Fast & Furious 9 – Kritik

In ihrer Insistenz auf Familienbande hat die Fast-&-Furious-Reihe ein Level erreicht, das selbst Star Wars alt aussehen lässt. Zugleich erreicht die Action einen Absurditätsgrad, auf dem auch aus der Komödie Top Secret entlehnte Gags nicht mehr irreal wirken.

„Es geschah, als ich elf Jahre alt war …“ Eine neue Figur ist gerade in Fast & Furious 9 (F9) in Erscheinung getreten. Sie sitzt nun in einer der Kommandozentralen des Films, umringt von Freunden und Kollegen, von der Familie, deren Geschichte die Fast-&-Furious-Reihe erzählt. Es herrscht eine legere Spannung. Nur das Lagerfeuer fehlt noch, wenn die Figur nun ihre Hintergrundgeschichte zum Besten gibt, die uns per Rückblende gezeigt werden wird. Kaum ein anderer Moment fängt besser ein, was F9 im Speziellen und die Reihe im Allgemeinen (inzwischen) ausmacht.

Ans Surreale grenzendes Seifenoperprinzip

Als Justin Lin Fast & Furious Five (Fast Five, 2011) zum Klassentreffen der Protagonisten der vorangegangenen Filme machte, gab er einer bis dahin qualitativ wie inhaltlich schlingernden Reihe ihr nun bestimmendes Grundthema. Fortan ging es um ein bunt zusammengewürfeltes Team von Professionals, die ineinander eine (Ersatz-)Familie gefunden hatten. Und diese Familie wächst seitdem beständig. Einerseits, da das Ganze nach der Dragonball-Logik funktioniert und die überwundenen Gegner des jeweils letzten Teils im folgenden in den erweiterten Familienkreis aufgenommen werden.

Andererseits unterliegen die Filme einem ans Surreale grenzenden Seifenoperprinzip. Noch der toteste Tote ist nicht davor gefeit, später einmal wieder aufzuerstehen und zu erklären, dass alles ganz anders war. Dabei handelt es sich weniger um Twists als um die für die Reihe so zentralen Momente des Wiedersehens, die so noch etwas gesteigert werden können. Der in Teil 3 gestorbene Han (Sung Kang), der in Fast Five und Fast & Furious 6 (2013) nur Teil der Familie werden konnte, weil sein Tod in der Handlungszeit dieser Folgen noch in der Zukunft lag, findet sich bei F9 jedenfalls schon auf dem Filmposter wieder. Seine Wiederkehr ist eben keine Überraschung, sondern ein Lockmittel für die Fans. Oder der 2013 verstorbene Paul Walker: Als ständig absente Figur, auf die gewartet wird, wird sie in alle Ewigkeit in den Filmen am Leben erhalten.

Babys tauchen aus dem Nichts auf (Fast & Furious 8, The Fate of the Furious, 2017), verschollene Brüder werden aus dem Hut gezaubert. So wie Jakob Toretto (John Cena), der in F9 Grundstoff einer umfassenden Aufarbeitung der Jugend seines Bruders Dominic (Vin Diesel) wird, der Hauptfigur der Reihe. Der tragische Tod ihres Vaters wird ihre Beziehung überschatten. Und so fällt dieser Teil noch mehr als ohnehin schon auf Vaterschaft, brüderliche Anerkennung und Zuneigung und das Arrangieren des Zusammenlebens mit den Liebsten, kurz: auf die Familie zurück. In ihrer Insistenz auf Familienbande hat die Fast-&-Furious-Reihe inzwischen ein Level erreicht, das selbst Star Wars alt aussehen lässt.

Familienzwist vor und hinter der Kamera

Jede Auferstehung, jedes neue Mitglied bedarf bei dem inzwischen ungeheuren Rucksack der Familiengeschichte Erklärung und Aufklärung. F9 ist folglich mit Rückblenden und Umschreibungen des bereits Gesehenen zugestellt. Auch mitten in der Geschichte wird sich deshalb zurückgelehnt, damit der Lebensgeschichte einer Figur am potenziellen Lagerfeuer gelauscht werden kann. Der eigene Mythos bedarf inzwischen einer solchen Arbeit, dass der Actionfilm dadurch ständig ausgebremst wird. An allen Ecken tauchen alte Bekannte auf, und neue werden ins Bekannte eingewoben. Wer Fast & Furious verfolgt, dem wird hier und da das Herz aufgehen. Aber das Ausmaß raubt dem Film die Luft.

