Im Wasser der Seine – Kritik

Neu auf Netflix: Beim Hai-Angriff auf Paris hebelt Xavier Gens’ Film alle Regeln der Biologie aus. Doch im Gegensatz zu den Sharknados dieser Welt behandelt Im Wasser der Seine sein hanebüchenes Sujet mit heiligem Ernst.

Meeresbiologin Sophia (Bérénice Bejo) ist geschockt, als sie den Kadaver eines jungen Hais untersucht. Er gehört zu einer neuen, mutierten Art der Raubtiere, die deutlich anpassungsfähiger und gefährlicher ist als alle bekannten Meereslebewesen. Im Vorbeigehen zeigt Sophia auf einen Knubbel neben der Schnauze und erklärt sich und dem Polizisten Adil (Nassim Lyes), dass dieser es den Fischen erlaubt, im Süßwasser der Seine zu atmen. Es ist haarsträubend und absurd, wie hier Wissenschaft und Meeresbiologie dreist behauptet werden. Leicht ließe sich Im Wasser der Seine (Sous la Seine) nicht nur in dieser Szene vorwerfen, dass er unlogisch, billig und faul ist. Im Gegenteil findet sich aber gerade hier der deutlichste Marker des heiligen Ernstes, mit dem Regisseur Xavier Gens das Gefühl einer (gesellschaftlichen) Apokalypse in ein Horrorsujet übersetzt, dessen Schrecken sich zunehmend ausweitet.

Großes Büffet für Haie

Wie ernst es Im Wasser der Seine im Gegensatz zu den Sharknados dieser Welt meint, zeigt sich unmittelbar darauf. Der Hai sei erst zwei Wochen alt, stellt Sophia ebenso schnell fest, aber wie sich herausstellt, ist das Junge schon schwanger – ohne dass es eines männlichen Tieres bedurft hätte. Sie schneidet den Bauch auf, und der Seziertisch wird umgehend mit Haifrühchen geflutet. Der Anblick ist glitschig und eklig, vor allem bedeutet er, dass eine Epidemie ansteht, die kaum noch aufzuhalten ist. Alle Regeln der Biologie sind ausgehebelt. Mit Mutationen wird das Phänomen begründet, das Problem ist aber viel grundlegender. Der Film nimmt einen Hai und macht aus dem gerade allgegenwärtigen Gefühl, dass die Welt aus dem Tritt geraten ist, einen Albtraum, der einfach nicht mehr auf die Regeln der Welt hört.

Die Geschichte beginnt mitten im Großen Pazifischen Müllteppich. Sophias Mitarbeiter und ihr Lebensgefährte tauchen unter dem Müll und warten auf einen Hai, den sie vor einiger Zeit mit einem Sender ausgestattet hatten. Das Tier ist aber inzwischen nicht nur viel größer, als es sein dürfte, sondern entspricht auch dem Klischee des blutrünstigen Mörderfischs, dessen sich in Filmen immer wieder bedient wird. Einige Jahre später: Sophia lebt inzwischen traumatisiert in Paris, als sie darauf aufmerksam gemacht wird, dass der angebrachte Sender inzwischen aus der Seine funkt. Es folgt, was folgen muss: Warnungen werden nicht ernst genommen, Menschen sterben. Was jenseits des Blickfelds im trüben Wasser lauert, stellt sich meist als noch grauenerregender heraus als das, was dort vermutet wurde. Ein prestigeträchtiger Triathlon wird nicht verschoben, sondern fährt ein großes Büffet für Haie auf.

Fast eine Tongue-in-cheek-Komödie

Die grundlegenden Koordinaten sind klar. Der Plastikmüll bietet das sehr eindrückliche Bild einer verschmutzten Welt, die den Keim der Apokalypse ausbrütet und die Menschen auch dort heimsuchen wird, wo sie sich sicher fühlen. Handeln wäre angebracht, aber links und rechts von Sophia (und Adil) finden sich militante Tierschützer, die die Natur romantisieren und in hoffnungsvollen Happenings das vermeintlich grundlos dämonisierte Tier streicheln und zum Meer zurückführen wollen – und dafür kategorischere Maßnahmen sabotieren – oder eben Politiker, die nur an Profit und Status denken und die keine Ohren für die Warnungen Kassandras haben.

Dieser Aufbau ist moralisch sehr strikt. Die Tierschützer links, die Bürgermeisterin rechts, sie alle sind nur da, um sich fanatisch in ihre Ideologien einzurollen und sehr konsequent zu ernten, was sie säten. Vom Film werden sie lustvoll als Unsympathen aufgebaut, die nur allzu gern ihrer Verbohrtheit zum Opfer gebracht werden und zwischen Haizähnen enden. Auch hier findet sich der heilige Ernst, mit dem diese hanebüchene Schwarzweißmalerei ohne Rücksicht auf Verluste durchgezogen wird, dass sie eben kaum noch ernst zu nehmen ist. Das Ganze mutiert so zur Tongue-in-cheek-Komödie.

Einen Tick zu zahm

Verbunden damit ist der Hang, immer noch mehr aus der Ausganglage herauszuholen, immer noch einen draufzusetzen. Aus einem (mutierten) Hai im Meer werden mehr und mehr und mehr. Manchmal bekommen wir drei Haie, wenn wir einen erwarten. Manchmal erwarten wir einen simplen Schrecken, bekommen aber etwas, das dem Weltuntergang gleichkommt. Und Gens findet, dazu passend, vielleicht erstmals in seiner Karriere durchgängig Bilder, di unerwartet, intensiv und over the top sind.

Dass für die Tricks sichtbar nicht allzu viel Budget zur Verfügung stand, stört dabei gar nicht mal so. Aber schade ist doch, dass Gens, trotz aller guten Anlagen, trotz eines durchgängig schönen Films, das letzte Quäntchen eben doch nicht herauszuholen weiß. Es ist schwer, das Gefühl loszuwerden, dass die Leute nicht noch makabrer, wilder, durchgedrehter sterben könnten. Dass die mannigfaltigen Potenziale nicht bis zum bitteren Ende eskaliert werden. Es fühlt sich nach so einem Film etwas seltsam an, es zu schreiben, aber Im Wasser der Seine ist doch einen Tick zu zahm.

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Kommentare


Corben

Man muss sich bei einem Drehbuch halt gar keine Mühe mehr geben. Wie wäre es mit Konservendosen aus dem Supermarkt die den Kunden die Hand ab beissen?
Macht genau so viel Sinn.






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