James Bond 007 - Keine Zeit zu sterben – Kritik
James Bond schafft sich ab: Keine Zeit zu sterben bringt die Daniel-Craig-Phase der Agentenserie zur kontrollierten Implosion.

Planned obsolescence – die Geschäftsstrategie, Produkte absichtlich so zu bauen, dass sie nach gewisser Zeit zu Bruch gehen und die Kund*innen neue Modelle nachkaufen müssen – könnte das Produktionsmotto hinter dem neuen Bond Keine Zeit zu sterben gewesen sein. Alles am 25. Auftritt 007s erzählt von Ende, Abschied, Zäsur, sowohl im Film als auch im Mediabuzz drumherum. Daniel Craig macht definitiv nicht weiter und bringt das von ihm selbst getragene Reboot der Serie mit einem verletzlichen, von Schuld und Zweifel zerfressenen alternden Haudegen zum dringend notwendigen Abschluss. Die Spekulationen um die Nachfolge des chauvinistischen Massenmörders – denn weiter wird’s gehen, solange das Publikum mehr will – sind längst gender- und identitätspolitisch aufgeladen. Regisseur Danny Boyle sprang kurz vor Drehbeginn ab, anscheinend war der gralshüterische Kontrollwahn des Produzent*innenduos Barbara Broccoli und Michael G. Wilson zu viel. Am Ende führte nun Cary Joji Fukunaga Regie. Und obendrein kam dann noch Corona, verzögerte den Start und drohte den Film zum ersten pandemiebedingten Megaflop zu machen. Keine Zeit zu sterben ächzt und quietscht unter der Last der Erwartungen, der Umstände und der sich verändernden Zeiten. Es ist ein Film geworden, der mit Müh und Not ein schon zuvor angezähltes Genremuster implodieren lässt, um im Publikum die (Neu-)Gier nach der nächsten Seriennummer zu entfachen. Bond schafft sich also ab – aber in sehr Bond’scher Manier.
Die Schatten der Vergangenheit

Das fängt damit an, dass er die den Einzelfilm überdauernde Zeitachse, die das Franchise mit Casino Royale (Martin Campbell, 2006) eingeführt hat, stur weiterverfolgt und die serieninternen Querverweise noch einmal weitertreibt. Gleich die Eröffnung ist ein Flashback, doch nicht in die Vergangenheit Bonds, sondern in die seiner Partnerin Madeleine Swann (Léa Seydoux). Die wuchernde Marvelisierung der Serie mitsamt endlosem Reservoir an ad hoc herstellbaren Seitenerzählungen geht also weiter. Nur wenig später steht ein trauernder Bond am Grab einer toten großen Liebe namens Vesper Lynd. Wer war das nochmal?

Diese Obsession mit sich selbst geht einher mit einer weitgehenden Absage an explizite Bezüge in die Welt außerhalb des Serienuniversums. Wo Skyfall (Sam Mendes, 2012) noch sehr dezidiert auf realen Terrorismus und faktische Staatswillkür verwies, verfällt das von acht Händen zusammengestückelte, dramaturgisch ziemlich katastrophal organisierte Drehbuch des neusten Bond wieder in klassischste Motivideen. Es gibt einen grässlich entstellten Superbösewicht (Rami Malek) auf eigener Pirateninsel. Dort baut er eine Super-Biowaffe namens Herakles, die auf die DNA bestimmter Opfer programmiert werden kann – und damit so gar nichts zu tun hat mit der uns alle (wenn auch nicht alle gleichermaßen) bedrohenden Coronapandemie.
Eine schwarze Frau kann nicht 007 sein

Implizit jedoch wird aber auch Keine Zeit zu sterben heimgesucht von den Diskussionen der Zeiten, in denen er entstand. Natürlich ist der Film moralisch hochgradig ambivalent, weil er sich im Klaren darüber ist, dass der universelle Rettungsanspruch eines brutalen Typen aus dem globalen Norden nicht mehr ganz up to date ist: „How do you tell the good from the bad, heroes from villains these days?“, fragt einmal sein Weggefährte Felix Leiter (Jeffrey Wright). Klingt tiefsinnig. Aber so weit sind alle Superheldenfilme mittlerweile auch.

