Jeder stirbt für sich allein – Kritik
Vincent Perez verfilmt Hans Fallada und lässt die NS-Widerstandgeschichte zu einem schmucklosen Krimi verkommen.

Sauberkeit und Ordnung. Auch das kann ein filmisches Prinzip sein. In Jeder stirbt für sich allein (Alone in Berlin) jedenfalls ist alles an seinem Platz. 1940, Berlin. Uniformierte Hitlerjungen spielen sich als Blockwarte auf, blutrot glattgebügelte Hakenkreuzflaggen hängen von den Häusern, lange Schlangen von Frauen in blütenweißen Kleidern bilden sich vor den Einkaufsläden. Wir sehen eine dressierte Welt, die in ihrer gewollten Echtheit umso künstlicher wirkt. Das ist genau das unglückselige Genrelos des Historienfilms: makellos sauber zu sein und fast aseptisch zu glänzen; selbst Blut, Tod und Tränen wirken da wie schmuckes Kunsthandwerk. Und so merkt man auch jeder Szene, jedem Bild von Jeder stirbt für sich allein an, dass sie nachgestellt ist – nichts stört mehr die beruhigende Evidenz der Geschichtlichkeit. Alles an diesem Film ist Dekor. Wie ein gefilmtes Theaterstück schreitet die Handlung voran, hölzern, man spürt förmlich die Bretter unter den Füßen der Darsteller, die nicht so recht daran glauben, wen und was sie hier eigentlich verkörpern sollen. Mit starkem Akzent – der Film ist auf Englisch gedreht – wird da „Heil Hitler“ geschmettert und von „Obersturmbannführern“ geredet, sodass es schnell unzweifelhaft komisch wird. Dennoch: In diesem Film wird es kein Lachen, noch nicht einmal ein Lächeln geben, und so etwas wie Pathos oder Tragik verschwindet sogleich hinter der blank geschrubbten Kulisse dieses Nazi-Berlins, in dem die Handlung ihren Verlauf nimmt.
Widerstand wird zur Karikatur

Das Arbeiterehepaar Quangel aus Berlin-Prenzlauer Berg erfährt eines Tages, dass sein Sohn an der Front ums Leben gekommen ist. Wir sehen ihm in den ersten Bildern des Films beim langsamen Dahinscheiden im frühsommerlichen Wald zu. Vom Tod seines Sohnes gezeichnet, beschließt Otto Quangel (Brendan Gleeson) in Guerilla-Manier Postkarten mit regimefeindlichen Slogans an neuralgischen Punkten der Hauptstadt auszulegen. Seine Frau Anna (Emma Thompson) geht ihm dabei zur Hand. Langsam geraten die beiden ins Fadenkreuz von Polizei und SS. Das wirklich Bemerkenswerte daran ist, wie wenig Widerhalt die heroische Aktion und die damit einhergehenden Affekte Quangels im filmischen Gerüst finden. Der Tod des Sohnes scheint lediglich ein holzhammerartiger Trigger dafür gewesen zu sein, was eben getan werden muss. Trauer, Verzweiflung, Ohnmacht? Nichts von alledem wird visualisiert, lediglich das immer gleich grimmende Gesicht Gleesons ist zu sehen; in der Straßenbahn, am Arbeitsplatz, am Küchentisch. Ein Akt des Widerstands gerät so fast zur Karikatur, denn es gibt keine Zweifel, keine Rückschläge. Was denken die Menschen in diesem Film? Wir erfahren es nicht. Als würde das Leben in mechanischer Selbstverständlichkeit von A nach B führen. Falladas sprachliche Nüchternheit und die kalte, konsequente Erzählhaltung sind bekannt. Aber in diesem Fall zeigt sich wohl oder übel, was passiert, wenn man etwas, das literarisch funktioniert, mir nichts, dir nichts in eine rein funktionale Bilderwelt übersetzt.
Dark tourism im Film

So poltert die Handlung in immer gleichem Tempo voran: Es beginnt ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen den Quangels und Kommissar Escherich (Daniel Brühl), dem die SS böse im Nacken sitzt. Escherich ist eine fast monströs simple Figur: Eigentlich herzensgut, wird er von seinen Vorgesetzten drangsaliert, um dann auf einmal selbst völlig grundlos Gewalt anzuwenden und anschließend in einen Gewissenskonflikt abzurutschen. Auch hier ist die gesamte charakterliche Dynamik so holzschnittartig wie im gesamten Film. Das mag den Restriktionen einer Literaturverfilmung geschuldet sein, aber an die Stelle von Sprachlichkeit setzt der Film nichts, woran man sich festhalten könnte – als bewegten wir uns durch einen historischen Werbekatalog für die bewegte europäische Vergangenheit. Jeder stirbt für sich allein ist ein irgendwie touristischer Film: Höchstens beiläufig an seinem Sujet interessiert und im Grunde freudig auf sein baldiges Ende ausgerichtet.
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Kommentare
Frauke Pira
Diese Kritik kann ich unterschreiben. Sehr enttäuschend
1 Kommentar