Irradiated – Kritik
Rithy Panhs Triptychon über den Krieg im 20. und 21. Jahrhundert ist im besten Fall eine Rückkehr zur Einfachheit. Im schlimmsten Fall macht Irradiated den Genozid zur Collage.

Die Strahlung, die der Titel andeutet, teilt sich in Rithy Panhs neuem Film in drei Bildsegmente. Für einen Großteil der Laufzeit ist die Leinwand, auf die das menschliche Elend des 20. und 21. Jahrhunderts projiziert wird, geteilt. Scharfe Linien teilen das Leid wahlweise in ein Triptychon, drei verschiedene oder drei identische Bilder. Sie laufen mal synchron, mal leicht versetzt, mal rückwärts, immer aber als Aufruf zum Hinsehen über die Leinwand. Irradiated (Irradiés) lässt sich als Versuch beschreiben, das von Krieg verursachte menschliche Elend im 21. Jahrhundert darzustellen und damit das zu tun, was, laut Susan Sontag, nur Bilder können: den gerade eintretenden Tod für immer festhalten und sichtbar machen. Natürlich ist das, was wir wahrnehmen (um noch einmal mit Sontag zu sprechen), nur ein Bild eines Krieges, der für uns in zeitlicher, geografischer und geistiger Ferne liegt. Wer Irradiated sieht, ist damit auch immer mit der Frage konfrontiert, ob eben diese Bilder von Tod und Schmerz geeignet sind, das Leid zu vermitteln, zu übertragen, erfahrbar zu machen oder zu reflektieren, das die Menschen empfunden haben, die dem Krieg zum Opfer gefallen sind.
Bedrückende Rückkehr zur Einfachheit

Rithy Panhs gesamtes Œuvre ist diesen Menschen gewidmet. In seinem wohl bekanntesten Film S-21: Die Todesmaschine der Roten Khmer (S21, la machine de mort khmère rouge, 2003) näherte sich der kambodschanische Regisseur dem Genozid eben nicht über direkte Abbildungen der Gräuel, sondern widmete sich dem Schicksal der Opfer über die persönliche Erzählung. Sein 18. Film sucht nun den gegenteiligen Ansatz und zeigt in dreifacher Ausführung Bilder vom Leid im 21. Jahrhundert. Im besten Fall ist Irradiated eine bedrückende Rückkehr zur Einfachheit. Ein Korrektiv zur ewigen, spätestens mit der Postmoderne intellektuell salonfähig gewordenen Ausrede, die Sache sei eben doch komplexer. Ist sie eben nicht. Was wir auf der Leinwand betrachten, ist die unweigerliche Folge bewaffneter Konflikte. Das Leiden der Zivilbevölkerung, die mit Brandwunden übersäten Kinder, die Kriegszitterer, die leeren Augen der Opfer sind das, was auf den Krieg folgt.

Der nicht abreißende Strom dieser Bilder wandelt sich schließlich auch zum schlimmsten Fall der Betrachtung dieses Elends: Ein nicht mehr erfassbares Gesamtbild, das die Millionen von Schicksalen miteinander vermengt und mit einer Geschwindigkeit abarbeitet, die es unmöglich macht, die individuelle Tragödie, den empfundenen Schmerz und das Leid noch zu erfassen. Der Genozid als Collage. In ihr werden Auschwitz, Kolyma, Dresden und Choeung Ek; werden Grabenkrieg, Atompilz und Apartheid vermengt. In ihr sind Hitler, Mao und Pol Pot Inkarnationen der gleichen Bösartigkeit. Es sind gefährliche Gleichnisse, die dann doch wieder nach dem ewigen Einspruch verlangen: Die Sache ist eben doch komplexer.
Eine Energie, die nie für die Hände der Menschheit gedacht war

Das Voice-over, gesprochen von einer Männer- und einer Frauenstimme, gibt sich mal elegisch und dient mal der direkten Aufforderung hinzusehen, einmal, noch einmal, hundert mal. Die Aufforderung muss wie diese Bilder wiederholt werden: Das Böse sitzt tief. Wie tief, zeigen aber weniger die Bilder der Gräueltaten, sondern jene, die das Böse als etwas Transzendentes begreifen. Auf das oft wiederholte Motiv des Atompilzes folgen mehrmals Bilder der Sonne. Eruptionen reißen Teile aus ihrem roten Körper. Eben diese Teile, so behauptet das Voice-Over, sind die Energie, die der Mensch sich untertan gemacht hat. Eine kosmische Energie, mit der die Menschheit eine bis dahin ungeahnte Fähigkeit zur Vernichtung erhielt. Es ist ein Bild, das mich mehr verfolgt als die Bilder des Todes, die so direkt und nah sind, dass ich sie direkt abblocke. Der Sonnensturm aber, als Abbild einer kosmischen Energie, die nie für die Hände der Menschheit gedacht war, scheint mir am ehesten die höllische Strahlung wiederzugeben, die wir, wie uns einmal mehr das Voice-over berichtet, alle erfassen und durchdringen muss, bevor wir wirklich verstehen. Wenn wir es denn können.
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