Fausto – Kritik
Woche der Kritik 2019: Eine Sturzflut der Epiphanien. Andrea Bussmanns Fausto durchstreift einen Landstrich an der mexikanischen Küste, vertraut den dabei aufgesammelten Bilder aber selbst nicht so richtig.

Nachtaktive Tiere, so verkündet es der unsichtbare Erzähler an einer Stelle von Andrea Bussmanns Fausto, teilen, bei allen Unterschieden in Größe und Verhalten, doch eine Eigenschaft: Sie lassen sich nicht zähmen. Nach dieser Feststellung werden verschiedene Arten aufgelistet, die sich auf diese Art jeder menschlichen Kontrolle entziehen, von der Eule bis zum Riesenkalmar. Der Film weist hier explizit darauf hin, welches Interesse ihn antreibt: das eines Sammlers. Fausto streift bei Tag und vor allem bei Nacht durch einen kleinen Landstrich an der mexikanischen Küste und trägt dabei Eindrücke, Orte, Menschen und Geschichten zusammen, auf der ständigen Suche nach inneren Verbindungen und unerwarteten Bedeutsamkeiten. Sein Augenmerk richtet sich dabei ganz vornehmlich auf jene nachtaktiven Geschöpfe, seien sie nun Mensch oder Tier, die sich der Gemeinschaft und damit auch den Zwängen der Hierarchie und der geregelten Lebensläufe entziehen – nicht aufgrund einer persönlichen Entscheidung, sondern allein aufgrund ihres Wesens und ihrer inneren Beschaffenheit.
Die panische Angst vor der Bedeutungslosigkeit

Bis auf ein paar wenige Szenen bei Tageslicht ist in Bussmanns Film somit auch alles in das tiefe Schwarz der Nacht eingefasst: In weiter Ferne scheint da etwa ein mysteriöses Licht, während man das Rauschen der ungesehenen Brandung hört, oder ein im Feuerschein flackerndes Gesicht schwebt in der Dunkelheit und erzählt von einem Haus, aus dessen Wänden Gold hervorquillt. Überhaupt wird sehr viel erzählt in Fausto: mal durch tatsächlich auftretende und sichtbare Personen, meistens jedoch durch eine Erzählstimme, die den Blick der Kamera zu leiten oder ihm zumindest bewusst zu folgen scheint. In märchenhaftem Tonfall wird dann von Hexen und Gespenstern, von telepathischen Tieren und verwunschenen Häusern gesprochen. Die Gegenüberstellung mit den fast formlosen visuellen Eindrücken verleiht diesen bewusst gestalteten Geschichten einen allegorischen Charakter: In ihnen, so scheint es, vollzieht sich eine Deutung des Gesehenen. So zieht der Film über seinen Bildern ständig eine Ebene des Ahnungsvollen und der verborgenen Sinnhaftigkeit ein: Eine Schubkarrenladung Sand wird zu einem „Deich, der das Meer zurückdrängen soll“, eine Gruppe von Männern an einem kleinen Kiosk zu einer Gemeinschaft „auf der Suche nach einem Schatten“.

Durch dieses Beharren auf einer sprachlichen Umformung und poetischen Verklärung seiner Bilder scheint es mitunter, als hätte der Film eine panische Angst davor, dass irgendein Satz, irgendeine Einstellung, irgendein eingefangenes Ereignis keine größere Bedeutsamkeit entfalten könnte. Jeder Moment muss zur Epiphanie werden, sonst ist er nichts wert. Es ist ein Blick, der so verkrampft die Entrückung herbeisehnt, dass er sich irgendwann nicht mehr an der Vieldeutigkeit des Gesehenen reibt, sondern ganz in der eigenen Empfindsamkeit versinkt. Die sprachlichen Ausdeutungen wirken dann wie visionäre Verkündungen, die von keiner Erscheinung je ausgehebelt oder in Frage gestellt werden. So regt sich im Laufe des Films mehr und mehr die Sehnsucht nach dem offenkundig Banalen, dem aggressiv Bedeutungslosen – manchmal würde man lieber erfahren, was der Mensch, der gerade redet, morgens zum Frühstück gegessen hat als noch eine Fabel über eine Frau mit doppeltem Schatten erzählt zu bekommen.
Eine Welt, nicht für unseren Blick gemacht

Immer wieder verstummt jedoch der Kommentar, und die unsichtbare Erzählstimme zieht sich eine Zeit lang bescheiden zurück. Dann beobachtet der Film etwa ein Schiff, das in der Dämmerung langsam eine Bucht durchquert, just hinter der Linie, auf der sich die anbrandenden Wellen brechen. Oder er reiht porträtartige Aufnahmen ausgestopfter Tiere aneinander, die mit ihren starren, toten Blicken irgendwie doch nicht ganz leblos erscheinen. In diesen Szenen lässt Fausto die eingefangenen Erscheinungen einfach sein, ohne sie ständig auf Teufel komm raus zum Sprechen bringen zu wollen, und für einige Augenblicke blitzt das faszinierende Bild einer Welt auf, in der sich die Dinge und Ereignisse unserem gedanklichen Zugriff immer ein Stück weit entziehen: eine nachtaktive Welt, die nicht für unsere ans Tageslicht gewöhnten Augen gemacht ist.
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