Ivana die Schreckliche – Kritik

Die serbische Regisseurin Ivana Mladenović stellt einen Ausschnitt aus ihrem Leben nach; die Kamera ist unsichtbar, aber das Filmemachen besetzt die Hauptrolle. Ein paar Seitenhiebe auf das Patriarchat gibt es auch.

„Ich glaube, es ist wichtig zu verstehen, dass die Familie in deinem Kopf nicht deine tatsächliche Familie ist“, sagt Andrei (Andrei Dinescu) am Ende zu Ivana. Mit Ivana die Schreckliche hebt die serbische Regisseurin und Schauspielerin Ivana Mladenović ihre Familie in eine weitere Dimension, weder in die Wirklichkeit noch in ihre Vorstellung davon, sondern in eine Nachstellung von– so legen es zumindest die Credits nah – tatsächlich Geschehenem. Ivana die Schreckliche ist ein groß angelegtes Reenactement, in dem Mladenović die Heimkehr in ihre Geburtsstadt Kladovo inszeniert. Dabei macht das Spiel nicht an den Grenzen ihrer Privatsphäre halt, erfasst nicht nur Eltern, Freunde und Angehörige, sondern geradezu die ganze Stadt, die eifrig ein – bisweilen absurd anmutendes – Festival der serbisch-rumänischen Freundschaft vorbereitet. Ivana, die in Rumänien studiert hat, wird zum Gesicht des Festivals und dieser Freundschaft auserkoren und soll, so die Vorstellung der Stadtvertreter, ihren woanders erlangten Ruhm dankbar in den Dienst der Bewerbung des Tourismusstandortes Kladovo stellen.

Die Welt als Zerreißprobe

Das Festival bietet Ivana eine Bühne: nicht Ivana Mladenović, dem öffentlichkeitswirksamen Kind der Stadt, sondern jener titelgebenden „Ivana die Schreckliche“, deren liebstes Mittel, mit der Welt in Kontakt zu treten, das der Zerreißprobe ist. „Ivana war ein kleines, ruhiges und liebes Mädchen“, erzählt ihre ehemalige Grundschullehrerin, als Ivana auf dem Festival ein Preis verliehen wird; das entbehrt, wie so vieles in diesem Film, nicht einer gewissen Komik. Äußerlich ist das Mädchenhafte geblieben: Turnschuhe, kurze Hosen, roter Eastpak-Rucksack. Aber aus Ivana ist eine junge Frau geworden, die fortwährend in Konflikte gerät, nicht selten mit sich selbst, und die Welt auf die Probe stellt. Dabei behält sie sich immer das Recht vor, sich zu amüsieren. Soll sie doch Kladovo als Star vereinnahmen und sich an ihrem Ruhm ergötzen – sie vermittelt dem Festival zwei Musikerfreunde, die mit ihrem experimentellen Sound später das Publikum vergraulen werden, und erkundigt sich mit größter Selbstverständlichkeit, wann Anca (Anca Pop) mit ihrem Honorar rechnen kann, das Geld braucht sie nämlich für die Organisation eines Klitoris-Festivals in Rumänien. Es gibt in diesem Film einige Seitenhiebe auf die patriarchalische Ordnung und einen guten Einblick darin, was es heißt, eine junge Frau in Serbien zu sein: vom fortwährenden Drängen auf eine alle Probleme lösende Heirat hin zum Getratsche, als bekannt wird, dass Ivana eine Affäre mit einem 13 Jahre jüngeren Mann (Luka Gramic) hat.

