In Zeiten des Teufels – Kritik

Teuflisch gut, kaum zu ertragen: In Lav Diaz’ In Zeiten des Teufels versuchen alle, den zaudernden Dichter wachzusingen. Der greift zur Schreibmaschine, wieder einmal zu spät.

Der philippinische Regisseur Lav Diaz ist als jemand bekannt geworden, der sehr lange Filme dreht, aber es ist nicht die Dauer, die sein Schaffen ausmacht. Auch sein neuer Film, In Zeiten des Teufels (Ang panahon ng halimaw), ist kein simples Kino der Aktion – das sowieso nicht –, aber auch nicht die Utopie eines „anderen“ Kinos. Einmal mehr mischt Lav die Karten neu, keinen Stein lässt er mehr auf dem anderen liegen, keinen Bezug mehr zum Vertrauten bestehen. Sein Werk kennt man inzwischen, man knüpft Erwartungen daran, und vieles tritt auch ein, aber ganz gefasst kann man auf das, was dort auf einen zukommt, doch nie wirklich sein. Das ist nichts Mögliches, und doch geschieht es. Keiner ist so bad wie Lav, und keiner so sanft.

Aus dem Realen ins Mythische

In Zeiten des Teufels ist weder auf Inhalt noch auf Form, weder auf die Ausgangslage noch auf die Auflösung fixiert. Vielmehr ist dieser Film ein langer und insistierender Akt der Mediation – der Filmvermittlung im wahrsten Wortsinn. Die Geschichte wird gesungen. Und diese Geschichte, en gros wie en detail, ist Geschichte des Landes, Geschichte als Medium, und Erzählen als solches. Auf der faktischen Ebene schreiben wir das Jahr 1979, der Diktator Marcos ruft das Kriegsrecht aus. Die CHDF, Civilian Home Defense Forces, sind aus der Zivilbevölkerung rekrutierte paramilitärische Einheiten mit dem Ziel, Rebellen, Revolutionäre und Kommunisten zu verfolgen. Die CHDF verüben unzählige Menschenrechtsverletzungen, sie morden und vergewaltigen unschuldige Bürger und plündern ihre Habseligkeiten. Ihre Maschinengewehre immer bei sich: ein Mann mit zur Hälfte entstelltem Gesicht, eine burschikose Frau, ein janusköpfiger Kapitän Narciso.

In Zeiten des Teufels ist ein skurriles Reenactment aus dieser Zeit, und wie immer bei Lav Diaz geht es aus der Stadt in den Urwald, aus dem Realen ins Mythische. Ein Ochse zieht die Karre mit dem Ladegut, alles wickelt sich ins wuchtige Gewächs. Tag wird zur Nacht, Nacht wird zum Tag – das Lav’sche Schwarz-Weiß ist die Kunst des Chiaroscuro und der grellen Lichter. Dieser Urwald ist kein Paradies, das sowieso nicht, dafür umso mehr ein Labyrinth, ganz Wildnis und auch bühnenhafte Kulisse. Eine Hexe taucht auf, sie hat alles verloren, Mann und Kind, und bei ihr, wie bei dem Film, ist kein Stein mehr auf dem anderen geblieben. Die Hexe heult, die Eule antwortet, die Milizen lauschen. Eine Geschichte wird vorgelesen, ein Krankenhaus aufgebaut und wieder zerstört. Dinge wie diese passieren, aber alles bleibt obskur und diffus. Die Zeit vergeht, der Film dauert, und wir sitzen darin immer aufs Neue auf den Trümmern, auf dem Trockenen.

Unmögliches Musical

In Zeiten des Teufels ist ein unmögliches Musical. Es wird gesungen – a cappella, unisono und gegeneinander; gesungen, wie man Schlager singt, mit Lalala-Refrain und viel Gefühl. Die leitmotivisch wiederkehrenden Lieder handeln von der imaginären Krankheit, die das Land befallen hat, von Rivalität, Kämpfen und Gerechtigkeit, von lauernden Schatten und Geistern, die einen heimsuchen. Die Bewaffneten singen, dass sie bewaffnet sind, die Gequälten, dass die Welt keine Sicherheit mehr bietet – der Regisseur ist auch für die Liedtexte verantwortlich. Trotz der herzzerreißenden Tragik ist das Ganze ab und an abwegig komisch. Die Figuren sind ganz zu Sprachrohren geworden, zu personalisierten Ideen von Gut, Böse, Angst, Trauer, Verzweiflung und schlechtem Gewissen – jeder muss bei Lav Diaz das Nötige tun. Eine Ärztin muss heilen und helfen, ein Dichter muss schreiben. Doch der Dichter namens Hugo Haniway ist von seiner Berufung abgetreten. Er lässt eine Frau im Stich, säuft, schläft, weint, beleidigt eine andere Frau, bleibt in der Stadt, wo er sich doch auf den Weg und an die Arbeit machen sollte. Alle Lieder sind dafür da, ihn wachzusingen, weil Geschichte geschrieben werden muss, damit sie greifbar wird. Keine Gräueltat, kein unschuldiges Opfer darf vergessen werden. Wache auf, oh, Kind des Vaterlandes! Der Dichter hat Angst, ist unentschlossen, will den an ihn gerichteten Appell nicht gewahr werden – ein über die Dauer des Films sich erstreckendes Zaudern, haarsträubend.

Da, wo die Erzählung sein soll, ist das Zaudern – das Medium fehlt, umso mehr fehlt das Volk. Dieses Thema zieht sich durch das ganze Werk von Lav Diaz, seine radikale und konsequente Poetik scheint paradoxerweise nur darauf angelegt zu sein, eine Verbindungslinie, eine entschiedene Form für das Formlose zu finden. In Zeiten des Teufels, hier greift der Dichter kurz vor dem Ende doch zur Schreibmaschine, wieder einmal zu spät. Ein neuer Film wird geschrieben? Lav Diaz sagt, er drehe immer nur an einem einzigen, sehr langen Film weiter. Vielleicht ist diese Episode nicht ganz so berauschend geworden, aber die nächste kommt doch hoffentlich bald. Seine Aufgabe, das Unmögliche zu tun, hat der Regisseur auch In Zeiten des Teufels ohnehin wieder einmal erfüllt.

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