Heil – Kritik

Politisch Unkorrektes mit Karikaturen aus der Dose: Dietrich Brüggemann hat eine Nazi-Komödie gedreht, die bis zur Langeweile erfrischt.

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Weil Dietrich Brüggemann weiß, dass man über Heil wird sprechen müssen, oder weil er das zumindest möchte, lädt er sich in die erste Talkshow gleich mal selbst ein. Die ist Teil seines Films, und dort sitzt Tom Lass als Filmregisseur, der gerade eine Neonazi-Komödie fertiggestellt hat, und sagt, dass einem das Lachen im Halse stecken bleiben soll. Dann wird er noch gefragt, warum er sich selbst in seinen Film geschrieben hat, und er sagt, dass er das einfach lustig fand. Damit sind Substanz und Problem eines Films gefasst, der sich auf den ersten Blick wichtig gibt (es geht immerhin mit kurzen 1945-Aufnahmen und einem „70 Jahre später“ los), auf den zweiten augenzwinkernd-bescheiden – der diese Bescheidenheit dann aber doch wieder ziemlich ernst nimmt. Brüggemanns „Auftritt“ im eigenen Film ist jedenfalls herrlich ironisch oder schrecklich eitel und wahrscheinlich beides, und irgendwie gilt das für den ganzen Film.

Anarchie aus der Mitte

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Ob hier jetzt was im Hals stecken bleiben soll, und wenn ja was, das scheint der Film auch nicht so recht zu wissen. Wenn bei jemandem was stecken bleibt, ist es Brüggemann wohl ganz recht, wenn nicht, dann ist sein Film eben ein „Fuck you“ an alle, die behaupten, es müsse immer etwas stecken bleiben. Zunächst ist Heil eine klamaukige Politsatire, zielt ganz klar auf eine Endlich-mal-was-anderes-im-deutschen-Kino-Rezeption ab und wird als „Rundumschlag“ beworben. Denn Heil greift sie alle an, die Neonazis, die Talkshows und ihr opportunistisches Publikum, die Politiker-Hardliner und Politiker-„Gutmenschen“, die Antifa und die Nazi-Hipster namens Nipster. Man könnte sagen, dieses wilde Um-sich-Zielen ist im anarchisch-aufgedrehten Modus des Films gut aufgehoben, aber in der These, dass beim schizophrenen Umgang mit deutscher Vergangenheit nicht nur die neuen Nazis, sondern auch alle, die sich zu ihnen verhalten müssen, irgendwie verrückt geworden sind, offenbart sich denn auch eine ziemlich unanarchische, weil absichernde Ent-Haltung. Einen Rundumschlag gegen rechts und links, gegen Volk und Staat, gegen den herrschenden Diskurs kann man sich eben nur leisten, wenn man sich recht sicher in einer Mitte wähnt – in der man praktischerweise auch gleich die Zielgruppe des Films um sich weiß.

Ganz schön was los

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In der ersten Reihe des Karikaturenensembles steht der gefeierte afrodeutsche Autor Sebastian (Jerry Hoffmann), der auf einer Lesereise zu seinem Rassismus-in-Deutschland-Buch von Nazis entführt wird, nach einem Schlag auf den Kopf in ein kindliches Stadium regrediert und bald die plumpsten Phrasen nachspricht, die ihm die Glatzen unter Führung des aufstrebenden Jungpolitikers Sven (Benno Fürmann) eintrichtern. Das entfesselt clever den Plot und multipliziert die möglichen Satire-Ziele: In Talkshows wird um das korrekte Sprechen über Schwarze gestritten; auf einem Kongress werden selbst krudeste Bemerkungen der Deutschtümelei beklatscht, weil sie von einem Afrodeutschen kommen; die Antifa macht sich an die Stürmung eben jenes Kongresses, lähmt sich aber durch Streitereien um Banalitäten bald selbst; ein Journalist sucht nach dem Sensationellen in der ganzen Geschichte: die öffentliche Debatte tot oder wenigstens banal, die radikale Linke in Selbstzerfleischungsprozessen gefangen, die Justiz – ganz wörtlich – auf dem rechten Auge blind und der Journalismus auch nicht mehr das, was er mal war.

