draufhat", wie es dasjenige Herz nur erfreuen kann, das Kino von dem Moment an fühlt, denkt und sucht, an dem Leben eine Kamera in die Hand nimmt, ohne auf die Daumen von Entscheidern zu warten (und natürlich, das paßt in kein Marktsegment, und wenn es noch so vielen gefällt, die das sehen!): Wenn ich critic.de lade, um etwas in die Suchmaske einzugeben, klicke ich oft auf den dann erst erscheinenden Werbebereich. Im Gegensatz zu vielen anderen Seiten, die dann den Werbelink öffnen, scheint mir das hier für genau die dafür benötigte Zeit blockiert zu sein. Sehr aufmerksam!






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