Il Mio Corpo – Kritik

Zwei abgehängte junge Männer vor postapokalyptischer Landschaft: Sizilien ist in Il mio corpo ein anderer Planet. Am besten ist Michele Pennettas Film, wenn er das Dokumentarische verlässt und ein christliches Heilsversprechen gibt.

In Il mio corpo zeigt Michele Pennetta uns in nur 80 Minuten, aber ohne jede Eile, eine Geschichte aus dem Leben zweier junger Menschen. Schauplatz ist das Sizilien der Gegenwart. Es bildet ein Panorama des wirtschaftlichen Verfalls, der Arbeitslosigkeit und des Verschwindens sozialer Sicherung, im Privaten wie im Öffentlichen.

Der eine Mensch, Oscar, ist noch Teenager und sucht mit seinem älteren Bruder und seinem herrischen Vater auf Schrottplätzen nach verwertbarem Altmetall. Wer das Sorgerecht für ihn hat, ist ungeklärt, und er weiß gar nicht, ob er lieber beim Vater oder bei der Mutter wäre.

Der andere, Stanley, ist aus Nigeria nach Sizilien geflohen. Sein Visum wird auslaufen, der örtliche Pfarrer verhilft ihm zu Gelegenheitsjobs. Beiden, Oscar und Stanley, ist das nicht genug, immer wieder starren sie in eine sich nicht manifestieren wollende Zukunft. Ihre Leben sind parallel montiert und eine Begegnung zwischen ihnen lange nicht abzusehen.

Beschreibung zweier Ist-Zustände

Regelmäßig tauchen Bilder und Themen in einem der beiden Handlungsstränge wieder auf, die uns schon im anderen begegnet sind. So sind wir angehalten, über Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser beiden konkreten Biografien zu reflektieren. Oscars Oma nimmt ihn, seinen Vater und seinen Bruder auf den Friedhof mit und reiht sie in eine große Familienhistorie ein. So recht anzufangen weiß Oscar damit nichts. Stanley klagt einmal, in Sizilien würden Schwarze behandelt, als hätte ihr Leben dort erst angefangen, als gäbe es keine (Familien-)Geschichte, die ihnen vorausgeht.

Mal sind sich beide Figuren ganz ähnlich. Ein andermal hat der eine, was dem anderen fehlt, und ist dennoch unglücklich. Um Ursachen geht es dem Film nicht, auch nicht um Lösungsansätze. Er möchte die reine Beschreibung zweier Ist-Zustände leisten. Er verbindet Vergangenheits- und Zukunftslosigkeit mit wenig feierlichen, aber dennoch heiteren Momenten.

Wenige Einstellungen richten sich auf etwas anderes als auf die Menschen in diesem Film. Sogar der Kirchenraum ist nur auf Bankhöhe fotografiert. Über die Leinwand zu bestimmen gelingt ansonsten nur noch der sizilianischen Landschaft. Sie trägt hier immer die einsamen, weitläufigen Züge des Westerns oder das hoffnungslos Verfallene der Postapokalypse. Stanley verrichtet seine Arbeit vor der Kulisse längst verfallener Infrastruktur, und Oscar sammelt die metallenen Überreste einer beinahe fremd wirkenden Zivilisation.

Abwesenheit aller Gegenwelten

Sizilien ist hier nicht Teil Italiens oder Europas, sondern ein anderer Planet. Und der kleine im Film offenbarte Weltausschnitt ist darin noch einmal auf sich allein gestellt. Dieses Prinzip gilt auch für Oscar und Stanley: Unter den Abgehängten sind sie noch einmal die Abgehängten. So abgehängt, dass man im ganzen Film niemanden zu Gesicht bekommt, der nicht Teil dieses Prekariats ist und auf eine Welt außerhalb verweist. Diese Abwesenheit aller Gegenwelten bedingt die Hoffnungslosigkeit von Il mio corpo. Das Leben verläuft von Tag zu Tag, die Protagonisten sind ihnen äußerlichen Mächten unterworfen – dem Vater bzw. dem Amt –, und nichts weist darauf hin, dass sich das irgendwann ändert.

Die an den Neorealismus gemahnenden Handlungsleerläufe und die Momenthaftigkeit geraten bisweilen an ihre Grenzen. Sucht der Film die Nähe zum Dokumentarischen, hat er allzu große Hemmungen, den Szenen Bedeutung mit an die Hand zu geben. Dann gibt es lange Blicke der Figuren ins Nichts, gestelzt realistisch anmutende Dialoge (meist eher Monologe), aber auch ein ruhiges Bewegungskino, fotografiert von Paolo Ferraris umherblickender Kamera.

Am besten ist Il mio corpo, wenn er das Dokumentarische verlässt und offensichtlicher inszeniert. Wenn er etwa das Religiöse mit dem Profanen kollidieren lässt: Zu Beginn findet Oscar im Schrott eine Madonna, die der Vater in La dolce vita-Manier an einem Seil heraufzieht. Bald darauf sehen wir Stanley den Fußboden einer Kirche wischen, sein schwarzer Körper abgehoben vom weißen Barockstuck. Ein christliches Heilsversprechen zieht sich in Bildern, Themen und dem finalen Musikstück durch den ganzen Film und trifft genau die Vagheit an Zukunftsaussichten, die die Protagonisten teilen.

Verirrte Schafe

Der Titel Il mio corpo, „Mein Leib“, ist demnach nicht nur ein Verweis auf die körperschindende Arbeit und die Verfügungsmacht über den eigenen Körper. Vor allem liegt darin die katholische Gemeindeidee, eine Zugehörigkeit zur Herde, wenn man so will. Stanley und Oscar werden im Film mit dem Schaf parallelisiert, das sich von der Herde verirrt hat. „Es wird schon wieder zurückfinden“, sagt der Schäfer und bringt darin die Abwesenheit jeder dauerhaften Gemein- oder Gesellschaft zum Ausdruck, die darzustellen ein Hauptanliegen des Films ist. Die Kargheit der sozialen Umstände und die der sterbenden Landschaft gehen hier Hand in Hand und betonen alles, was fehlt, wie zur Betonung der Bibelverse „Gott, du bist mein Gott, den ich suche. Es dürstet meine Seele nach dir, mein Leib verlangt nach dir aus trockenem, dürrem Land, wo kein Wasser ist“ (Psalm 63,2).

Religiösen Eifer trägt Il mio corpo dennoch nie zur Schau, dafür sind die Probleme seiner Protagonisten zu irdisch. Der Leib Christi wird vielmehr zur Möglichkeit der Hoffnung und Solidarität abstrahiert. Und Sizilien zur Warnung, die soziale Absicherung nicht verdorren zu lassen.

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