Käpt'n Rauhbein aus St. Pauli – Kritik
Zoten in den Tropen: Im großen Abschluss des St.-Pauli-Zyklus von Rolf Olsen verschlägt es Curd Jürgens in die deutsche Fantasie einer Bananenrepublik. Käpt’n Rauhbein aus St. Pauli ist eine Ansammlung erzählerischer Unfassbarkeiten, die verzweifelt nach Leichtigkeit sucht.

Zwischen 1967 und 1971 dreht Rolf Olsen sechs Filme, die St. Pauli oder die Reeperbahn im Titel tragen. In fünf davon gibt Curd Jürgens einen Protagonisten, der der exploitativ ausgeschlachteten großen Freiheit des Viertels meist ambivalent gegenübersteht. So ist er mal ein schmieriges, altes Kantholz, das seinen Tee nur mit Rum trinkt und bei Ansicht eines Busens einen wissenden Blick auflegt. Dubioser Genießer ist er, der sich in die Kolportage eines St. Pauli aus Kriminalität, Drogen, Prostitution und sittlicher Verrohung perfekt einpasst. Aber doch spielt er in Filmen wie Der Arzt von St. Pauli (1968) oder Der Pfarrer von St. Pauli (1970) auch mal den nominellen Wahrer des Anstands, aus dessen Perspektive ein Sündenpfühl dargestellt wird. Die Schizophrenie der Filme, die ein faszinierendes Amalgam aus biederer Warnung und geiler Exploitation bilden, ist seinen Figuren schon eingeschrieben.
Reeperbahn mit Palmen

Käpt’n Rauhbein aus St. Pauli (1971) nimmt als Abschluss dieses St.-Pauli-Zyklus eine Sonderstellung ein. Von einem kleinen Prolog abgesehen, ist Hamburg nämlich nicht der Handlungsort. Stattdessen wird die Projektion der babylonischen Verhältnisse auf die weite Welt ausgeweitet, die außerhalb des Hamburger Hafens wartet – weit weg vom biederen Deutschland. Die Verlockungen und Verdammnisse finden sich folglich auch nicht irgendwo, sondern holen Markus „Käpt’n Rauhbein“ Jolly in einer Bananenrepublik ein. Auf einer Reeperbahn mit Palmen, Rum und einem blauen Meer. In einer dritten Welt, in der Männer noch unverstellt „männliche“ Haudegen sein können und die vorwiegend aus heißen Rhythmen, einer korrupten Staatsgewalt und Bandidos besteht. Anders gesagt: Der Film spielt an einem Ort, wo deutsche Schwestern des Roten Kreuzes einfach mal unmotiviert nackt in einer Tonne baden oder verschleppt werden.

Während die anderen Filme einer halbwegs enggefassten Geschichte folgen, geht es hier zudem drunter und drüber. Käpt’n Rauhbein landet in Puerto Negro im Gefängnis, weil er es sich mit der ihn schröpfen wollenden Obrigkeit verscherzt. Drogen soll er geschmuggelt haben. Auf der Flucht heuert er als Stewart auf einer Yacht an, die gerade zur Vergnügungsfahrt mit dem deutschen Konsul aufbricht. Dort benimmt er sich zum Jux des Zuschauers wie die Axt im Walde und rettet die Tochter von Gesundheitsattaché Albeniz (Friedrich Joloff) vor einer gigantischen Gummispinne. Woraufhin dieser aus Dank und Verpflichtung gesteht, in die Machenschaften um Drogen und einer Gruppe entführter Schwestern des Roten Kreuzes verstrickt zu sein, deren Geschichte nebenher erzählt wurde. Letztere befreit der Käpt’n nun auch noch.
Polymorphe Brandung aus Niedertracht

Ehedrama, Abenteuerschund mit Sprenklern von Travestiekomödie, Gangsterkolportage, die Komödie eines aufrechten Proleten unter den oberen Zehntausend, Dschungelaction und kleine Einwürfe von Sexploitation: Verschiedene Genres schnappt sich Käpt’n Rauhbein aus St. Pauli und stellt sie in fröhlicher Sammellust nebeneinander. Denn es geht Olsen um kurze, knackige Thrills, die einem häppchenweise zugeworfen werden. Das Ergebnis ist eine Ansammlung von Widrigkeiten, in denen ein aufrechter Typ am Ende den Tag retten kann und von allen Frauen angehimmelt wird, weil er in der polymorphen Brandung aus Niedertracht seinen Mann steht. Curd Jürgens spielt dabei hüftsteif, aber mit aller Selbstverständlichkeit eine Figur, die in einem Welt gewordenem Rumfass herb-männlich an der Welt leidet und knurrig ihren Lebenssinn im schäbigen Traum eines irdischen Paradieses wiedererlangen kann.

Am ehesten ließe sich all das mit den Abenteuerprügelkomödien vergleichen, mit denen Bud Spencer und Terence Hill in den 1970er Jahren die bundesdeutschen Kinos regieren werden. Nur gibt es etwas weniger Schlägereien, und vor allem geht dem Spektakel das Leichte dieses Duos vollkommen ab. Stattdessen tendiert das Vergnügen hier zum Bleiernen und Kaputten. Es äußert sich in Gore – wenn Sieghardt Rupps Chefbandido stirbt, dann wird sein ganzes Gesicht zerstört – oder im Trauma der Vorgeschichte von Markus Jolly. Denn eigentlich hat dieser mit der Welt abgeschlossen, weil er seine Frau nicht nur in flagranti erwischte, sondern sie im Streit auch aus Versehen in den Tod schubste.
Anschreien gegen die Realität

Während die Edgar-Wallace-Filme der 1960er Jahre jeden Horror mit Klamauk abschwächten oder diverse Heimatfilme ihre melodramatischen Kerne mit Harmonie abfederten, während das deutsche Nachkriegskino eben nicht zu sehr in die Schatten schauen wollte, da scheint es hier, als müsse der Spaß grundlegend gebrochen werden. Als ob es keinen einfachen Spaß geben kann. Mehr noch gehen der Spaß und Abgründe ein neuerliches Amalgam ein. Die tropische Schönheit und die derben, ungehobelten Zoten, die zwanghaft die Dialoge bestimmen, wirken wie ein Anschreien gegen eine ausgesperrte Realität.

Käpt’n Jolly wird zu karibischen Rhythmen melancholisch davon singen, dass ihm alle Frauen – die ihm von Film auch wie reife Früchte hinterhergeworfen werden – recht sind. Vor Gericht wird ihm zu Beginn schon dazu gratuliert, dass er jetzt wenigstens das Verfahren hinter sich hat, wo seine Seele ja schon von der Tragik der Untreue und des – hundertprozentig unverschuldeten – Verlusts der Frau gezeichnet ist. Als Ansammlung erzählerischer Unfassbarkeiten und als psychotronische Sause, die nicht mal zu realisieren scheint, wie unangenehm sie in ihrem Streben nach Leichtigkeit zuweilen ist, wird Käpt’n Rauhbein aus St. Pauli schlicht zur Karikatur seiner männlichen Fantasien und zu einer Achterbahnfahrt, die viel über ihre Entstehungszeit erzählt.
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