Die Familienzwistigkeiten und -zusammenführungen finden dabei schon lange nicht mehr nur vor, sondern auch hinter der Kamera statt. Der Streit zwischen Vin Diesel und Dwayne „The Rock“ Johnson führt zur Spaltung. Diesel blieb als nominelle Hauptfigur in der Hauptreihe, während The Rock (gemeinsam mit Jason Statham) auf die Nebenstrecke Fast & Furious: Hobbs & Shaw (2019) ausgelagert wurde. Was für F9 einen enormen Charismaverlust bedeutet, der vom leider ziemlich hölzernen John Cena zu keinem Zeitpunkt aufgefangen werden kann – auch die Aufwertung von Charlize Therons Figur, dem Hauptbösewicht mit zweifelhafter Haartracht aus The Fate of the Furious, zum Hannibal-Lecter-artigen-Vamp in einer Glaszelle gibt F9 nur bedingt mehr Strahlkraft. Im zwischenmenschlichen Bereich ist das Wegfallen von Johnson und Statham – es ist, als hätte es sie nie gegeben – aber eine Befreiung. Da sich nicht mehr so viele Alphatiere auf einer Seite auf den Füßen stehen, werden auch nicht mehr so viele dicke Eier ausgestellt. Zumindest in der Hinsicht hat der Familiendisput für etwas mehr Lockerheit gesorgt.

Grandios umgesetzte dumme Ideen

Wo der eine geht, kommt der andere zurück: Nach seinem Ausflug zum Star-Trek-Franchise (Star Trek Beyond, 2016) nimmt nun wieder Justin Lin auf dem Regiestuhl Platz. Und auch wenn der Vater des Erfolgs das Monster, das er schuf, nicht mehr ganz in den Griff bekommt, so sorgt er zumindest dafür, dass das andere Kerngeschäft der Reihe weiter vorangetrieben wird. Die Herausforderung, mit jedem Teil etwas höher, schneller, weiter zu werden, wird jedenfalls gerne angenommen.

Ging es anfangs um illegale Straßenrennen, wurden später Heists verübt, und inzwischen geht es nicht mehr unter dem Griff nach der Weltherrschaft: Jakob Toretto wird nach dem Tod des Vaters und aufgrund der fehlenden Liebe seines Bruders zum verbitterten Geheimagenten und möchte ein Gerät an sich bringen, mit dem er alle Waffensysteme der Welt unter seine Kontrolle bekommen kann. Gleichzeitig eröffnen die Familienmitglieder Roman (Tyrese Gibson) und Tej (Ludacris) Metadiskussionen, in denen sie kurz vor der Erkenntnis stehen: Das Überleben all ihrer bisherigen Abenteuer ist nur damit zu erklären, dass sie Figuren in einem Film sind. Das Familiäre wird zur megalomanen Psychotherapiestunde für die Beteiligten und zur religiösen Erfahrung – mit einer angenehm absurden Schlagseite.

Auf immer schnellere Autos folgten in der Reihe aber auch Verfolgungsjagden, in denen riesige Safes durch die Straßen einer Großstadt geschleift wurden, bis zuletzt in der Arktis ein Auto und ein U-Boot miteinander kämpften. In F9 wird ein Ford Pontiac durchs All fliegen, Autos werden von Magneten durch Häuser katapultiert, hausgroße Panzerwagen schlagen Räder. Und die enorme physische Schlagkraft, die Lins Inszenierung in den Kämpfen zwischen Jakobs Söldnern und zuvorderst Dom erreicht, gelangt an einen so absurden Punkt – ein Mann auf einem Panzerwagen wird von dem enormen Straßenschild, das seinen Rücken trifft, nicht etwa niedergestreckt, vielmehr zerbirst das Schild –, dass dergestalt eben ein Gag aus der Zucker/Abrahams/Zucker-Komödie Top Secret! (1984) Verwendung findet, ohne hier noch irreal zu wirken. Oder anders: So sehr F9 unter seinem eigenen Mythos leidet, schafft er es zuletzt noch, (fast zu spät) auf einen fröhlichen Pfad von Zerstörung und grandios umgesetzten dummen Ideen zurückzufinden.

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