JFK Revisited - Die Wahrheit über den Mord an John F. Kennedy – Kritik
Die Wirklichkeit als Wunderland: Mit neuen Indizien und Lewis-Carroll-Referenzen spinnt Oliver Stone in JFK Revisited die Fäden aus Tatort Dallas weiter und will aus Verschwörungstheorien Verschwörungstatsachen machen.

Ein erschütternder Einschnitt in der US-amerikanischen Geschichte war das Attentat auf John F. Kennedy am 22. November 1963 nicht nur wegen seiner unmittelbaren politischen Folgen, sondern vor allem, weil es von vielen als zutiefst persönliches Ereignis erfahren wurde. JFK, diese drei Buchstaben waren schließlich weit mehr als bloß die Initialen eines US-Präsidenten, sie standen zugleich für Aufbruch, für bessere Zeiten, den Weltfrieden vielleicht, magisch wie die Kugel, die den Körper des Initialenträgers durchbohrte. Das Attentat hatte deshalb nicht nur eine enorme Wirkung auf die Weltpolitik, sondern auch auf das Leben zahlloser Menschen. Einer dieser Menschen ist der Regisseur Oliver Stone, der Vietnamkriegsveteran, der schon seit Jahrzehnten Filme gegen ein ebenfalls aus drei Buchstaben bestehendes Machtgebilde namens USA abfeuert. Das Herzstück dieses Schaffens: JFK – Tatort Dallas von 1991.
Film, Politik und Verschwörungstheorien

JFK Revisited: Through the Looking Glass bezieht sich mit seinem Titel sowohl auf diesen Film als auch auf die Fortsetzung von Alice im Wunderland (deren deutscher Titel Alice hinter den Spiegeln lautet). Es handelt sich aber, im Gegensatz zu Alice, nicht unbedingt um eine Fortsetzung, viel eher um eine Erweiterung. JFK – Tatort Dallas ist ein Spielfilm, JFK Revisited ein Dokumentarfilm. Es wird keine Geschichte weitergesponnen, es wird wiederholt, kommentiert und nur gelegentlich neues Dokumentmaterial eingespeist.
Warum also dieser Film? Um das zu beantworten, sollte man sich nochmals in Erinnerung rufen, was es mit JFK – Tatort Dallas eigentlich auf sich hatte. Wie kaum ein anderer übte der Film einen Einfluss auf Politik und Gesellschaft aus, der US-Kongress beschloss in Reaktion auf die von ihm geschlagenen medialen Wellen sogar ein Gesetz. Denn der Film war weit mehr als nüchterne Aufklärung. Stone hatte verschiedene Verschwörungstheorien zum Attentat mit Fiktionen verwoben und eine Ungerechtigkeitsgeschichte mit einer unwiderstehlichen Überzeugungskraft konstruiert. Auf den Vorwurf der Manipulation des Publikums hin veröffentlichte Stone kurzerhand das Drehbuch mit Quellenangaben.
Seine Schlagkraft entwickelte der Film dadurch, dass er Kleines mit Großem verbinden konnte. Stone wird in JFK zum Forensiker, untersucht Zeichen, Spuren und Verknüpfungen und gelangt über die Vorgänge der offiziellen Untersuchungen zu einem Bild der US-Außenpolitik. Für das Publikum, das besonders im Zeitalter des Internet exzessiv mit absurden Verschwörungstheorien bombardiert wird, lässt sich die Frage letztlich kaum beantworten: Ist die offizielle Erklärung und Rekonstruktion des Tathergangs (der sogenannte Warren-Report) ein Wunderland, in dem einzelne Personen und einzelne Kugeln übernatürliche Kräfte besitzen, oder ist Oliver Stone ein weißes Kaninchen, das uns seine Fantasterei als hard facts verkauft?
Dunkelheit der Aufklärung

Stones Motivation für JFK Revisited ist zweifellos der Notwendigkeit entwachsen, auf die Veränderungen der Zeit zu reagieren und die Dringlichkeit des ursprünglichen Films zu retten. Der Hauptangeklagte ist schließlich nicht nur immer noch auf freiem Fuß, er erfreut sich auch bester Gesundheit. Es handelt sich um den gewaltigen Körper jener US-Geheimdienste, die sich meist ebenfalls mit drei Initialen schmücken. Dem Gesetz zufolge, das der Kongress 1992 in Reaktion auf JFK verabschiedete, sollten alle Akten mit Bezug zum Attentat auf Kennedy bis 2017 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Trotz der wirksam inszenierten Veröffentlichung vieler Akten durch Trump im Jahr 2017 blieben auf Druck der Sicherheitsbehörden jedoch weiterhin Akten unter Verschluss.
So sehr diese Geheimhaltungspolitik der USA, die der Glaubwürdigkeit der offiziellen Version nicht gerade zugutekommt, die ganze Sache verdunkelt und mystifiziert: Es dürfte kaum ein anderes Verbrechen in der Geschichte geben, zu dem eine derartige Vielzahl an Materialien und Theorien existiert. Weil die Ermordung des Präsidenten durch den Amateurfilmer Abraham Zapruder auf Film festgehalten wurde, bezeichnet ein Interviewter den Fall als „bestdokumentiertes Verbrechen der US-Geschichte“. Das Problem ist nur, dass die Zahl der Dokumente überfordert und den Durchblick verhindert.
Forensische Symphonie
Es ist umso erstaunlicher, wie Stone aus der Kakophonie unendlicher Zeichen und Kommentare ein gründliches und detailliertes Orchesterwerk erschafft, das trotz schwindelerregender Geschwindigkeit nie den Fokus verliert. JFK Revisited setzt das didaktische Projekt von 1991 fort und integriert die neuen Akten, die vieles zu untermauern scheinen, was schon damals vermutet werden konnte, in seine eigene Aufklärungskampagne. Es geht ums Untermauern, es geht darum, das kritische Potenzial des ersten Films in das Zeitalter von fake news hinüberzuretten und, wie Stone in JFK Revisited verlautbart, aus einer Verschwörungstheorie Verschwörungstatsachen zu machen.

Beeindruckend ist der Raum, den JFK kartographiert, ein Raum, der von Präsidentenwagen, Projektilen und Telefonaten durchquert wird und in dem Exilkubaner zusammen mit CIA-Agenten Pro-Castro-Kundgebungen vortäuschen. Vor allem ist es ein Raum, in dem nichts einfach identisch ist, in dem alles immer in mehreren Versionen existiert, sei es Kennedys Gehirn, die Persönlichkeit von Lee Harvey Oswald oder die magische Kugel.
Bei genauester Betrachtung verändert sich die Wirklichkeit manchmal in ein Wunderland. Vorwerfen kann man Stone mindestens die Tatsache, dass er auf bestimmte Einwände und Widerlegungen, die im Lauf der Zeit gegen seine Version geltend gemacht wurden, in JFK Revisited nicht reagiert. Nichtsdestotrotz lässt sich die Kernaussage seines Films kaum abweisen: dass die mangelhafte Aufarbeitung dieses Ereignisses bis heute an der Legitimität des US-amerikanischen Machtapparats kratzt.
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