Hyena – Kritik
Nihilistischer Mikrokosmos: Gerard Johnsons Gangsterfilm kennt keine Hoffnung und keine Erlösung.

2009 zeichnete Gerard Johnson mit seinem Langfilmdebüt Tony - London Serial Killer ein erschreckendes, aber irgendwie auch feinfühliges Bild von den Abgründen, die sich hinter einer Londoner Wohnungstür auftun können. In seiner Darstellung der Titelfigur als unbedarfter, geistig im Heranwachsendenalter wie lebensweltlich kompromisslos in den 1980er Jahren hängengebliebener Serienmörder gelang es Peter Ferdinando, erstaunlich viel Empathie für einen Killer zu erzeugen. In seinem zweiten Spielfilm weitet Johnson seine Inszenierung Londons als gnadenloses Moloch aus, setzt dabei wesentlich mehr auf emotionale Kälte und vertraut Johnson Ferdinando erneut die Hauptrolle an.
Kräftige Männerkörper ohne Schauwert

Für die Verkörperung des korrupten Londoner Polizisten Michael Logan hat Ferdinando sein Erscheinungsbild mächtig gewandelt. Aus dem hageren Tony mit Schnauzbart und Spießerfrisur ist ein langhaariger, bulliger Hüne geworden. Damit fügt er sich ins Gesamtbild ein, denn Hyena wird von solchen Staturen dominiert. Auf Seiten der Polizei wie auf Seiten der Kriminellen, die sie vorgeblich verfolgen: kräftige, massive und vor allem Gewaltbereitschaft signalisierende Männerkörper. Doch mit den durchtrainierten, muskulös wohl definierten Bodies, wie man sie aus amerikanischen Copfilmen kennt, haben diese Körper wenig zu tun. Es geht nicht um eine imposante Zurschaustellung, sondern um die Ausstellung von etwas Verrohtem und Belastbarem. Und von etwas Dreckigem, im übertragenen wie im wörtlichen Sinne, wenn sich die eine Seite nach einer erfolgreichen Drogenrazzia gegenseitig mit Ketchup beschüttet, während die Leiber der anderen Seite nach dem Zerteilen einer Leiche blutbesudelt durch den Raum schreiten.

Die körperliche Parallele ist nur eines von vielen Indizien für die eigentliche Nichtigkeit der Trennlinie zwischen Gesetzeshüter und Gesetzesbrecher. Denn Polizist zu sein ist in diesem Film kaum mehr als ein institutioneller Vorteil im hauptsächlich am Eigeninteresse orientierten Kampf um Ressourcen. Was Michael und seine Kollegen an Drogen konfiszieren, konsumieren sie gemeinsam auf der anschließenden Party. Die Grundsituation ähnelt hier stark derjenigen des Polar, des französischen Cop- und Gangsterfilms. Doch Johnsons britische Variante ist im Vergleich um einiges böser und nihilistischer. Wie die Londoner Cops ihre Arbeit erledigen, das gibt ihnen weder die Dienstvorschrift noch irgendein Ehrenkodex oder ein Gewissenskonflikt vor, vielmehr sind für sie die Deals mit den vorherrschenden Gangsterbanden handlungsleitend. So beginnt der eigentliche Plot für Michael mit einer Szene, in der er sich mit einem Mitglied der türkischen Drogenschmugglerbande trifft, um eine neue Route zu besprechen. Die Unterhaltung wird von zwei Albanern unterbrochen, die sich den Türken kurzerhand mit der Machete vornehmen, während sich Michael schluchzend hinter einer Abdeckung versteckt. Spätestens hier wird klar: In diesem filmischen Kosmos gibt es keine Helden, nicht einmal Antihelden, sondern nur Täter oder Opfer. Um weiterhin auf der Seite der ersteren zu stehen, cancelt Michael hinterrücks seinen Deal mit den Türken, um fortan bei den Albanern mitzumischen.
Ästhetische Tristesse und ein Plot ohne Hoffnung

Die Handlung wird immer wieder durchzogen von Momenten des exzessiven Feierns, in denen man die wuchtigen Körper der Cops auf beinahe animalische Weise rumzucken sieht, als sei das eine hinreichende Kompensation für die moralische Verrohung. Diese Szenen tragen Anleihen an die neondurchleuchteten Stilexzesse von Nicolas Winding Refn. Doch ansonsten gibt sich Hyena extrem karg, geizt geradezu mit Schauwerten. Keine durchchoreografierten Shootouts oder Verfolgungsjagden, und die Schauplätze sind nie mythisch überhöht. Statt in eleganten Nachtclubs oder Luxusvillen operieren die Drogenbosse in ordinären Imbissen und Ladengeschäften oder in heruntergekommenen Plattenbauten. So hart der Film in seiner Tristesse ist, so hart ist er auch in seiner Gewaltdarstellung. Selbst bei einer Vergewaltigungsszene überlässt Johnson das Geschehen nicht der Fantasie der Zuschauer. Doch schlimmer als diese eigentliche Gewalt ist vielleicht der Umstand, dass einen das alles schnell gar nicht so berührt, wie man meinen könnte. Schon bald überträgt sich das Gefühl des Abgestumpftseins.

Diese ästhetische Trostlosigkeit findet ihr Pendant in einem Plot ohne Hoffnung. In der Mitte der Handlung scheint Michael doch noch so etwas wie einen moralischen Kompass entdeckt zu haben, wenn er versucht, die junge Ariana (Elisa Lasowski) aus dem albanischen Mädchenhändlerring zu befreien. Dies bleibt jedoch nur ein loser Strang unter vielen innerhalb der sehr zerfahrenen Erzählung, ohne gewohnte Plotpoints und eigentlichen dramaturgischen Fluchtpunkt. Weitere Komplikationen treten auf, als Michael ins Visier von internen Ermittlern gerät, doch diese erscheinen nicht weniger zwielichtig. Man kann sich nie sicher sein, wer es ehrlich oder böse mit wem meint, wahrscheinlich, weil es die Figuren selbst nicht sicher wissen, sondern sich stets treiben lassen vom Strudel der Geschehnisse. Die Kontrolle behält hier auf Dauer niemand, alle Figuren scheinen sich lediglich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit auf ihr Verderben zuzubewegen. In diesem kriminellen und nihilistischen Mikrokosmos, in dem jede Figur austauschbar oder entbehrlich erscheint, wirkt das von Johnson gewählte Ende nur konsequent. So wenig es für die Figuren eine Erlösung geben kann, kann es für die Erzählung eine Auflösung geben.
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