It's a Free World – Kritik
Ein weiteres Mal festigt Ken Loach seinen Ruf als Filmemacher mit sozialem Bewusstsein. Diesmal erzählt er von einer jungen Frau, deren Unternehmergeist stärker ist als ihre moralischen Bedenken.

Auf den ersten Blick wirkt Angie (Kierston Wareing) mit ihren blondierten Haaren, dem Schmollmund und dem Mantel mit Leopardenmuster nicht wie eine selbstbewusste und kämpferische junge Frau. Dabei hat sie neben ihrem anstrengenden Job in einer Arbeitsvermittlung auch noch ihre Rolle als allein erziehende Mutter zu meistern. Als sie eines Tages ihren Job verliert, hat sie genug von schlecht bezahlter Arbeit und mangelndem Respekt. Gemeinsam mit ihrer Freundin Rose (Juliet Ellis) nimmt sie ihr Schicksal selbst in die Hand und gründet im Hinterhof ihres Stammpubs ein Unternehmen, das ausländische Zeitarbeiter an Fabriken vermittelt.
Mit seinem neuen Film hat sich der britische Regisseur Ken Loach einem in Zeiten der Globalisierung hochaktuellen Thema angenommen. It’s a Free World lockt den Zuschauer aber zunächst auf eine falsche Fährte. So wie sich Angie gegen die Schikanen ihrer Bosse wehrt und in Lederkluft auf ihrem Motorrad durch London fährt, um Arbeiter für ihr Unternehmen zu mobilisieren, wirkt sie wie eine moderne Heldin der Arbeit. Wenn in einer der ersten Szenen der trottelig liebenswürdige Pubbesitzer Andy (Raymond Mearns) dann auch noch die Theorie aufstellt, dass Frauen irgendwann eine bessere Welt beherrschen werden, in der Männer keinen Nutzen mehr haben, könnte man meinen, es ginge dem Film lediglich darum, die weibliche Vernunft in einem David-gegen-Goliath-Kampf zu idealisieren. Doch Loach hat mit seiner ambitionierten und etwas naiven Protagonistin anderes im Sinn.

Es dauert nicht lange, da gerät Angie in Versuchung, auch von Schwarzarbeitern zu profitieren, und als sich eine der Geld gebenden Firmen von einem Tag auf den anderen in Luft auflöst, muss sie sich entscheiden, ob sie wieder mit leeren Händen das Feld räumt oder die Arbeiter um ihren Lohn prellt. Der Titel des Films erweist sich mit fortschreitender Handlung als pure Ironie, denn von der darin gepriesenen freien Marktwirtschaft bleiben schließlich nur die Schattenseiten. Aus seiner sozialistischen Gesinnung macht Loach keinen Hehl, weshalb sich die Geschichte der sympathischen Angie, die durch das kapitalistische System verdorben wird, mitunter wie ein Brecht’sches Theaterstück liest. Die wirtschaftlichen Umstände machen aus der gewissenhaften Arbeiterin eine gierige Unternehmerin.
Das Kunststück des Films ist es, diese etwas didaktische Handlung über eine hohle Kapitalismuskritik hinauszubringen. Loach gelingt das, indem er ambivalente Standpunkte in seine Geschichte mit einbezieht und die Figuren darüber diskutieren lässt. Wenn Angie etwa die Arbeit gegenüber ihrem Vater, einem klassischen Vertreter der britischen Arbeiterklasse, damit rechtfertigt, dass sie ihrem Sohn eine Zukunft bieten möchte, entgegnet dieser, dass er später keine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben wird, wenn er mit Billigarbeitern aus Entwicklungsländern konkurrieren muss. Der Film gibt keiner der Figuren wirklich recht, sondern lässt jeden Standpunkt nachvollziehbar. Doch nicht nur die verschiedenen ideologischen Haltungen werden in ihrer Komplexität erfasst, sondern auch die widersprüchliche Figur Angies. Ihr Charakter bleibt stets so facettenreich und spannend, dass man sie nie eindeutig als Opfer oder Täterin sehen kann.

Der Besuch bei einer Flüchtlingsfamilie ist einer der wenigen Momente, in denen sich Loach für kurze Zeit dem Sozialkitsch nicht verwehren kann. Untermalt von einer mit Orientalismen geschmückten, betont melancholischen Musik, bleibt das Schicksal der Familie zu formelhaft geschildert. Dabei hätte der Film mit seiner reduzierten, aufs Notwendige beschränkten Inszenierung so einen sentimentalen Augenblick gar nicht nötig gehabt. Die Handkamera, die wenige Musik und die Darbietungen der Laiendarsteller folgen einem erzählerischen Funktionalismus. Das Hauptaugenmerk von It’s a Free World liegt dabei fast ausschließlich auf Angies Werdegang in der Arbeitswelt. Das geht sogar so weit, dass selbst ihre Beziehung zu dem polnischen Hilfsarbeiter Karol (Leslaw Zurek) und die zu ihrem vernachlässigten Sohn Jamie (Joe Siffleet) nur am Rande behandelt werden.
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