I Am the Tigress – Kritik

Der Körper als unabgeschlossenes Projekt, der Körper als Käfig: I Am the Tigress dokumentiert das Leben einer ehrgeizigen Bodybuilderin, die nur schwer mit dem ausbleibenden Erfolg umgehen kann.

Nicht die Ferse ist die Schwachstelle, wie es noch bei Achilles der Fall war. Der Bauch muss es sein, meint Tischa Thomas und streicht über den Bereich zwischen Brust und Becken. Schon wieder hat es die Bodybuilderin mit dem Glitzernagellack nicht in die nächste Runde geschafft. Es muss am Bauch liegen, da ist sich Tischa sicher.

Körper als Kreation

Aber nach dem Wettkampf ist vor dem Wettkampf, es gibt immer was zu tun in I Am the Tigress. Denn der Körper ist bloß ein unabgeschlossenes Projekt, ein Material, das nach Belieben bearbeitet und verändert werden kann. So erkunden ihn Philipp Fussenegger und Dino Osmanoviç bei ihren Beobachtungen der 47-jährigen Tischa, die sich „the tigress“ nennt. Mithilfe von Diäten, Hormonspritzen und Sportübungen hat sie das Fleisch umgeformt; kein reibungsloser Prozess, sondern harte Arbeit. Früher wog sie 150 Kilo, die Haut am Bauch scheint an diese Zeit zu erinnern; ein lästiges Überbleibsel, das noch nicht so recht der Vorstellung entspricht, die Tischa von sich hat.

I Am the Tigress interessieren solche Momente des Provisorischen, solche Übergänge und Zwischenzustände, eben weil Endgültigkeit und Vollkommenheit (das „goal“) keine Kategorien sind, die auf den Körper bezogen zu gebrauchen wären, allerdings eine Richtung vorgeben. Dementsprechend markieren die letzten Filmminuten weniger einen Abschluss als einen Anfang, in dem Selbstbewusstsein und Selbstbehauptung nebeneinanderstehen. Verschiedene Bildproduktionen haben vorher parallel stattgefunden, die Bildformate wechseln: Tischa posiert nicht nur vor Osmanoviçs Kamera und den Augen der Jurys. Sie zückt selbst das Smartphone, um sich vor einer Community zu präsentieren. „So today we’re talking about body image“, kündigt sie in einem ihrer Videos an, das zu Beginn zu sehen ist, und moderiert damit fast didaktisch, was I Am the Tigress im Folgenden untersucht.

Bild und Bewertung

Die Arbeit am Körper ist hier nämlich nicht vom Bild des Körpers zu trennen, von der mehr oder minder gelungenen Bildwerdung, die permanent skeptisch beobachtet und bewertet wird – durch die Bodybuilderin selbst und zugleich innerhalb der unterschiedlichen Umgebungen, in denen sie sich bewegt. Neben den Aufnahmen in der kleinen Wohnung, beim Training im Fitnessstudio und bei den Wettkämpfen wird sie beim liebevoll-genervten Umgang mit der Familie gezeigt (Tischa ist schon Großmutter) oder beim Sprechen über die Angst, alleine nachts unterwegs zu sein. „You wished you had muscles like me“, raunzt sie in einer anderen Szene den Typen auf der Straße entgegen, die sie anpöbeln oder als Mann ansprechen.

Mitbewohner und Kumpel Eddie, der Tischa auf allen Reisen begleitet, erträgt derweil mit stoischer Ruhe die Wutanfälle der ehrgeizigen Sportlerin, die nur schwer mit dem ausbleibenden Erfolg umgehen kann. Kontexte und Wahrnehmungen überlagern sich, sie pendeln in I Am the Tigress zwischen Anerkennung, Bedrohung und Begehren, wenn die muskulösen Beine gestreckt werden. Auch abseits der Turniere dient der Körper als finanzielle Einnahmequelle. Für ihre „good, good bad boys“ lässt sich Tischa in eindeutigen Posen fotografieren, dreht sexy Clips, streamt live aus dem Wohnzimmer. Gelegentlich arbeitet sie als Domina und verdrischt die Kunden mit dem Gürtel: „That’s how the tigress likes it.“

Von Raubkatze zu Raubkatze

Eigentlich wollten Fussenegger und Osmanoviç einen Spielfilm über Bodybuilderinnen drehen. Während des Castings und der Entstehung des Drehbuchs trafen sie jedoch auf Tischa Thomas und entschieden sich dazu, lieber dokumentarisch zu arbeiten. I Am the Tigress ist das sonderbar anzumerken, indem eine Person gefilmt wird, die als Figur funktionieren soll, zu der sie sich ja auch selbst stilisiert – auf die aber durch gestalterische Entscheidungen, und das ist ein blinder Fleck des Films, eine bestimmte Vorstellung der Filmemacher projiziert wird.

Besonders die getragene Musik, mit der Fussenegger und Osmanoviç beispielweise flankieren, wie Tischa unter Anstrengung einen schweren Koffer die Treppe zur spärlich eingerichteten Wohnung hochhievt, trägt dazu bei, den veränderlichen Körper nicht in seinem utopischen Potenzial zu begreifen, sondern eher, wie es Arcade Fire 2007 melancholisch schmetterten, als Käfig, der zurückhält und Bewegung verwehrt. Die komplexen Verhältnisse von Anstrengung und Leichtigkeit, Nähe und Distanz, Komik und Tragik, die der Film eigentlich etabliert, löst I Am the Tigress dadurch zunehmend selbst auf. So machen die Regisseure aus der „tigress“ in gewisser Weise Rilkes Panther, so müd geworden, dass ihr Blick nichts mehr hält, in sich gefangen, von sich und der Welt entfremdet; ein Film, der durch Musik und Montage die eine Interpretation vorgibt, obwohl er doch die Eindeutigkeit des Schauens und des Körpers genau unterwandern will.

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