Infinite Football – Kritik
Den Meister des rumänischen Low-Key-Kinos zieht es weiter ins Fragen über Freiheit und Gesetz. Mit Infinite Football gelingt ihm einmal wieder kein unbeschwerter, aber ein sehr geradsinniger und schöner Film.
Grundzüge des Werks von Corneliu Porumboiu sind sein trockener Humor und die zunehmende stilistische Knappheit. Bezeichnend für beides ist das biografische Off-Gespräch zwischen Vater und Sohn in The Second Game (2014). Im On läuft, mit Schnee und Bildrauschen, eine alte Videoaufnahme eines Fußballspiels zweier rumänischer Mannschaften. Der Vater sagt, Sport sei wie das Kino, es gehe um Augenblicke, die schnell wieder vergessen werden. Der Vater: Daraus wird kein Film. Der Sohn: Das sehen wir mal. Und während er das sagt, gibt es diesen Film natürlich bereits, und man staunt, was hier und überhaupt im Kino alles sein darf. In Police, Adjective (2009) realisiert Porumboiu keinen Wende-, vielmehr einen Höhepunkt rund ums Vorlesen von Wörterbucheinträgen. Diesem statisch gefilmten, minimalistisch-semantischen set piece fehlt es an nichts: Die moralische Verzwicktheit auf der einen Seite und die sokratische Gesprächslenkung auf der anderen hat es in sich. Und so kann eine der anwesenden Figuren zu den zwei anderen sagen: Das, Jungs, was wir hier tun, ist Dialektik. Sehr profan und provinziell das Ganze, keine Frage, aber diese schlichte Deutlichkeit schlägt in ihren Bann.
Fußballregeln neu erfinden

Im wunderbaren neuen Film Infinite Football kehrt Porumboiu nach The Second Game zu dokumentarischer Form zurück und führt diese auch thematisch weiter. Wir lernen Laurentiu, äußerlich ein Mann in seinen Vierzigern, innerlich ein großes Kind, auf einem Sportplatz kennen. Auf diesem Sportplatz, sehr lange ist es her, spielte er Fußball und verletzte sich. Die Verletzung hatte Folgen, mit dem Spielen war es aus. An derselben wunden Stelle trifft es ihn körperlich eine Weile später noch einmal. Laurentiu erzählt und macht nach, wie er mit dem schmerzenden Bein sich langsam von der Arbeit nach Hause schleppte, wie ihm niemand und nichts zur Hilfe stand. Damals und im Augenblick des Zeigens imaginiert er sich merklich wie einen einsamen Helden. Wie damals vor dem Ball steht er jetzt vor einer Aufgabe, und wie später ganz alleine auf der rumänischen Landstraße ist er heute in einer Mission unterwegs und gibt sich nicht geschlagen. Ab und an spürt man ihn und sieht man in den traurigen Augen auch das innere Zaudern.

Nicht mehr und nicht weniger – Laurentiu will die Fußballregeln neu erfinden. Wie das? Die zwei Mannschaften teilt er in Untermannschaften auf, die zwei Feldhälften gliedert er in weitere Hälften et cetera. Spitze Ecken sind nicht gut, also rundet er sie ab. Das Spiel werde dadurch entschleunigt, die Spieler seien statischer, die Verletzungsgefahr geringer. Natürlich steht er mit seiner abstrusen Idee zu vielen Dingen im Widerspruch: der gelebten Erfahrung, der Logik und der totalen Tatsache, die Fußball als Star-, Geld- und Spektakelmaschine inzwischen darstellt. Laurentiu dreht die neuen Regeln und Verbote hin und her; wenn er ins Stocken kommt, fängt er wieder von vorne an. Merkwürdigerweise will er damit auf nichts als die Freiheit hinaus, die er sich entsprechend als Ergebnis eines mühsamen und stiftenden Kalküls denkt. Das mag verwundern, aber lassen sich Freiheit und Zwang kategorisch denn so leicht voneinander trennen, sind sie nicht vielmehr in ein und dasselbe Spiel verwickelt? Das, Jungs, was wir hier tun, ist wieder einmal Dialektik. Im Bewusstsein, jemand Besonderer zu sein, bezeichnet Laurentiu sich selbst als Superman. In seiner märchenhaften Spaltung ist er jemand, der aus der platonischen Höhle ans brennende Licht der Erkenntnis hinaustritt und dort aber wieder hineinmuss, um seine Mitmenschen aufzuklären.
Beide in ihren Schleifen

Sollte man beim Lesen den Eindruck bekommen, dass Porumboiu seinen Helden bloßstellt – das tut er keinesfalls. Auf der Arbeit, zu Hause, sonst wo ist er stets mit im Bild und führt uns vor Augen, dass jeder die eigene Vergangenheit stets mit sich trägt. So manches an dieser vorgefundenen Geschichte versetzt den Regisseur offenbar ins Staunen. Corneliu und Laurentiu, beide in den eigenen Schleifen, spiegeln einander, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, in ihren Fragen und Obsessionen. Und wie es die Figuren in den Filmen des Rumänen immer tun, gehen auch hier der Regisseur und sein Protagonist miteinander stets delikat, aber beharrlich, aufmerksam, aber trotzig um. Die Analogie zwischen dem Spiel und dem Kino ist hier unvermeidlich. Kadrage, Mise-en-scène, Schauspiel und Dialogzeilen, Finanzierung und die daraus resultierenden Zwänge genauso wie die Entscheidung darüber, ob eine gefilmte Einstellung schon gut genug oder doch lieber noch einmal wiederholt werden soll – all das ist von Erwartungen und Vorschriften betroffen, alles handelt von Freiheit und Gesetz. Infinite Football, gut so, wie er ist, ist kein unbeschwerter, aber ein sehr humorvoller und – man kann es gar nicht anders sagen – ein sehr humanistischer Film.
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