Henry Fonda for President – Kritik
In seinem epischen Essay Henry Fonda for President folgt Alexander Horwath dem gleichnamigen Filmstar in die inneren Wirren der US-amerikanischen Seele. Visuell einfallsreich und von mitreißender Neugier getrieben, entdeckt er in Leben und Werk des Schauspielers immer wieder neue Überlagerungen von individueller und kollektiver Erfahrung.

Das emblematische Bild des Filmstars ist eine Geste des Rückzugs: Immer wieder, in ganzen unterschiedlichen Rollen und ganz unterschiedlichen Filmen, führt Henry Fonda in entscheidenden Momenten die flache Hand vor seine Augen, schirmt sich ab, entzieht sein Antlitz dem Zugriff von außen. Die augenblickliche Motivation dieser Bewegung mag in den einzelnen Filmszenen ganz verschieden sein, ihr Signal jedoch ist stets das gleiche: Hier weiß ein Mensch, dass er Zielpunkt suchender Blicke ist, und weiß zugleich, dass er die Hoffnung auf Halt und Orientierung, die diese Blicke antreibt, enttäuschen muss. Und trotzdem wenden sich die Blicke nicht ab, trotzdem bleibt die Kamera auf den abwehrenden Handrücken gerichtet – vielleicht, weil tatsächliche Orientierung eben gerade bei jemandem zu finden ist, dem mit schmerzhafter Klarheit bewusst ist, dass er auch nicht weiterweiß.
Die beharrlichen Echos der Vergangenheit

Mit eben solch einem suchenden Blick begegnet Alexander Horwath in Henry Fonda for President diesem paradoxen Schauspieler, dessen magnetische Wirkung auf seiner bescheidenen Zurückhaltung beruht. In seinem epischen Essayfilm folgt der ehemalige langjährige Leiter des Österreichischen Filmmuseums den Spuren von Fondas Leben und Filmografie, um tief einzutauchen in die Wirren und Widersprüche der amerikanischen Seele. Auf beeindruckend elegante Art verknüpft Horwath Details aus der Familiengeschichte Henry Fondas mit zentralen Wendepunkten der nationalen Entwicklung der USA und lässt ebendiese Schnittpunkte von Persönlichem und Historischem als Triebfeder der scheinbar so unterschiedlichen Filmrollen Fondas erkennbar werden.
So wurde etwa der kleine Ort im Bundesstaat New York, an den es einen Vorfahren Henry Fondas im 18. Jahrhundert verschlagen hatte, zur Stätte blutiger Kämpfe zwischen europäischen Siedlern und amerikanischen Ureinwohnern – Kämpfe, mit deren traumatischem Verlauf Fonda auf der Leinwand in dem Historienfilm Drums Along the Mohawk erneut konfrontiert wird. Und so war etwa Henry Fondas Geburtsort Omaha, Nebraska über Jahrzehnte der Hauptsitz des Strategic Air Command, also jener Sparte der US-Streitkräfte, welcher die Atomwaffen des Landes unterstellt waren – Waffen, deren Einsatz Henry Fonda schließlich als US-Präsident in Sidney Lumets Fail-Safe anordnet, getrieben von der äußeren Mechanik der nuklearen Eskalation.

Horwaths Film lässt die Auswahl der Rollen, die Henry Fonda in seiner jahrzehntelangen Karriere annimmt, wie etwas Zwangsläufiges erscheinen, wie eine unausweichliche Folge jener historischen und biografischen Prozesse, die Fonda selbst als Person geformt haben. Der Mensch Henry Fonda verknüpft die disparaten Filme, in denen er auftritt, zu einem bedeutsamen, übergeordneten Ganzen, er lädt sie mit den Echos der Vergangenheit auf und macht sie zu Stationen einer nie abgeschlossenen Erkundung des Verhältnisses zwischen individuellem und kollektivem Schicksal.
Filmische Verdichtung und plötzliche Epiphanie

Henry Fonda for President macht all diese Querverbindungen und großen historischen Bögen nicht nur gedanklich nachvollziehbar, sondern er macht sie vor allem auch unmittelbar filmisch erlebbar. In einer besonders eindrücklichen Sequenz etwa fährt Horwaths Kamera im Eiltempo an scheinbar endlosen Feldern im heutigen Amerika entlang. Hypnotisch schießen die tiefen Reihen der Stauden vorbei, während man auf der Tonspur die Stimme von Martin Luther King hört, der in einer berühmten Rede den Text einer Bürgerkriegshymne mit dessen biblischem Motiv der „Früchte des Zorns“ aufgreift. In einer späteren Szene schließlich schwillt die Musik ebendieser Hymne auf der Tonspur empor und man sieht, wie Henry Fonda als Young Mr. Lincoln sich dem Horizont zuwendet, um dann in einem plötzlichen Umschnitt zu Tom Joad, seiner Figur aus Grapes of Wrath zu werden, der einer ungewissen Zukunft entgegengeht.
Gegenwärtige und vergangene Formen der Ausbeutung, die Depressions-Jahre der 30er und die Bürgerrechtsbewegung der 60er, Historienfilm und Sozialdrama, sie alle werden in Henry Fonda for President in einem Teppich aus Bildern, Klängen und Off-Kommentaren eng miteinander verwoben, bis sie schließlich als Teile einer einzigen durchgehenden Bewegung erscheinen. Es ist der Gestus der Epiphanie, der in diesen Sequenzen durchschimmert: Der Gang der Geschichte wird lesbar und man kann Jahrzehnte und Jahrhunderte umspannende Dynamiken auf der Leinwand scheinbar im Moment ihrer Entfaltung beobachten.
Verwundert über das eigene Dasein

Dabei ist es ein ganz bestimmter Charakterzug Henry Fondas, der diese Art der Verdichtung ermöglicht, und dieser Charakterzug lässt sich in Henry Fonda for President unmittelbar erleben. Denn Fonda tritt in dem Film nicht nur anhand seiner Filmrollen oder öffentlichen Auftritte in Erscheinung, sondern ist auch als Privatperson präsent: Immer wieder sind in dem Film Tonausschnitte aus einem Interview zu hören, das Fonda im Jahr 1980, ein Jahr vor seinem Tod, einem Journalisten gegeben hatte. Mehr noch als durch die Offenheit mancher Äußerungen beeindrucken diese Interviewpassagen durch den müden Klang von Fondas Stimme und durch die lapidare Knappheit vieler seiner Antworten – oft reagiert Fonda auf die ihm gestellten Fragen nur mit einem Ja oder Nein, vor allem aber häufen sich Äußerungen wie „I guess so“, „I suppose that’s right“ oder „It wouldn’t surprise me“.
Es ist eine tiefe Resignation, die in diesen Sätzen und vor allem in der sie sprechenden Stimme durchschimmert. Fonda steht den Kräften, die sein Leben geformt haben (und dazu zählt auch die eigene Persönlichkeit) wie von außen, als ein Fremder gegenüber. „I don’t like myself,“ bekundet er an einer Stelle und bringt damit nicht so sehr Selbsthass zum Ausdruck, als eine erschöpfte Verwunderung über das eigene Dasein. Er ist sich bewusst, dass er nicht der ultimative Ursprung seiner eigenen Gedanken und Handlungen ist – und ebendieses Bewusstsein überträgt sich auf seine Figuren und öffnet seine Filme den widerstreitenden Kräften und Dynamiken der äußeren Wirklichkeit.
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