Kalkulierte Transgression

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Die meisten der niemals als Figuren verschleierten Karikaturen kommen aus der Dose, sind den bekannten Satire-Sendungen und Comedy-Acts der TV- und YouTube-Landschaft entnommen und werden im Rahmen einer beschleunigten Fiktion eher aufeinander losgelassen als nochmal produktiv ausgearbeitet. Heil verzerrt also gerade nicht zur Kenntlichkeit, wie es über gelungene Satire oft heißt, sondern schnappt sich die bekannten Verzerrungen. Das Substrat der Karikatur interessiert eher als Motor der nächsten Gags denn als Element einer Zeitdiagnose. Wenn der Verfassungsschutz vor lauter V-Männern den Überblick verliert oder die Polizei nach einem Überfall auf einen Kiosk erst mal die migrantischen Ladeninhaber verdächtigt, dann soll man darüber wohl im gleichen Modus lachen wie über die Dümmlichkeit der Neonazis, die es für eine vortreffliche und originelle Idee halten, Deutschland unter polnischer Flagge anzugreifen, um eine Reaktion des Volks zu provozieren. Wegen derlei struktureller Schieflagen zwischen Steckenbleib- und Ich-fand’s-lustig-Humor funktionieren die Lacher eher im Einzelfall; als satirische Welt ist Heil dann doch zu beliebig, zu smart, zu affirmativ und politisch zu neutralisiert. Es scheint, als ob sich mit der emphatischen Bejahung der Frage, ob man über das alles mal so richtig ablachen kann und darf, die Fragen nach dem Wie, Warum und Wofür gleich mit erledigt hätten.

Aber alles nur Klamotte. Hier kommt selbst die gute alte Comic-Weisheit unter, dass Leute mit akutem Dachschaden mit einem weiteren Schlag auf den Kopf schnell wieder geheilt werden können. Auch wenn Heil also mitunter so tut, als bräche er höchstpersönlich noch irgendwelche Tabus, als könnte sich hier wirklich jemand angegriffen fühlen, als stünde „politisch unkorrekt“ wirklich noch für Transgression oder könnte gar eine Antwort auf ungesunde politische Korrektheit sein: Vor allem ist er eine flott heruntergefilmte Spielerei, die mitunter ganz spaßig ist. Sein Problem ist eben weniger, dass er falsche oder zu schlichte Antworten findet, als dass er jenseits seines Spiegelvorhaltens light gar keine Fragen stellt. Weil er alles angreift, sich selbst aber kaum angreifbar macht, ist Heil so erfrischend dann eben doch nicht, als Gesamtkonstrukt bald fast ein bisschen langweilig. Es bleibt bei der therapeutischen Beruhigung: Gut, dass wir mal drüber gelacht haben.

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Kommentare


Filmgruppe Cinemabstruso

Interessante Kritik- wir wollten nur mal drauf hinweisen, dass wir als Filmgruppe Cinemabstruso davon ausgehen, dass sich die "Heil"- Macher unseres Plots vom Film "DER SCHWARZE NAZI" bedient haben. Es gibt eine ganze Reihe von auffälligen Parallelen zwischen den Filmen. Mittlerweile gab es bereits mehrere Presseartikel und Fernsehberichte zu dem Vorfall. Wer mehr erfahren will, sei auf unsere Facebookseite verwiesen.
https://de-de.facebook.com/pages/Cinemabstruso-Leipzig/187980281254341
http://www.derschwarzenazi.de/
Auch Dietrich Brüggemann hat bereits auf seinem Blog Stellung bezogen, eine muntere Diskussion in den Kommentaren läuft.
Viele Grüße,
Filmgruppe Cinemabstruso


div4o

ich habe mir gerade die Trailer beider Filme angesehen und ich muss zugeben, dass sich der "Heil" Film die Kritik von den Leuten aus Leipzig annehmen muss. Die Parallelen sind einfach zu viel!


