Herr Bachmann und seine Klasse – Kritik

VoD: Maria Speth zeigt in Herr Bachmann und seine Klasse, wie aufregend Unterricht sein kann, und erzählt etwas über Gemeinschaft – in einer hessischen Klasse und in Deutschland. Ein Film darüber, was möglich ist in der Welt (und im Kino).

Es ist ein herausragender Film, den Maria Speth gemacht hat, und das ist erstmal ganz wortwörtlich gemeint: Sowohl mit einer Laufzeit von dreieinhalb Stunden als auch in seiner dokumentarischen Form hebt er sich von den anderen 14 Beiträgen im diesjährigen Berlinale-Wettbewerb ab, fällt aus der Reihe, stört den Betrieb, während er sich gleichzeitig einen zweiten vorknöpft. Herr Bachmann und seine Klasse ruft dazwischen, ins Homeoffice und Homeschooling hinein, um einen schulischen Alltag zu zeigen, der nicht alltäglich ist, aber es sein sollte. Obwohl der Film sich gegen einen solchen Dogmatismus gewiss selbst wieder wehren würde.

Neugier auf Welt

Ein Schuljahr verbringt Speth mit der 6b der Georg-Büchner-Schule im hessischen Stadtallendorf, mit Ferhan, Mattia, Regina, Jamie, Cengiz, und natürlich mit Lehrer Dieter Bachmann, der gerne Strickmütze und AC/DC-T-Shirt kombiniert. Bachmann, Mitte 60, steht kurz vorm Ruhestand, es ist die letzte Zeit in seinem Beruf, die Herr Bachmann und seine Klasse begleitet, eine Art Finaleinlauf. Indes werden den Schüler*innen vom Kollegium Empfehlungen ausgesprochen, welche weiterführende Schule sie bald besuchen können, besuchen dürfen. Noten entscheiden über die Zukünfte der Jugendlichen, die unterschiedliche Migrationsgeschichten mitbringen. Zahlen, die Vergleichbarkeit herstellen sollen, na ja: „Das mit dem Bewerten, das muss man auch lernen“, stellt Bachmann nüchtern fest, fast sagt er es für sich selbst, als gemeinsam mit der Klasse die einzelnen Noten besprochen werden. Natürlich obliegt ihm nicht die alleinige Kraft, dieses System abzuschaffen. Doch Speths Film vergrößert, wie dieser Mann es im Kleinen verändert, wenn er seine Schüler*innen kontinuierlich ermutigt; wenn er betont, dass Noten eben keine Menschen und ihre Liebenswürdigkeit beschreiben.

Denn das ist das, was der Lehrer mit dem Faible für Rock- und Folkklassiker den Jugendlichen kontinuierlich spiegelt: dass sie prima sind, wie sie sind. Bachmann lobt, interessiert sich für ihre Hobbys und Familien, ihre Lebenswelten und Ansichten, will nachvollziehen, aus welchen Kontexten die einzelnen Kinder kommen. Investigativ fragt er nach; ein versuchter Dialog auf Augenhöhe, so sehr das in den Machtstrukturen von Schule überhaupt geht. Was einschüchternd sein könnte, kommt hier einer Neugier auf die Welt und einem empathischen Blick gleich, den die Kamera von Reinhold Vorschneider teilt. Bachmann möchte verstehen. Zugleich fordert er die Schüler*innen aber auch heraus und bringt sie dazu, sich zu erklären und zu formulieren. Ein „Ich kann das nicht“ oder „Ich weiß es nicht“ lässt Bachmann nicht gelten. Da legt er erst richtig los! Unablässig glaubt er an das Potenzial der Jugendlichen, greift am Elternsprechtag zur Gitarre, als Stefis Vater die Berufswünsche der Tochter (Sängerin, dicht gefolgt von Ärztin) als Träumereien abstempelt. „Los, jetzt sing!“, ruft er dem Kind zu und haut in die Saiten, dass auch der Vater schmunzeln muss. Gar nicht so schlecht eigentlich, was Stefi da anstellt. Stimmt.

