Ihre ergebenste Fräulein – Kritik

Berlinale 2024 – Forum: Mit der geduldigen Botanikerin Catharina Helen Dörrien zieht ein neuer Frauentypus ins Werk von Eva C. Heldmann ein. Ihre ergebenste Fräulein ist kein Plädoyer für die reine Natur, sondern eine assoziative Rekonstruktion einer Jahrhunderts, das weit entfernt scheint und der Gegenwart doch viel zu sagen hat.

Über zehn Jahre widmete sich Catharina Helen Dörrien der exakten Beschreibung der Pflanzenwelt um Dillenburg, die 1777 erstmals veröffentlicht wurde. Sie bemühte sich um eine detailgetreue Vergegenwärtigung: Die Blüte des Löwenzahns ist in ihren Worten „ziemlich groß und aus lauter geschweiften übereinanderliegenden fünfzahnigen Blümchen zusammengesetzt“; die Mausgerste „wächst zu Bad Ems an der Allee häufig, auch zu Nassau in Grasgärten, und blühet im Julio.“

Überall Ordnung

Ausführlich lässt Eva C. Heldmann in Ihre ergebenste Fräulein aus diesem Verzeichnis der wildwachsenden Pflanzen, in dem scheinbar alles eindeutig ist, und aus anderen Schriften von Dörrien vortragen. Doch ist Heldmanns Film nicht nur eine Würdigung dieser Leistung, vielmehr richtet sich ihr Blick auf Dörrien selbst und wie diese von ihren Leistungen berichtete. Dörrien blickte auf ein Leben voller Disziplin und Mühen, Geduld und Arbeit, zurück, das sie vornehmlich jungen Frauen als Vorbild empfiehlt. Stolz ist sie auf ihren beständigen Fleiß beim Botanisieren. Wenn sie besorgt ist, dass Frauen untätig sein könnten, ihnen deshalb das Spinnen – geeignet für Frauen aller Stände und jeden Alters! – empfiehlt, dann klingt sie ähnlich wie Fürst Wilhelm von Oranien, der Müßiggang, Bettelei und Faulheit in Nassau-Dillenburg verbietet. Mit dessen Verlautbarungen sowie Nachrichten, Anzeigen und Mietgesuchen aus dem „Dillenburger Intelligenzblatt“ füllt Heldmann die Leerstellen und anti-rebellischen, nicht gerade feministischen Passagen in Dörriens Schriften aus. Sie überlässt ihren Film nicht einfach der faszinierenden Schlichtheit von Dörriens Sprache, mit der diese heute als Autorin des nature writing reüssieren könnte. Vielmehr hebt sie die vielen Redundanzen hervor und stellt ihr einen Ausschnitt der Welt anbei.

Heldmann hat sich immer schon für Frauen interessiert, die gesellschaftliche Vorstellungen und Vorschriften in Frage stellen, von ihren promisken Freundinnen (Fremd gehen, 1999) bis zu einer autonom lebenden Frau in Botswana (The Queen’s Courtyard, 2006). Mit Dörrien tritt ein neuer Frauentypus in ihr Werk ein, mit einer Frau, die als Botanikerin und Pädagogin nicht in dem Frauen zugedachten häuslichen Umfeld bleibt, aber die gesellschaftlichen Regeln dennoch festschreibt. Ihren Weg zur Wissenschaft leitet Dörrien gleich zu Beginn von der Ähnlichkeit ab zwischen dem, was man heute als Care-Arbeit bezeichnen würde, und dem Umsorgen von Pflanzen. Sie weist jeden Anflug von Schwelgen und Kontemplation zurück. Und auch das viele Gewese, das um einen Garten gemacht wird, muss gerechtfertigt sein. Überall entdeckt sie Ordnung, auch in ihrem Lebensweg, den sie rückblickend erzählt.

Historische Wetterbeschreibung

Wenn Heldmann die Schriften Dörriens mit aktuellen Aufnahmen aus Dillenburg verknüpft und sich an den gleichen Orten auf Spurensuche begibt, dann ist das kein Versuch der Aktualisierung. Vielmehr wird deutlich, dass uns Jahrhunderte von Dörrien und ihren Naturbeschreibungen trennen. Die Einstellungen sind – wie oft bei Heldmann – lang und ruhig, fast spartanisch. Der Blick wird intensiviert. Unwillkürlich stellt sich die Frage, ob nicht noch mehr in der Natur zu entdecken ist als Ordnung. Hier werden auf zurückhaltende Art Parallelen zwischen den heutigen Aufnahmen und den historischen Texten deutlich. Noch immer finden sich Versuche, die Zeit sinnvoll anzuwenden. Noch immer werden den wildwachsenden Pflanzen im Alltag zu wenig Beachtung geschenkt. Und noch immer versuchen Menschen, sich um die Natur zu kümmern. So wie eine Einstellung den Blick noch nicht unbefangen macht, ist Ihre ergebenste Fräulein kein Plädoyer für eine unmittelbare Naturerfahrung. Indem Heldmann ihrem Film eine historische Wetterbeschreibung voranstellt, sind Assoziationen zur Klimakrise und Naturzerstörung bei uns als gegenwärtigen Zuschauern geweckt. Es gilt immer das Äußere der innigen Naturerfahrung.

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