Geteilte Herzen

Das Festival liefert dem Film einen grundlegenden Topos, nämlich den der Grenze und ihrer unentschlossenen Überquerung. Kladovo, malerisch an der Donau gelegen, die eine Grenze zwischen Serbien und Rumänien zieht, wird von einem Wasserkraftwerk versorgt, das auch die gegenüberliegende Seite versorgt – „wie ein Herz, das wir uns teilen“, heißt es in einer Rede auf dem Festival. Ivana die Schreckliche dreht sich auch um geteilte Herzen, um die Zugehörigkeit und in gleichem Maße um die Abstoßung, die „Heimat“ auf Menschen ausübt. Nicht umsonst beginnt der Film im Zug, mit dem Ivana nach Kladovo fährt, wird die Rückkehr erfahrbar, ein Prozess, der nur möglich ist, weil ihm eine Loslösung vorausgegangen ist. Tatsächlich will die Rückkehr nicht so recht gelingen, kann sich Ivana in ihrer Familie nicht mehr in den Platz fügen, den sie früher eingenommen hat; in den wiederkehrenden Streitgesprächen, aber auch in den Begegnungen, in denen Zuneigung, Verständnis und Stolz aufflackern, wird ein neuer Platz ausgelotet. Ivana ist dabei nicht nur Grenzgängerin zwischen dem, was sie zu Hause zurückgelassen hat und dem, was sie woanders geworden ist; sie ist selbst auch eine serbisch-rumänische Grenzgängerin, hat Serbien als Jugendliche offensichtlich mit aller Kraft zu verlassen versucht und ist in Rumänien zunächst – buchstäblich – auf geschlossene Türen gestoßen.

Die unsichtbare Kamera

Und dann gibt es noch einen Grenzübergang, den der Film, anders als die beiden anderen, nicht inszeniert, sondern verwischt, und zwar als Prinzip: der nämlich zwischen der privaten und der öffentlichen Person. Wenn wir zuschauen, wie Ivana auf dem Festival der serbisch-rumänischen Freundschaft auftritt, dann setzt die Regisseurin Ivana Mladenović – mit einiger Freude an der Selbstreferenz – eine Person in Szene, die sich selbst in Szene setzt, und zwar in einem Film, der – möglicherweise zum Schein – eine große Nähe zwischen dem Zuschauer und der privaten Person Ivana Mladenović herstellt, ein Film, der immer das Gefühl gibt, hinter die öffentliche Person schauen zu können, in die Unsicherheit, die Zweifel, die Gereiztheit, aber auch in die Konstruktion selbst der öffentlichen Person. Kladovo buhlt um Ivanas Gunst, will sie unbedingt für das Festival gewinnen, doch an keiner Stelle fällt ein Wort über ihr Werk, ja ist es überhaupt fraglich, dass diejenigen, die sie als Star feiern, ihren Film geschaut haben. Ruhm und Glanz sind völlig von ihrem Werk entkoppelt, werden sich Selbstzweck.

Ivana die Schreckliche ist ein Film über eine Regisseurin, es ist ein Film über das Filmemachen, der Fragen auslotet, vor denen diejenigen stehen, die Filme machen oder sehen, besonders was das Ineinandergreifen von Dokumentation und Fiktion anbelangt. Das gelingt Mladenović nicht, indem sie das Gesehene als das offenlegt, was es ist: künstlich hergerichtetes Leben, für die Bedürfnisse ihrer Erzählung aufgenommen und zusammengeschnitten. Es gelingt ihr, im Gegenteil, durch eine konsequente Unsichtbarmachung der Kamera, im weitesten Sinne. Unsichtbar sind nicht nur die technischen Hilfsmittel, die den Film möglich gemacht haben, sondern auch die Verstellungen, die sie herbeiführen. Unzählige Personen zerrt Mladenović vor die Kamera, doch keine weist auf etwas außerhalb des Rahmens, bringt die Projektanordnung zur Sprache. Keine zeigt Scheu, keine geniert sich, keine ringt mit der Kamera, alle geben sich ihr mit dem Ausdruck größter Selbstverständlichkeit hin; die Selbstverständlichkeit eben, die die Kamera unsichtbar macht. Erst die Credits entlarven den Film, weder als Dokumentation noch als Fiktion, sondern als etwas, das von ihrer gegenseitigen Durchlässigkeit lebt.


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