Caracas, eine Liebe – Kritik

Das Rätsel als ermüdende Faszination: Der venezolanische Debütant Lorenzo Vigas hat im letzten Jahr überraschend das Festival von Venedig gewonnen – aber nicht jede überraschende Entscheidung ist eine für überraschendes Kino.

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Ein Goldener Löwe auf dem letztjährigen Festival von Venedig eilt diesem Film voraus. Der venezolanische Regie-Debütant Lorenzo Vigas hat sich in der Gunst der Jury um Alfonso Cuarón immerhin gegen Filmemacher wie Alexsandr Sokurov (Francofonia) oder Charlie Kaufman (Anomalisa) durchgesetzt. Und erschien diese Entscheidung im letzten September mit Sicherheit mutig, frisch, überraschend – Anerkennung und Unterstützung für ein selbstbewusstes Debüt aus einem Land ohne größere Filmindustrie –, so sind die Vorzeichen beim Kinostart ein halbes Jahr später andere. Denn eben: Der Preis ist jetzt vorausgeeilt, ist nicht mehr Ausdruck und Effekt einer überraschenden Kinoerfahrung, sondern rahmt diese und spendet ein Gütesiegel für den Vorspann. Vielleicht sind auch diese umgekehrten Vorzeichen nicht ganz unschuldig daran, dass ich das Konventionelle dieses Films so stark wahrnehme. Caracas, eine Liebe ist klug konzipiert und vermeidet Plattitüden, ist aber gerade in dieser Mischung aus formaler Strenge und stolzer Subtilität eben auch Festivalfilm durch und durch, wie gemacht für einen Überraschungspreis.

Prekärer Kern

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Desde allá heißt Vigas’ Film im Original, von dort draußen, und dieser Titel ist erst mal so erratisch wie das Verhalten seiner beiden Protagonisten: Da wäre einmal Armando (Alfredo Castro), der sich in einem Mix aus Slumming und Cruising durch die Straßen von Caracas bewegt, männlichen Jugendlichen gut versteckt finanzielle Avancen macht, damit diese ihm nach Hause folgen. Dort bedeutet er einem Jungen in der ersten Szene nur, sich die Hosen runterzuziehen, dann masturbiert er zum Anblick des jugendlichen Hinterns. Und dann wäre da Elder (Luis Silva), der zwar auch mit Armando nach Hause kommt, ihn dort aber verprügelt und beklaut. Armando weigert sich, es bei der Gewalt zu belassen, er sucht Elder schon bald wieder auf, bietet ihm noch mehr Geld. Und der Film weigert sich, es bei der Homophobie zu belassen, und wirft auch seinen jugendlichen Protagonisten zunehmend aus der Bahn und hinein ins schwule Begehren. Irgendwann wird Elder diesen deutlich älteren Mann sogar zu einer Familienfeier mitnehmen, in welcher Rolle, das wissen beide nicht so richtig. Dieses Verhältnis, unbestimmt bis zuletzt, ist der prekäre Kern von Caracas, eine Liebe.

Ausgestelles Vorenthalten

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Das Erratische dieses Films ist nun seine Not und seine Tugend. Zunächst ermüdet es, denn man kennt nun zur Genüge jene psychologischen Dramen, in denen die Figurenzeichnung aus der Etablierung hinausgejagt und in den gesamten Film hineinverzögert wird – was oft leider weniger mit dem Streben nach einer weicheren, dynamischeren, bewegten Zeichnung zu tun hat als mit einem Ratespiel. Aufmerksam müssen wir dann sein, weil wir wissen, dass die zentralen Informationen nicht in den ersten zehn Minuten geliefert werden, sondern hie und da mal in den Film gestreut werden, sodass sich erst langsam ein Bild ergibt, das am Ende mit seiner eigenen Vollständigkeit schon ganz zufrieden ist – und mit dem man, wie mit einem fertigen Puzzle, nichts weiter anzufangen weiß, als es an die Wand zu hängen oder zu vergessen. Das ausgestellte Vorenthalten kann manchmal ebenso frustrieren wie das Etablieren nach Maßgabe der bekannten Drehbuchratgeber.

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Auch in Caracas scheint das Rätselhafte erst mal weniger als Motor filmischer Bewegungen denn als Freibrief für Schweigen und Stasis. Viele Blicke, wenig Dialoge, behutsam eingesetzte Ausbrüche. Dass es bis zum Ende so bleiben wird, das scheint von Beginn an klar. Produziert wurde der Film unter anderem von Michel Franco, dessen Cannes-Beitrag Chronic (2015) diesem streng-beruhigten Modus nochmals deutlich konsequenter verpflichtet war. In Caracas, eine Liebe nun halten uns vor allem der aus den Filmen von Pablo Larraín bekannte Alfredo Castro und Debütant Luis Silva bei der Stange: eigenartige Präsenzen, deren Körper sich zeitgleich anziehen und abstoßen, während sich ihre Blicke und ihre Worte nichts zu sagen haben. Wenn dann doch mal etwas gesagt wird, dann geht es um abwesende Väter– Elders ist tot, Armando wünschte, seiner wäre es –, und dann mischen sich eben doch wieder psychologische Allgemeinplätze ins un- oder zumindest unterbestimmte Verhältnis dieser beiden Figuren. Stärker sind die Momente, die ihr Verhältnis wie die thematische Motivik dann doch einmal zuspitzen, wenn sich etwa Armando selbst den Oberschenkel aufschlitzt, als er von Elder eine Schwuchtel genannt wird – von hier an ist alles anders.

Und doch bleibt etwas hängen

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Auf Plotebene strebt der Film schließlich auf ein recht klares Ende hin – auch das ist in seinem Festivalfilm-Habitus schon angelegt, zu dem das ruhige Tempo ebenso gehört wie ein kleiner Schock zum Schluss, damit niemandem die Ambition entgeht. Wenn Caracas, eine Liebe dann aber doch noch länger im Kopf bleibt als ähnlich gelagerte Kinostücke, dann liegt das daran, dass auch diese Schließung die aufeinander zu- oder einander entgegenlaufenden Bewegungen zwischen Armando und Elder zwar in ein anderes Licht rücken, aber nicht retrospektiv erklären kann. Was bleibt, ist das niemals aussprechbare, häufig abgewehrte, nicht ohne Kampf zu stillende, spontan erwachende oder aus dem Tiefschlaf erwachte, letztlich scheiternde Verlangen. Wo es herkam, welchen Weg es durch die Bilder nahm, was da eigentlich genau los war, das will der Film vielleicht gar nicht so genau wissen, oder zumindest will er es uns nicht zeigen. Deswegen hängt am Ende eben doch kein fertiges Puzzle an der Wand, sondern die paar zusammenklamüserten Teile werden frustriert zurück in die Box geworfen. An diesen Frust aber wird man sich wohl länger erinnern, als man ein fertiges Puzzle je an der Wand hängen lassen würde. So ganz geht Vigas’ Film dann glücklicherweise eben doch nicht auf in seiner perfekten Formel für einen Überraschungssieg auf einem Festival.

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