Irrational Man – Kritik

Der Mord als ethischer Vollzug. Woody Allen ist von seiner eigenen Schnapsidee so ganz und gar nicht überzeugt.

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Von Philosophie im fachlichen Sinne des Wortes hält Woody Allen freilich überhaupt nichts. Abe Lucas (Joaquin Phoenix), dieser versoffene, aber hoch angesagte, (wannabe-)radikale Philosoph wird es einmal aussprechen, was frustrierte oder abgelehnte Philosophiestudenten gerne als Entschuldigung anbringen: Philosophie, das ist Masturbation in Begriffen. So etwas sagt der, der beim Knabbern am Gedanken Angst um seine Zähne hat. Allens senile und mit den Denkfaulen unter den Geheimniskrämern solidarische Vision von einer philosophischen Fakultät eines kleinen Colleges soll freilich ganz ironisch daherkommen. Natürlich geht es bei ihm auch nicht eine Sekunde um das Denken, natürlich geht es um dessen Parodie, um das Namedroppen. Allen hat einen Mordsspaß daran, Kant, Kierkegaard, Heidegger, Husserl und Sartre in ihren jeweiligen Wikipediafassungen in Serie zu schalten, ganz als würde diese Serie von sich aus den verblüffenden Zusammenhang garantieren. Abe tut nichts anderes: Dieser und jener sagt dieses und jenes, und schon lässt sich über Zitate streiten. Seine Seminare funktionieren nach diesem Modell: Jeder schleudert seine ersten Impulse in die Runde, jeder gebärdet sich radikal. Nicht über diese hinaus zu kommen, ist ein Problem der Philosophie, es ist aber auch das Problem von Irrational Man.

Heidegger oder das kurze Kleidchen

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Es gibt keinen Grund, so hört man Allen herauskichern, sich an der Philosophie abzuschleppen, wenn man seine Figuren doch auch einfach auf dem Ponyhof (dieser ist in dem Fall keine Metapher) abstellen kann. Ihm geht es ums Gewicht: Bücher wiegen schwerer als das kurze Kleidchen, das man zum Sonnenuntergang am See trägt, als sei der Praxis des Denkens damit bereits das sehr viel tragfähigere Motiv des Handelns oder Erfahrens entgegengesetzt. Irrational Man, das steht fest, ist weder ein Film über Philosophie noch ein Film wider die Philosophie; aber er ist ein Film, der mit dem Versprechen aufwartet, unterhaltsamer zu sein als die Philosophie – ein Versprechen, mit dem auch der verkrampfteste Geistesmensch etwas anzufangen weiß. Das, und nicht die Lehre des Denkens, hätte Woody Allen weitaus ernster nehmen können. Irrational Man ist eine Ratzfatz-Produktion par excellence, er ist im Grunde ein ungelenker Klops, bestehend aus primären Impulsen. Einfälle, die im ersten Moment witzig erscheinen, aber denen man den zweiten Gedanken, sei er nun Widerruf oder Feinschliff, schon wieder untersagt. Dass ein Philosoph den Mord als moralische Praxis ausruft, das in etwa ist die Eingebung, mit der Allen irgendwann aufgewacht zu sein scheint – als Idee mit Sicherheit nicht unspektakulär; damit auch noch die Philosophie aufs Korn zu nehmen, ist dann endgültig aussichtsreich; nichts daraus zu entwickeln, was über eine träge Krimirevue hinausgeht, ist dann aber wässriger als jede masturbatorische Hypotaxe. Die philosophische Sprengkraft jenes Mordes, der das Zentrum von Irrational Man bildet, ist ebenso irrelevant wie dessen Ausführung und Ermittlung.

Nicht genug Nichts

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Abes knittrige Dozenten-Sakkos sind irgendwie nicht beige genug, seine Wampe nicht rund genug, sein Whisky nicht billig genug. Seine Verehrerinnen, die Kollegin Rita (Parker Posey) und die Studentin Jill (Emma Stone), sind nicht besessen genug, nicht zickig genug. Alles ist konstant zu einem Viertel oder weniger, aber eben leider auch nicht gar nicht – das wäre fast zu wünschen. Ununterbrochen wird irgendwas geplappert, es laufen die Organe heiß, wie bei schlechten Komikern, die erst dann wieder durchatmen, wenn der Erste sein mitleidendes „Haha“ kredenzt; und sobald den Leinwandtrödlern mal die Luft ausgeht, machen sie sich aus dem Off wichtig, präsentieren sie ihre abermals ungenügend naiven Erleuchtungen. Dieses Dauergequassel ist leider kein Leerlauf, irgendwas will doch gesagt werden, auf irgendwas steuert dieser filmische Klops dann doch zu, und sei es nur die klamaukige Pointe, die dann doch zu sympathisch ist, als dass sich darüber schon grinsen ließe. Woody Allen hatte keinen Bock, vielleicht auch keine Zeit, jedenfalls kein Interesse an seiner eigenen Schnapsidee. Scoop – Der Knüller (2006) war vielleicht sein letzter Film auf diesem Niveau; dort ist wenigstens ein Smart gegen einen Brunnen geknallt. Von Kant sagt man gerne (und vielleicht noch soviel zu Allens Verteidigung), er sei der Humorloseste der westlichen Geistesgeschichte. Dass Allen am Ende einen Mord mittels eines Hannah-Arendt-Zitats aufdecken lässt, ist jedenfalls dann doch komisch genug, um Kant nicht noch diesen Adel streitig machen zu müssen.

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