Irrlicht – Kritik

Der neue Film von João Pedro Rodrigues ist eine Musical-Farce, in der ein Kronprinz gegen den Klimawandel und für den Sex zur Feuerwehr geht. Irrlicht deutet ideologische Konflikte und soziologische Themen an, ist zuvorderst aber an Penissen aller Art interessiert.

Im Zuge des Klimawandels steige die Gefahr für Waldbrände in Europa, erklärt Kronprinz Alfredo (Mauro Costa) am heimischen Esstisch. Daraufhin beginnt er, Teile von Greta Thunbergs UN-Rede zu rezitieren. Was schließlich darin kulminiert, dass er ein Jahr später am gleichen Ort seine Eltern darüber informiert, dass er Feuerwehrmann zu werden gedenke. Für seine Mutter (Margarida Vila-Nova) ist dies nichts als republikanischer Unfug, der da in ihren Sohn gefahren ist. Alfredo selbst geht es aber offenbar gar nicht so sehr um die brennenden Bäume, die es zu löschen gilt. Ein Symbol für etwas anderes scheinen sie zu sein. So griff er sich schon in den erregten Schritt, als sein Vater (Miguel Loureiro) ihm zuvor von den königlichen Kiefern erzählte, die prall gefüllt vom Saft sich in den Himmel erstrecken und ihren Sauerstoff potent in die Luft ergießen. Alfredo und auch João Pedro Rodrigues’ Irrlicht (Fogo-fátuo) geht es eben um Penisse.

Das Glück in frivolen Späßen

In der kurzen theatralen Aufführung des Films, die den Weg Alfredos zur Feuerwehr zeigt, haben Penisse nur als Symbol, als Bäume, Platz. Sobald er bei der Feuerwehr ist, drängen sie jedoch immer öfter und größer ins Bild. Erst gleitet die Kamera durch die Feuerwache und ihre Umkleide, wo die Schritte der muskulösen, (fast) nackten Männer entweder durch ein Suspensorium oder Schatten verdeckt sind. Wenn diese immer noch (fast) nackten Männer wenig später berühmte Gemälde für einen Kalender nachstellen, dann baumeln sie schon hier und da im Bild. Bis sie – in schlaffem Zustand – groß auf eine Leinwand projiziert werden oder sich in Großaufnahme an ihnen – im erigierten Zustand – gerieben wird.

Für Alfredo ist Irrlicht eine Befreiung, bei der er vom verschüchterten jungen Mann zum selbstbewussten Liebhaber von Afonso (André Cabral) wird – hochsymbolisch stirbt der väterliche König auch, sobald diese Entwicklung vollzogen ist, woraufhin Alfredo zum König (seiner selbst) wird. Weder erzählt Rodrigues (u.a. Der Ornithologe, 2017) dies als Drama oder Romanze, noch lässt er sich sonderlich viel Zeit, um die Entwicklungen detailliert nachzuzeichnen oder dramaturgisch abzusichern. Stattdessen ist Irrlicht eine Musical-Farce, die in einer Laufzeit von knapp über einer Stunde vergnügt durch kurze Szenen hüpft und sein Glück in der eigenen Lust und in frivolen Späßen findet.

Penishaltiges, absurdes Theater

Jedem Satz von König und Königin wohnt ein affektierter, distinguierender Klassenkampf inne. In ihren Gemächern hängen Gemälde von afrikanischen Kleinwüchsigen in den Gewändern von vormodernen, europäischen Adligen – weil sie das Andere nur über Spott und Absurdität wahrnehmen können, genau wie sie selbst in Irrlicht nur Teile eines ausstaffierten Witzes sind. Der Klimawandel ist nur ein Instrument für Alfredo, Corona lediglich eine dramatisch-ulkige Randnotiz. Und Alfredo und Afonso unterziehen sich gegenseitig kurz einer bissigen soziologischen Analyse, wonach jeder nur da ist, wo er ist, weil er die Wurzeln seiner Herkunft unkenntlich machen wolle.

Wiederholt wird also zu ideologischen Kämpfen angesetzt, doch diese bleiben nur kleine motivische Sprenkler in einem absurden Theater, das für solche Gegebenheiten der Gegenwart nur Spott übrig hat. Jeder Versuch, der Welt mittels einer Ideologie ein Gesicht zu geben, muss scheitern, weil Irrlicht eben zuvorderst an Penissen interessiert ist. Die Ideologie des Films liegt eher darin, dass alles absurd ist, was nichts mit Lust und Trieb, Liebe und Leidenschaft zu tun hat. Zwangsläufig ist der Film hier am schwächsten, weil er dabei zuvorderst affektierter Spaß an etwas ist, das nur oberflächlich interessiert, während es im Film wie in den Leuten auf etwas anderes hinausläuft.

Die Feuerwache als schwules Ferienlandheim

Auf der anderen Seite befindet sich die Feuerwehr, die nie dabei zu sehen sein ist, wie sie Brände löscht. Die Feuerwache wirkt eher wie ein schwules Ferienlandheim, in dem sich ständig verulkt wird, in dem Männerkörper zum allgegenwärtigen Fetisch werden, in dem die eigene Exaltiertheit mit Gesang und Tanz performt wird. Hier ist Irrlicht am stärksten, weil zwar auch alles absurd ist, der Film sich dabei nicht über etwas lustig gemacht, sondern sich dem Spaß an der eigenen Freude, an der eigenen Lächerlichkeit hingibt.

Aber auch für die Liebe und Feuerwehr hat Irrlicht weniger eine Geschichte parat, die erzählt werden würde, als kleine lose Szenen und Sketche, die zusammen die besagte Entwicklung erahnen lassen. Weshalb wir im Grunde einen Film von Roy Anderson erhalten, der sich nicht in Verbitterung und Tristesse ergeht, sondern deutlich leichter daherkommt. Und doch ist die kurze Spielzeit schon der erste Marker, dass Irrlicht kaum mehr ist als ein kleiner Spaß – mit Penissen.

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