Nirgendwo scheint diese Auseinandersetzung mit der Welt draußen augenfälliger als beim Casting der Nachfolgerin 007s im MI6 (Lashana Lynch). Die junge schwarze, selbstbewusste, aber nicht skrupellose Nomi stellt besetzungspolitisch wie figurenpsychologisch den größtmöglichen Gegensatz dar zum sehr für eine veraltete Form gewaltvoller, sexistischer Männlichkeit stehenden Bond. Zum ersten Mal treffen sie in Jamaika aufeinander, und für einen Moment deutet sich da etwas wie eine postkoloniale Perspektive auf das Commonwealth an, das Bond zeit seiner Laufbahn so stolz verteidigte. Aber Brexit und „Global Britain“ haben hier keinen Platz, das Drehbuch erlaubt Nomi wenig Zeit zu glänzen, und die Nummer 007 gibt sie irgendwann auch wieder an den aus dem Ruhestand zurückgekehrten Typen ab. Diese Halb-Einführung als mögliche Nachfolgerin, die von Produzentin Broccoli auch gleich wieder abmoderiert wurde, bleibt haften als eine irgendwie zugleich grobe und verschämte Geste. Kritik an weißer Männlichkeit aus hegemonialer Perspektive. Auf die Spitze getrieben wird dieser befremdliche Umgang mit race gen Ende, wenn ein Wissenschaftler davon faselt, dass das programmierbare Virus auf „westafrikanische Völker“ gerichtet werden könne. Was wohl als antirassistische Pointe gedacht war (der Typ landet kurz danach im Säurebad), transportiert zugleich längst widerlegte Theorien zu genetisch distinkten Menschengruppen.
Genuss an Oberflächen und Momenten

Aber wie es so ist mit Blockbustern samt ihren vielen Selbstwidersprüchen, hat auch Keine Zeit zu sterben starke Seiten und Momente. Es ist der wahrscheinlich schickste Bond aller Zeiten. Gemeinsam mit Kameramann Linus Sandgren schließt Regisseur Fukunaga an die satten, fiebrigen Bildwelten seiner Miniserie True Detective (1. Staffel, 2014) an. Das Licht flackert in wilden Neonfarben. Die Luft ist fast mit Händen greifbar, so viel Nebel und Staub haben sie in jedes Set geblasen, ob im tropischen Jamaika oder im dunstigen Urwald Norwegens. Während die Story kläglich dabei versagt, eine wirkliche Bedrohung herbeizuerzählen, ist diese in den Bildern quasi direkt sichtbar. Fukunaga bezieht sich auch auf interessante Weise auf teils missverstandene oder wenig beachtete Genreupdates der jüngeren Filmgeschichte wie The American (Anton Corbijin, 2010), Blade Runner 2049 (Denis Villeneuve, 2017) und – sehr offensichtlich, in einer wahrlich großartigen, fast ohne Schnitt inszenierten Treppenhausballerei – Atomic Blonde (David Leitch, 2017).

Genießen also kann man Keine Zeit zu sterben. Aber der Genuss an Oberflächen und Momenten wäre wohl ungetrübter, wollte der Film nicht wie alle Craig-Bonds den Eindruck von etwas Profunderem wecken, als er tatsächlich ist. James Bond im Jahr 2021, das ist ein Mann, der heimgesucht wird von den vielen ungelebten Leben, die er nicht hat führen können – als Ehemann, als Vater. Der plötzlich lieben, trauern, schützen will, aber gefangen ist in einer Rolle, die all das verunmöglicht. Und der deshalb ausgedient hat. Daniel Craig ist ein Schauspieler, der dieses Ausgebranntsein vielleicht deshalb ziemlich überzeugend darstellen konnte, weil er die unmögliche Prämisse auszubaden hatte, in generischen Kulissen und hanebüchenen Erzählkonstruktionen charakterdarstellen zu sollen. Und Bond im Jahr 2021, das ist ein Franchise, das sich irgendwie tollkühn und ganz bewusst in eine Sackgasse manövriert hat – und sein Zukunftsversprechen darin sucht, dass es nicht so weitergehen kann wie bisher. Aber etwas sagt mir, dass genau das passieren wird, beim 26. James Bond.
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