I Am a Woman Now – Kritik
Au revoir, Monsieur – Bonjour, Madame! Ein wunderschöner Film über fünf transidente Frauen.

Wer heute transsexuell ist und die äußeren Geschlechtsmerkmale dem inneren, gefühlten Geschlecht anpassen lassen möchte, muss normalerweise zahlreiche Prozeduren über sich ergehen lassen, bevor tatsächlich eine OP möglich ist. In Deutschland etwa sind psychiatrische Gutachten und eine lange Wartezeit nötig, damit die Krankenkasse die Kosten übernimmt, und Transsexualität gilt nach wie vor als Krankheit oder – nicht minder pathologisierend – als Identitätsstörung. Dafür werden die Operationsmethoden stetig ausgefeilter, und die rechtliche Situation von Transfrauen und Transmännern verbessert sich schrittweise in verschiedenen Ländern. Vor einigen Jahrzehnten war die Lage noch eine andere: Wer damals den letzten geschlechtsangleichenden Schritt unternehmen wollte, musste sich oft in die Illegalität begeben. Und zum Beispiel nach Casablanca fahren.

Dort befand sich die Praxis des französischen Gynäkologen Dr. Burou, der eine Mischung aus schillernder Persönlichkeit, medizinischer Koryphäe und warmherziger Vaterfigur gewesen sein muss. Ab Mitte der 1950er Jahre unternahm Georges Burou in Marokko Mann-zu-Frau-OPs: gegen Barzahlung, dafür ohne erniedrigende Psychotests. Seinen Patientinnen erklärte er vorher anhand blutiger Bilder ausführlich alle chirurgischen Schritte und Schnitte, damit jede, die sich nicht wirklich sicher war, noch kehrtmachen konnte. Der Arzt trat zwar recht exzentrisch mit einer Art Schlachterschürze und Zigarette im Mundwinkel an den OP-Tisch, doch seine fachliche Pionierarbeit machte viele Menschen sehr glücklich. Fünf von ihnen porträtiert der Dokumentarfilm I Am a Woman Now.

April, Colette, Corinne, Jean und Marie-Pierre alias Bambi sind inzwischen teils weit über 60 Jahre alt. Als sie damals, jeweils in ihren Zwanzigern, das Flugzeug nach Casablanca bestiegen, wurden auch sie Pionierinnen: Es war die Zeit vor der Frauenbewegung, vor Stonewall - und auch eine internationale Transgender-Bewegung existierte noch nicht. Sich operieren zu lassen war ein radikaler Schritt, den kaum jemand zuvor unternommen hatte. Es fehlte der Erfahrungsaustausch in medizinischen und in Identitätsfragen. Und es gab keinerlei Unterstützung durch ein organisiertes solidarisches Umfeld oder seitens Politik und Gesetzgebung. Doch für die fünf Protagonistinnen und ihre vielen Schwestern im Geiste waren Entschlossenheit und Leidensdruck groß genug.

Heute behaupten sie sich auf wieder ganz anderem Gebiet: dem Älterwerden. Denn was bedeutet es, als Transfrau zu altern? Das war die Ausgangsfrage von Michiel van Erps I Am a Woman Now. Der Film wirft einen universellen Blick auf das Alter und einen ganz neuen auf das Thema Transsexualität, bei dem sonst meist der dramatische Lebensabschnitt der transition – des äußerlichen Übergangs – und der dadurch ausgelösten zweiten Pubertät im Mittelpunkt steht oder aber die vielfältigen familiären, gesellschaftlichen und persönlichen Konflikte, in die man als Transmensch geraten kann. Diese Konflikte kommen auch in I Am a Woman Now vor, doch insgesamt ist der Tonfall ein ungewohnt und beglückend anderer: „Jeden Morgen, noch 51 Jahre danach, verspüre ich etwas von der Freude, die ich am ersten Tag nach der OP empfunden habe“, erklärt April Ashley. Und Corinne van Tongerloo sagt: „Ich bin in Casablanca geboren.“
I Am a Woman Now beginnt mit einem Strauß roter Rosen auf dem Friedhof und endet mit dem Bild einer Wiedergeburt. Das gleißende Licht, für das Casablanca so berühmt ist, durchstrahlt dabei den ganzen Film, dessen Bilder Mark van Aller sehr ästhetisch, weich und luftig aufgenommen hat. Viele Einstellungen sind von Wärme, Sonne und Meer geprägt, wenn Michiel van Erp die Frauen an der Côte d'Azur, im luxuriösen Sommerhaus oder in der Natur in Szene setzt. Alte Fotografien und Super-8-Aufnahmen aus der Jugendzeit der Protagonistinnen in den 1950er/60er Jahren unterstützen die leicht nostalgische Atmosphäre.

