Gott existiert, ihr Name ist Petrunya – Kritik
Ich bin eine Frau in Mazedonien. Mal zärtlich, mal clever, mal grob zwingt Gott existiert, ihr Name ist Petrunya zur Identifikation mit seiner Titelheldin im Kampf gegen das Patriachat.

Die Kinoleinwand wird oft und gerne mit einem Spiegel verglichen, durch den wir die Wirklichkeit neu erblicken können – leicht verzerrt, poetisch verfremdet, verknappt und verkürzt vielleicht, aber stets erkennbar. Doch bohren wir etwas tiefer in die Metapher. Denken wir beispielsweise die Großaufnahme als einen Spiegel: Ist es nicht möglich, in den Zügen einer anderen mich selbst oder, besser: Möglichkeiten meines Selbst wiederkennen zu können? Ich werde angeschaut und blicke zugleich auf mich zurück. Ein ängstliches Gesicht in Großaufnahme erweckt die Fähigkeiten des Ängstigens in mir.
Gegen Kapital, Klerus, Polizei

Gott existiert, ihr Name ist Petrunya setzt diese Mechanik der emphatischen Übertragung großzügig und häufig ein. Gleich das erste Mal, als wir uns der Titelheldin (Zorica Nusheva) von Angesicht zu Angesicht gegenüber sehen, taxiert sie sich im Spiegel. Ihr Blick jedoch zielt ins Jenseits ihrer Welt, in den Zuschauerraum. Fett sei sie, sagt sie zu ihrer Mutter, zieht sich aus und blickt mich/sich an. Ihre Nacktheit bleibt im Off, aber es ist unmissverständlich, dass sie sich darbietet zur Identifikation.

Sie wird der Körper sein, durch den wir eine bittere Satire über den patriarchalen Filz im Mazedonien von heute miterleben sollen. Petrunya hat nämlich die Männer gegen sich aufgebracht. Den Boss beim Jobinterview, weil sie nicht jung und schmal ist und er nicht geil wird. Den Priester, weil sie bei einem Ritual das Kreuz gefangen hat, obwohl Frauen doch nicht mitmachen sollen. Und den Polizisten, weil sie gesellschaftliche Regeln, aber keine Gesetze gebrochen hat und er ihr nichts tun darf. Kapital, Klerus, Polizei: Alles fest in Männerhand. Nur die Medien in Form einer abgehalfterten Journalistin (Labina Mitevska) sind hier weiblich besetzt. Die Bilder sollen emanzipieren.
Angeblickt werden, wenn man sich bereits abgewendet hat

Für gewöhnlich ist die Großaufnahme eine intime Angelegenheit. Eine Begegnung zwischen einer Figur und mir, ihrem Zuschauer. Ein aus der Welt geschnittenes Gesicht vertreibt das Drumherum und alle anderen. Umso gewaltvoller, ja schockierend sind da die Momente, in denen Regisseurin Teona Strugar Mitevska plötzlich Männergesichter in die Großaufnahmen Petrunyas dringen lässt. Ihre angeschnittenen Visagen zerstören ihre, meine Intimsphäre. Den ganzen Film charakterisiert ein hintergründiges, augenzwinkerndes Spiel körperteilender Bildausschnitte. Die Kamera entmannt Autorität, wenn sie den Polizisten die Köpfe abschneidet und sie als uniformierte Rümpfe herumtigern lässt. Sie entlarvt die Beschwörungen uralter Traditionen als Blabla, wenn den Sprechenden die Körper abhandenkommen. Mitevska aber genügt die subtile Geste scharfer Bildausschnitte wohl nicht, denn sie lässt Petrunya mehrmals mit Schaufensterpuppen hantieren, Männerköpfe auf Frauentorsos schrauben. So wird clevere Inszenierung zur ausgestellten Allegorie.

Solcherlei Grobheiten bringen den Film leider immer wieder ins Schlingern. Die Figur der Journalistin buchstabiert die feministische Herausforderung, die Petrunya für das Patriachat darstellt, unerbittlich aus. Damit ich ja nichts missverstehe. Die Großaufnahmen kommen so oft zum Einsatz, dass ich meiner gespiegelten Andersheit irgendwann überdrüssig werde. Die Komplizenschaft zwischen Petrunya und uns Zuschauenden bleibt nicht heimlich, sondern muss durch einen Blick direkt in die Kamera explizit gemacht werden. Identifikation kann so schnell zur Erpressung werden: Ich muss mit ihr fühlen, muss durch sie die Welt verstehen, muss ihren Blick teilen. Und da kommen wir an die Grenzen der Metapher. Denn wende ich mich vom Spiegel ab, dreht sich auch mein Gegenüber weg. Doch Petrunyas Blick flimmerte weiter stoisch, flehend, gebieterisch von der Leinwand zu mir her, als ich die Bande zwischen uns bereits zerfasern spürte.
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Kommentare
zuschauer
Ich glaube, es ist unzutreffend, dass die Schaufensterpuppen szenisch einen unmittelbaren Bezug zu den halbnackten Kreuztauchern haben. Jedenfalls liegt es im Auge des Betrachters. In meiner Betrachtung nimmt die lustbetonte Protagonistin den Torso vielmehr als Gefährten für eigene sex. Phantasien mit nach Hause.
Es sind auch nicht alle Taucher kahlköpfig. Im Übrigen kommt P. mit dem Torso beim Geschehen an und es ist recht glaubhaft, dass sie recht naiv ins Wasser springt und nicht deshalb, um den Anwesenden irgendeine Gender-Botschaft zu überbringen.
Ich fand den Filme toll und ich habe abgeschnittene Männerbilder gar nicht bemerkt.
Im Übrigen gibt es das männliche Spektakel tatsächlich; in Deutschland, in Memmingen am Fischertag; nur Männer dürfen in den Stadtbach springen und die dickste Forelle rausholen.
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