In guten Händen – Kritik
Angst vor dem Weib, Angst vor der Armut.

Die Zusammenfassung, die die IMDb zu Tanya Wexlers In guten Händen anbietet, ist so schön, dass sie hier einmal zitiert werden soll: „A romantic comedy about the invention of the vibrator.“ Das klingt erst mal schräg: so ein braves Genre wie die RomCom und so ein anrüchiges Thema wie maschinengestützte Masturbation. Aber im Falle von Hysteria, so der Originaltitel, passt das ganz wunderbar zusammen. Wexler hat mit einem starken Cast, ausgesucht schöner Bildsprache und einem verdammt cleveren Drehbuch einen überschwänglichen, lebensbejahenden Film gedreht, der zu gleichen Teilen weich und deftig ist.
Das fängt bei den schwelgerischen Sets des viktorianischen London an, die bis zum Bersten gefüllt sind mit allerhand Tand, Ebenholz und Stuckdecken. Einer dieser Räume ist die Praxis Dr. Dalrymples (Jonathan Pryce), der sich den von einer grassierenden Epidemie heimgesuchten Damen der feineren Londoner Gesellschaft annimmt. „Erkrankt“ sind sie an Hysterie, jener Pseudo-Psychose, die männliche Mediziner bis in die 1950er Jahre als Deckelbegriff für das ganze Potpourri ihnen unerklärlichen weiblichen Verhaltens heranzogen. Unter die Symptome fallen, wie in der großartigen, komischen Eröffnungssequenz des Filmes aufgereiht wird: Wetterfühligkeit, Launen, Phlegma, Heulkrämpfe, Ausschläge, Stimmverlust etc. pp. Und auf all dies hat der brave Dr. Dalrymple stets ein und dieselbe therapeutische Antwort: Zwecks Stressminderung werden bei der Patientin durch vaginale Stimulation spannungslösende Kontraktionen hervorgerufen. Oder, knapper: Er besorgt es ihnen, bis sie kommen.

Aus genau dieser Differenz zwischen dem derben Gehalt und der feinen Verpackung, zwischen der weiblichen Lust und den allerlei haarsträubenden Sublimierungen seitens der „Mediziner“ zieht In guten Händen einen Großteil seines Witzes. Zum Schreien komisch zum Beispiel ist das mit karmesinrotem Samt ausgekleidete Gardinenkästchen, das der „Frauenarzt“ aus Gründen der Sittlichkeit zwischen sich und seine Hysterikerinnen schiebt. Nun mag solcherlei Behandlung den Damen wohl gefallen, den männlichen Unterarmmuskeln spielt sie gar übel mit. Und so kommt Dr. Dalrymples Gehilfe (Hugh Dancy) nach einem Krampfanfall auf eine sehr folgenreiche Idee, denn das ausgehende 19. Jahrhundert war auch jene Epoche der Elektrizität, der verrückten Erfinder … Bald ist der Vibrator geboren, und nun bleibt dem erfolgsverwöhnten Jungmediziner nur noch zu wählen zwischen den beiden auf höchst unterschiedliche Weise attraktiven Töchtern des Herrn Doktor: sittlich oder ungestüm?
Der Körper, der weibliche zumal, war damals mysteriös und tendenziell bedrohlich. Und nichts gruselte den rationalen strammen Mann mehr als das Wissen (oder die Weigerung, selbiges anzuerkennen) um seinen obszönen Eintritt ins Leben. Die Geburt aus der Vagina, sie ist dem distinguierten Gentlemen ein Graus und ein Rätsel. Dr. Dalrymple hängt nun auch der Theorie an, die einzig medizinisch vertretbare, wissenschaftlich redliche Erklärung für die Hysterie sei eine physische: Die Damen litten an einem Defekt der Fortpflanzungsorgane, „a mutated uterus“. Damit ist der Film in seinem thematisch stärksten Feld angekommen, tief im prä-freudianischen Sumpf medizinisch-psychologischer Quacksalberei.

In der gleichen Epoche, in der in guten Händen spielt, ließ Nietzsche seinen Zarathustra den gewagten Ausspruch tun: „Alles am Weibe ist ein Rätsel, und alles am Weibe hat eine Lösung: sie heißt Schwangerschaft.“ Dazu schreibt Günter Schulte in seinem kurzweiligen Text (www.guenter-schulte.de/download/vortrag_wahrheit_weib.pdf) über Nietzsche und die Wahrheit, die Griechen, und mit ihnen ihr Fan Friedrich Nietzsche, sublimierten die Weibersache des Kinderkriegens zur Männersache geistiger Geburten. In guten Händen ist ein Film über eine solche grausige männliche Geburt: die „Hysterie“ eben. Aber es ist ein zarter, sehr lustiger Film, einer, der die richtigen Schlüsse zieht: Nicht den weiblichen Körper gilt es zu therapieren, sondern den männlichen Geist.
Doch In guten Händen nimmt dieses ganze Feld des (meta-)physischen Geschlechterkampfes letztlich nur als Sprungbrett, um sich anhand der Figur von Dr. Dalrymples Tochter Charlotte (Maggie Gyllenhall) über mehr als nur die Verrücktheiten der sexuell frustrierten upper class-Damen Gedanken zu machen. Denn, so die starke These: Nichts hält den Körper besser im Zaum als sklavengleiche Arbeit, nicht einmal ein restriktives Korsett aus sozialem Zwang und Etikette. Und auf einmal ist man vom höchst amüsanten Sittengemälde in der Sozialkritik angelangt, in den Ausbeutungszusammenhängen der britischen Hardcore-Industrialisierung. Charlotte ist nämlich „ihrer Zeit voraus“, wie man so schön sagt, sie ist sozial engagiert in einem Armenhaus, verbrät das Geld der feinen britischen Gesellschaft zum Wohle derer, die diese tragen und bauen.

Doch so löblich diese Akzentverschiebung inhaltlich ist, so feinfühlig sie in Momenten vollzogen wird: Richtig gut verträgt sie der Film nicht. Die schmucken Kostüme, die Wunderkammern gleichenden Setbauten, das sanft-weißliche Licht, all das steht den Lebenswelten der höheren Gesellschaftsschichten besser als den niederen. Man braucht wohl nicht darauf herumzureiten, dass Prunk mit seinen Oberflächenexzessen nun mal fotogener ist als Tristesse, aber Regisseurin Wexler findet keine Bildsprache, die beide Welten gleichermaßen treffend darzustellen vermag.
Die Stränge sozialer und sexueller Gerechtigkeitsdynamiken werden zuletzt in einem Gerichtsprozess gegen Charlotte recht hemdsärmelig verknotet, wenn auf einmal die „Frau“ und die „Unterdrückten“ in Personalunion vor dem Richter stehen sollen. Da wurde doch sehr stark konstruiert, und die beachtenswerten sozialen Botschaften werden durch das äußerst klassisch entwickelte Genremuster etwas unter Wert verkauft. Aber sei’s drum: In guten Händen ist ein außergewöhnlicher, auch außergewöhnlich unterhaltsamer Film und die schlauste, gewitzteste RomCom seit Langem.
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