Die Frauen berichten von ihren früheren Leben und der Gegenwart, sie werden in ihrem Alltag gezeigt und gehen auf Reisen in die Vergangenheit: So trifft April zum ersten Mal den Sohn des inzwischen verstorbenen Dr. Burou, und Corinne macht sich in Marokko auf die Suche nach dessen Klinik, einem Ort der Verwandlung, dem sie sich ewig verbunden fühlt. Die fünf Frauen erleben im Alter unterschiedliche Stadien von Zufriedenheit oder Glück, aber natürlich auch Einsamkeit und unerfüllte Sehnsüchte. Neben ihrer Stärke ist immer die Verletzlichkeit sichtbar, was den Film zutiefst menschlich macht. Doch keine von ihnen bereut ihre Lebensentscheidung. Und so spricht I Am a Woman Now letztlich alle an – jede und jeden – und bestärkt sie darin: zu werden, wer sie sind.
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Kommentare
Kim Schicklang
Der Film erzählt eine Geschichte von unemanzipierten Menschen, die glauben, dass eine genitale Operation das Geschlecht eines Menschen ändern würde. Dass transsexuelle Frauen bereits vor der OP Frauen sind und ein Griff zur Chirurgenschere nur Genitalien verändert, ist bei manchen Menschen von Gestern immer noch nicht als Logik im Kopf angekommen.
Dass diese Vorstellung, man könne das Geschlecht eines Menschen per chirurgischer Operation ändern für viel Leid gesorgt hat (es ist ein Teil der geschlechtlichen Fremdbestimmung, von denen geschlechtsvariante Menschen heute noch betroffen sind... sei es intersexuelle, sei es transsexuelle Menschen), nur am Rande.
Emanzipierte transsexuelle Menschen wissen, dass eine körperliche Veränderung nicht einen Geschlechtswechsel bedeutet, sondern einen Schritt zu mehr Stimmigkeit bedeuten kann. Da wechselt nichts. Dass die Hauptprotagonistinnen zum Teil selbst ein System der geschlechtlichen Fremdbestimmung mitgestützt haben, indem sie sich als prominente Vertreter der "Umwandlungs"-Lüge hergegeben haben, macht den Film zur Verabschiedung einer psychopathologisierenden untergehenden Weltanschauung, in der Sexologen per Chirurgenschere und psychiatrischen Gutachten glaubten, Menschen geschlechtlich von Aussen zurichten zu können.
Gute Nacht!
Sonja
Ich verstehe nicht ganz, an welchen Formulierungen Du Dich genau störst oder womöglich an welchen Äußerungen der portraitierten Frauen außerhalb des Films. Eine OP ist für keinen GeschlechtsWECHSEL verantwortlich, klar, und Frauen können auch mit Schwanz Frauen sein - wenn sie das denn wollen. Wenn aber nicht, ist das zu respektieren.
Der Film führt keine Diskussion pro/contra geschlechtsangleichende OPs, sondern stellt die fünf Frauen vor, die von sich sagen, dass es für sie die richtige Entscheidung war. Und das tut er auf eine sehr respektvolle Weise, es ist ein absolut positiver Film.
Man kann und soll dann natürlich gesellschaftlich weiterdiskutieren, was geschlechtliche Fremdbestimmung bedeutet und wo sie tatsächlich oder vermeintlich vorliegt und abzuschaffen wäre.
Aber bei "I am a woman now" ist das nicht das Anliegen, und ich würde ihm auch nicht vorwerfen, dass er sich komplett auf die Seite der Frauen stellt, im Leben nicht. Das wäre ein ganz anderer Film geworden.
Beziehst Du Dich mit der "Umwandlungs-Lüge" auf spezielle Äußerungen der Protagonistinnen? Dann zitiere sie doch, damit klar wird, worum es geht.
Kim Schicklang
"Wer heute transsexuell ist und das äußere (biologische) Geschlecht dem inneren (seelischen) anpassen lassen möchte"
Das körperlich sichtbare Geschlecht ist nicht das biologische Geschlecht eines Menschen, sondern nur ein Teil davon. Körpermerkmale wie eine Vagina oder ein Penis sind Körpermerkmale, aber niemals das "biologische Geschlecht". Transsexuelle Menschen sind nicht unbiologisch und mit der romantischen Vorstellung einer "Seele" hat geschlechtliche Viefalt, die in der Natur vorkommt, wenig zu tun.
"Mann-zu-Frau-OPs", "um mutig zur Frau zu werden"...
Erklär doch mal einer, was dieses "Werden" bedeuten soll. Doch die OPs? Klamotten? Mehr muss ich dazu eigentlich nicht sagen, oder?
Sonja
Alles klar, jetzt versteh ich's. Aber wie dann formulieren? Die äußeren Geschlechtsmerkmale dem inneren Geschlecht anpassen? Klingt nicht mehr so nach Biologie.
Die "Mutig-zur-Frau-werden"-Kritik verstehe ich dann auch. Ich empfinde es als Schritt, zu dem Mut gehört, sich unters Messer zu legen. Dass sie vorher etwa keine Frauen waren, war damit nicht gemeint, aber offensichtlich missverständlich.
Andrea
Danke Kim für Deine Beiträge hier und anderswo!
- Sicher ist es vielleicht mutig, sich unter das Messer zu legen.
- Aber ohne dies im wahren Geschlecht in intoleranter Umgebung durchs Leben zu gehen, erfordert auch viel Mut.
Weder im ersten Fall, noch im zweiten ändert sich was, das Geschlecht bleibt.
Das Organ zwischen den Ohren bestimmt das Geschlecht eines Menschen.
Die Operation erleichtert den Alltag, ändert aber das Geschlecht nicht.
Sonja
Absolut. Ich werde also noch ein wenig am Text drehen. Und Dank fürs Kommentieren.
zipfelklatscher
Das ist Kim Schickelang. Das darf man nicht ernst nehmen, was man an solchen Kommentaren auch deutlich sieht. Meinen vollen Respekt vor den Frauen und den Machern des Filmes.
7 Kommentare