Solidarität lernen

So sehr Bachmann von seiner Umwelt Positionierung verlangt, so sehr tut es auch Speth. In ihrem Film werden die Zuschauenden mehr und mehr Teil des Klassenraums, wo nicht eindeutig erkennbar ist, wann der Matheunterricht beginnt und das Lehrstück vom Leben über Glück, Zufall und Wahrscheinlichkeiten aufhört. Über die dreieinhalb Stunden lernen wir das Kollegium der Georg-Büchner-Schule kennen und die Jugendlichen, die um die 12, 13, 14 Jahre alt sind: Stefi mit dem musikalischen Talent, die schon mal in einen Blödmann verliebt war, Hassan, der boxt, aber vielleicht doch lieber Friseur werden will, Streberin Anastasia, Breakdancer Tim, Ferhat, die Ilknur in der Pause mal ihr Kopftuch ausborgt, Ayman, der von einer Situation erzählt, in der er das Gefühl hatte, mangels fehlender Sprachkenntnisse draußen ausgelacht zu werden.

Herr Bachmann und seine Klasse macht die Privilegien sichtbar, mit denen Bachmann in der Gesellschaft unterwegs ist, und wie er sie für Veränderung einsetzt. Speths Film erzählt etwas über Gemeinschaft, in der Klasse und in Deutschland, nicht immer geht es dabei reibungsfrei zu, zum Beispiel, als Jamie sich weigert, Stefi beim Vokabellernen zu helfen. „Ich finde, wir sollten als Klasse zusammenhalten und den Kindern, die hier Schwierigkeiten haben, helfen“, meint Bachmann. Und es sind solche Statements, die unterstreichen, wie einfach und selbstverständlich Solidarität doch sein kann.

Wenn nichts mehr hilft und Bachmann selbst mal keinen Bock auf Bruchrechnen hat, gibt es wenigstens noch die Musik. Fix wird ein bisschen gejammt, Dolly Parton, Deep Purple, auch ein Song der Söhne Mannheims ist dabei (er wirkt mit heutigem Blick merkwürdig deplatziert angesichts des aktuellen Auftretens von Xavier Naidoo). Dem Film helfen die aufregende Ausstattung des Klassenzimmers, die vielen Musikinstrumente und die Couch in der Ecke, auf der Rabia häufiger mit Bachmanns Erlaubnis schläft, weil sie das zu Hause gerade wegen eines drohenden Umzugs nicht kann und sonst im Unterricht einpennt. Die Kargheit, die der Schule als Schauplatz innewohnt, geht hier ein spannendes Verhältnis zur kreativen Fülle der Schüler*innen und Lehrer*innen ein. Regisseurin Speth und Kameramann Vorschneider demonstrieren, wie aufregend Unterricht sein und gefilmt werden kann, wie sich Kommunikation verändern muss, damit sie als Lehrmethode funktioniert.

„Rabia, ziehst du jetzt eigentlich um?“, fragt Lehrerin Aynur Bal am Ende. Hoffnungsvoll schauen wir zum Mädchen mit der Brille, ertappen uns beim Wunsch, dass die Familie in Stadtallendorf bleibt, vergessen, dass das hier Wirklichkeit und nicht nur Kino ist. Das Mädchen mit der Brille schüttelt den Kopf, lächelt ein bisschen. Umzug ja, aber sie bleibt in der Nähe. „Ich hab zu Hause gekämpft“, sagt Rabia grinsend. Herr Bachmann und seine Klasse ist eine Abhandlung über das, was möglich ist in der Welt (und im Kino), nicht zu schön, um wahr zu sein. Eine Einladung, zusammen abzutauchen und Märchen über Gitarren und Tischen zu spinnen, bis sich alle heimlich aus der Schule schleichen, wenn Herr Bachmann heute wieder früher Schluss macht.

Der Film steht bis 13.03.2024 in der 3Sat-Mediathek.

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