Dietrich Brüggemann

Und wo ich gerade schon hier bin: Es heißt ja, man solle sich als Filmemacher besser nicht zu Kritiken äußern, aber wenn so lang und breit über die Intentionen des Regisseurs gemutmaßt wird, sollte ich da vielleicht doch mal was aus allererster Hand beitragen. Ich sitze da nämlich nicht selber in der Talkshow, sondern eine Figur, die meinen Namen trägt und von Tom Lass gespielt wird, und was der da sagt, ist keineswegs meine persönliche Meinung. Es wäre auch etwas seltsam, in einem Film, in dem wirklich alle Leute Blödsinn reden sagen, ausgerechnet hier eine Ausnahme zu machen. Wer das also als direkte Mitteilung von mir selbst mißversteht und dann als Argument gegen den Film verwenden will, der hat möglicherweise im ersten Semester Medienkompetenz mal kurz nicht aufgepasst. Spätere Unterstellungen erscheinen mir schon als Unterstellung problematisch, wenn es nämlich heißt, der Film "zielt ganz klar auf eine endlich-mal-was-anderes-Rezeption". Ich kann jetzt natürlich versuchen, im nächsten Film auf eine schon-wieder-dasselbe-Rezeption zu zielen, befürchte aber, daß man mir das dann auch wieder vorwerfen wird. Ehrlich gesagt ziele ich aber auf gar keine Rezeption, die hat man nämlich sowieso nicht in der Hand, so wie ein Fußballspieler auch in erster Linie aufs Tor zielt und nicht auf irgendeine Rezeption. Als Filmkritiker macht man das eigentlich auch so, dachte ich immer, aber anderen vorwerfen kann man es ruhig trotzdem.
Der Rest vom Text erscheint mir auch von Dingen durchsetzt, die ein wohlmeinender Redakteur zu seligen Printzeiten leise mahnend angemerkt hätte, vor allem ist es ja eher eine Literaturkritik, die sich um den Film selber eigentlich kaum kümmert, sondern nur um seinen Inhalt ("Das Substrat der Kritik"), aber das machen wir ja in Deutschland immer gern, und eigentlich sollte man sich ja als Filmemacher gar nicht zu Rezensionen äußern, also, Schluß jetzt.


Till

Medienkompetenzseminare hatte ich nie, aber dass man mit Intentionen-Gerate nicht groß weiterkommt, ist zum Glück ja eh klar. Dass hier manche Formulierungen trotzdem in die Richtung gehen, stimmt wohl, die bestimmen aber nicht derart die Argumentation. Aber erstmal sorry: Dass du da angeblich selbst sitzt und nicht Tom Lass, ist natürlich ein krasser Fehler, der noch korrigiert wird. Aber dass das deine „persönliche Meinung“ ist, was da gesagt wird, das behaupte ich gar nicht und benutze es auch nicht als Argument. Nicht du sprichst in der Szene, aber der Film spricht auch aus dieser Szene. Der Auftritt als wenigstens selbst-reflexive/selbstironische Filmszene (nicht als unvermittelter Blick auf die Hintergedanken des Regisseurs) diente mir erstmal als Beispiel für mein Unbehagen mit dem Film und als Ausgangspunkt für den Text. Dass das mitunter durcheinander gerät, hat freilich auch wieder mit dem Anfangsfehler zu tun. Aber später wird dann ja auch der Film selbst zum Satzsubjekt, wie sich’s gehört, denn der hat natürlich eh ein Eigenleben und wird das sicher auch noch in Texten mit anderen Zugängen und Thesen weiterführen. Dass meine da die passendsten waren, würde ich nichtmal behaupten wollen, insofern danke für die Kritik der Kritik, auch wenn ich nicht alle angesprochenen Aspekte verstehe bzw. Prämissen teile.


Dietrich Brüggemann

Na ja, also, dann könnte man genausogut behaupten, daß der Film als Subjekt spricht, wenn der Bürgermeister sagt: Nazis raus aus den Medien. Oder wenn die Moderatorin sagt: Alle sind sich einig, ihr Film ist kontrovers. Oder wenn direkt nach "ich fand's lustig" der Talkshow-Nebensitzer sagt: Ich finde deutsche Filme eigentlich nie lustig. Das sogar am ehesten.


Till

Achso, nein, mit "der Film spricht auch aus dieser Szene" meinte ich jetzt nicht die Zustimmung des Films zu konkreten Aussagen der Figuren, eher ganz banal, dass die Szene Teil des Films ist und deshalb etwas über den Film sagt.


Dietrich Brüggemann

Ach so. Aber um etwas Hilfestellung zu leisten: Dieses Regie-Statement in der Talkshow bedeutet wahlweise, daß der Typ wirklich unterkomplex nach Bauchgefühl alles macht, was er witzig findet, und zu tieferer Reflexion nicht fähig ist (was ich einem Teil der deutschen Komödienkollegen durchaus vorwerfen würde) - oder aber, daß er sich durchaus zahlreiche Gedanken gemacht hat, die aber in so ein Talkshow-Statement niemals reinpassen würden, und deswegen kurzschlußartig zum Fazit seiner Gedankenkette springt, das dann einsam und sinnentleert im Raum herumsteht. Fand ich beides lustig.


Urs Bender

Mausert sich Brüggemann jetzt zum Uwe Boll des dt. Arthouse?






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