Kanikōsen – Kritik

Gedanken-Mischmasch der anstrengenden Art: Kanikōsen mixt Genialität mit Mittelmäßigkeit. Die Gewichtung bleibt dem Zuschauer überlassen.

Kanikōsen

Sabu, der popästhetische Eklektiker des jüngeren japanischen Kinos, prügelt das Publikum in seiner Adaption des Romans Kanikōsen (von 1929, aber aktueller Bestseller in Japan!) durch die komprimierte Entwicklungsgeschichte des politischen Denkens: Aufklärung, Führerkult, marxistisches Kollektiv. Die Besatzung eines heruntergekommenen Krabbenfangschiffes während des russisch-japanischen Kriegs (1904/05) bildet dabei die Versuchsgesellschaft. In ihrem sklavenhaften Drückebergerdasein muss sie sich, sapere aude!, erst ihres eigenen Verstandes bewusst werden, um der drakonischen Herrschaft der Offiziersriege die Macht der Gewerkschaft entgegenzusetzen. Unglücklicherweise sind die Matrosen jedoch ein jämmerlicher Haufen Feiglinge. Ihre bösartigen Bosse, Vertreter eines namenlosen Großkonzerns, sehen sich als Verteidiger der japanischen Ehre, die sie, wenn Not am Mann ist, auch mit Unterstützung des Militärs zu verteidigen gewillt sind.

Kanikōsen

Da kommt, wie eigentlich immer bei Sabu, einiges zusammen: eine Aufarbeitung der brutalen Disziplinierungskultur Japans zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges, die satirische Kommentierung von dessen international schwer verhasster Fischereikultur, eine Fülle an Zitaten aus Metropolis (1927) und dem Schaffen Sergej Eisensteins. Um nur das Offensichtlichste zu nennen. Und Sabu bleibt sich auch bei der Ausbeute treu: Einzelne, wirklich geniale Momente stehen einer Fülle mehr oder minder uninspirierter Abschnitte gegenüber. Er liebt noch immer minutenlange Slow-Motion-Sequenzen, in denen einzelne Geräusche dumpf dröhnend von Unheil künden und sich das Geschehen, wie durch eine deterministische Lupe betrachtet, unaufhaltsam als cause-and-effect-Kette ereignet. Sabu liebt Style, und vor allem den eigenen. Doch allmählich wird man seiner Bilder müde.

Kanikōsen

Wobei er selbstverständlich noch immer visuell zu beeindrucken weiß. Diesmal standen neben Metropolis offensichtlich die postindustriellen Sets und Kostüme von Marc Caro Pate für das bräunlich-rostige Metallinterieur des Höllenschiffes. Gerade die schwarzen Regenhauben der Matrosen, wie auch ihr ameisenhaftes Gleichgeschaltetsein, erinnern stark an die Untergrundkämpfer aus Delicatessen (1991).

Fans des Regisseurs werden auch an <emKanikōsen</em> ihre Freude haben, allen anderen könnte die brüllende Polemik jedoch schnell auf die Nerven gehen. Trotzdem ist offener Szenenapplaus angebracht: Wer unschlüssig ist, kann sich auf die wahrscheinlich großartigste Massenselbstmordszene seit Suicide Circle (Jisatsu sâkuru, Sono Sion, 2001) freuen. Nur dass hier alles schief geht.

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