Halbschatten – Kritik

Fern von zu Hause ist’s wie daheim, nur schlimmer. Halbschatten demontiert gekonnt die Welt der Wohlstandstouristen, ohne selbst ganz aus ihr herauszukommen.

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Das deutsche Kino fährt zuletzt gerne in den Süden. Dort werden dann, entkleidet von den Routinen des Alltags, im grellen Licht der mediterranen Sonne, die kranken Strukturen unserer (Liebes-)Beziehungen genussvoll seziert. In Maren Ades Alle Anderen (2009) wickelte sich ein hippes Pärchen auf Sardinien unablässig diskutierend selbst die Stricke, über die es in die Leere des normalen Lebens stolperte. Ann-Kristin Reyels ließ auf Formentera (2012) Aussteigerträume und Heimweh in einer leicht faschistoiden Alt-Hippie-Gemeinschaft miteinander ringen. Und nun, in Nicolas Wackerbarths Halbschatten (2013), brechen in einem totdesignten Ferienhaus über den Dächern von Nizza die kleinen Demütigungen des fernen deutschen Alltags aus einer versetzten Geliebten heraus. Die Heimat, sie brennt im Urlaub mit doppelter Kraft und in Vergrößerung, wenn sich die Kamera wie eine Lupe zwischen Licht und Menschen schiebt.

Hauptdarstellerin Anne-Ratte Polle (allein ihre Name lautmalt schon etwas sehr Deutsches auf die Titelsequenz) spielt Merle, eine Schriftstellerin in ihren Dreißigern, von ihrem Verleger-Lover ins Feriendomizil an die Cote d’Azur gelockt und dann allein gelassen mit dessen gelangweilten, die tote Mutter bösartig verteidigenden Kindern (Leonard Proxauf, Emma Bading). Der Lover bleibt absent, er hat zu tun in Zürich, allweil sich zwischen Kindern und der Stiefmutter in spe ein bösartiges Spiel der Schikanen entwickelt.

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Halbschatten setzt dabei ganz auf Komplizenschaft des Zuschauers mit Merle. Polle verkörpert sie ziemlich großartig als passiv-aggressive Frau, die selbst etwas unsicher ist, ob sie sich noch gegen Angriffe verteidigt oder schon Genuss am Verarschen anderer gefunden hat. Wenn Merle dem pubertären, hormongestauten Felix ihren nackten Körper wie einen schambehaarten Mittelfinger entgegenstreckt und damit zugleich seine unbefriedigte Lust und unentrinnbare ödipale Qualen kitzelt, wenn sie ihn im chemieverseuchten Pool planschen lässt und lieber zuschaut als zu warnen, dann sind das kleine private Rachen an der Welt und ihren Bewohnern, und Merles Befriedigung liegt im schweigenden Auskosten ihrer Überlegenheit. Vor allem aber sind es stellvertretende Rachen am Liebhaber, der nicht einmal seine Mailbox abhört und dessen mögliche Ankunft schon nach kurzer Zeit eher befürchtet als ersehnt wird.

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Überhaupt ist es eine sadistische Welt, in die sich die südfranzösischen Sommerhauseigner eingemauert haben, eine auf perfide Weise halb-geöffnete, halb-geschlossene Welt der freien Blicke und verstellten Wege. Kameramann Reinhold Vorschneider füllt seine gewohnt präzis austarierten Bilder mit allerlei halbdurchlässigen Flächen: Fensterwänden, Maschendrahtzäunen etwa, menschengemachten Barrieren, die mehr Gefängnis sind als Schutz vor den vermeintlichen, eher gerüchtehalber beschworenen Dieben aus dem Nizza unten am Hang. Die Alarmanlagen gehen immer im falschen Moment los, die Tore schließen eher die Besitzer aus als die Einbrecher, und letztlich sind es nur die verzogenen Kinder der Eigentümer, die die Schwachstellen im Sicherheitssystem kennen und nächtens bei den Nachbarn einsteigen.

Technisch ist Halbschatten ein kleiner Triumph subtiler Inszenierung. So antwortet Emil Klotzschs variables Sounddesign auf die tendenziell von Grenzen durchzogenen Bilder mit satten, sich beständig weitenden und verengenden Atmosphären. Baustellenhämmer, lärmende Kinder, vorüberziehende Flugzeuge und ähnliche Geräusche begründen eine eigenständige akustische Szenerie. An den Rändern der Bilder drängt die Außenwelt, visuell draußen, doch hörbar, gleichzeitig präsent und unerreichbar.

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Leider nur kann Halbschatten dieses technisch gekonnt arrangierte metaphorische Feld inhaltlich nicht ganz befriedigend ausschlachten. Wie viele deutsche Filme der letzten Zeit wirkt er wie eine Nabelschau, mutet auf selbstzerstörerische Weise fast autoerotisch an. Alle Erkenntnis wie Analyse bleibt nach innen gekehrt, während nach außen hin ziemliche Rat- und Ideenlosigkeit herrscht. Ganz offenbar kritisiert Wackerbarth die sadomasochistischen Eigendynamiken der erstarrten Wohlstandsgesellschaft, aber als Gegenüber hat er nur leere Bilder der „anderen“ Welt parat, des Nizzas der normalen Arbeiter, der Clochards und der nordafrikanischen Einwanderer.

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Halbschatten bekommt so beizeiten eine Note allzu kalkulierten Selbsthasses, destruktiver Demontage des Vertrauten. Am stärksten ist das wohl in den Dialogen spürbar, die wie der ganze Film manchmal arg reißbrettartig wirken. So fragt eine Putzfrau die auf ihren Laptop eintippende Merle einmal, was die Story des Buches sei. Die Geschichte ist doch unwichtig, kommt die schnippische Antwort. Die ganze Situation wirkt dabei unangenehm gestellt, entworfen allein zum Zwecke, eine bestimmte Form hochnäsiger Ignoranz auf den Punkt zu bringen und Welten zu trennen, als würde man sich nicht verstehen. Einmal verzweifelt Merle im Modeladen bei der Wahl zwischen einem hell- und einem dunkelgrauen Kleid, bis ihr die Angestellte mit fast brutalen Griffen die strähnigen, matten Haare zu einem Pferdeschwanz zurechtzieht: Der Hass auf die grau-grauen Nicht-Einheimischen, den diese unter sich fortpflanzen, bricht hier hervor.

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Oft blickt Merle hinunter auf die orangenen Lichter der so fernen, so nahen Stadt, und mit ihr sehnt sich der Film nach dem Anderen, das in dieser Form des Urlaubs außen vor bleibt. Vielleicht hat sie sich für das falsche Programm entschieden? Abenteuer statt Ferienhausidyll? Irgendwann wird Merle auch hinabsteigen, ein Glas mit einem Bauarbeiter trinken und am Ende sogar ganz verschwinden in unbewegten, dokumentarischen Aufnahmen der nächtlichen Straßen. Zurück lässt uns Halbschatten leicht zwiegespalten, da er bei aller meisterlicher Selbstkasteiung irgendwie mit drinnen bleibt in der Welt, aus der er raus will.

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