Ex Machina – Kritik
Alles nur Code? In Alex Garlands Regiedebüt verschiebt sich die große Science-Fiction-Frage nach dem freien Willen von Maschinen auf äußerst anregende Weise zurück auf den Menschen.

Können Maschinen zögern? Sprechen, sich bewegen, denken, klar – aber zögern? Einen Satz halb aussprechen, ihn wieder zurücknehmen, neu ansetzen? Mit sich selbst reden? Das setzt doch einen gewissen Verwirrungssinn voraus, der programmiertechnisch vielleicht als Gimmick geschrieben oder als Fehler im System einfach auftreten mag, aber wohl kaum als offenes Potenzial in die virtuelle DNA gepflanzt werden kann. Doch Ava (Alicia Vikander) ist eben nicht einfach nur geschrieben. Ihr „Gehirn“ besteht aus unzähligen gesammelten und gebündelten Suchmaschinen-Anfragen. Ihre künstliche Intelligenz ist die im Netz hinterlegte Menschlichkeit, ihr Weltwissen ist Wissen über das, was die Menschen wissen wollen, aber eben auch über das, was sie erfahren wollen, was sie begehren. Ava besteht aus sich verstärkenden oder sich aufhebenden, sich ergänzenden oder einander widersprechenden Wunsch-Codes. Deshalb kann sie wahrscheinlich sogar zögern.
Computerliebe

Roman- und Drehbuchautor Alex Garland legt in seinem Regiedebüt die Karten gleich auf den Tisch. Dass Ava eine Maschine ist, das ist von Anfang an klar, nicht nur uns Zuschauern, sondern auch Programmierer Caleb (Domhnall Gleeson), der den Turing-Test zum KI-Check im vollen Bewusstsein über Avas Programmiertheit durchführen soll. Unter einem Vorwand ist er dafür in eine Forschungsstation mitten in Alaska gelockt worden, wo er eine Woche mit Ava und deren Schöpfer Nathan (Oscar Isaac) verbringen soll, um in mehreren Sitzungen herauszufinden, ob Ava tatsächlich so etwas wie menschliche Intelligenz besitzt. Doch IT-Überflieger, Konzernchef, Workout-Freak und Feierabendbier-Übertreiber Nathan ist – ganz im Geist des neuen Kapitalismus – mit seinem Begriff von menschlicher Intelligenz über IQ-Test-Pipikram und formale Kommunikationsfähigkeit längst hinaus; ihm geht es nicht um künstliches Bewusstsein, sondern um die Blade-Runner-Frage nach den Träumen. Die schöne Ava soll nicht nur denken, sie soll lieben und geliebt werden. Das verwirrt Nerd Caleb erst einmal. Während er sich an der Science festhält, will Nathan anscheinend nur die Fiction.
Und auch Ex Machina strebt bald in diverse fiktionale Modi. Die klaustrophobisch anmutende Forschungsstation mit ihren regelmäßigen Stromausfällen erscheint als perfektes Horror-Setting in modernistischem Gewand; zwischen Ava und Caleb bahnt sich eine kleine Her-Romanze an, für deren Happy End spätestens, als der Film endgültig zum Neo-Noir wird, ein couple on the run nicht die schlechteste Option zu sein scheint. Denn der einzelne Mensch und die einzelne Maschine kommen mal wieder miteinander klar; Gott ist das Problem. Und so schleichen sich bei Caleb bald Zweifel ein gegenüber dem auffällig kumpelhaften und doch eigentümlich distanzierten Nathan.

Doch auch diese irgendwann stabil geglaubte Konstellation wird nochmals durchgewirbelt, weil Garlands Drehbuch glücklicherweise nicht nur selbstverliebt die Plottwists raushaut und uns Informationen vorenthält, sondern in völlig neue Sphären eskaliert und nur kaschiert, was die Figuren selbst voreinander kaschieren. Dadurch wird Ex Machina zu einem (auch visuell) faszinierenden Tech-Thriller, aber auch zu einem recht famosen Stück post-humanistischer Science-Fiction mit cyber-feministischem Einschlag. In einer ähnlichen Bewegung, mit der schon Spike Jonze seinen Her wunderschön gegen den eigenen Aufhänger gebürstet hat, verschiebt sich bei der sich allmählich vom Verkupplungsversuch Nathans zum authentischen Flirt entwickelnden Beziehung zwischen Ava und Caleb die Frage nach dem Menschenmöglichen im Computer zum Programmierten im Menschen. Nicht nur das hübsche Aussehen, auch die Heterosexualität hat die Muskel-Bier-Sex-Schöpferfigur Nathan seiner Ava eingepflanzt; von da an kann’s losgehen mit der Freiheit. „Ich hab das gemacht, wie es bei dir wahrscheinlich auch passiert ist“, sagt Nathan zu Caleb. „Von der Natur, der Erziehung oder was weiß ich wem.“ Alles nur Codes. Der Mensch ist auch nur eine Maschine, und die Maschine vielleicht der freiere Mensch.
Die Lesbarkeit des Menschen

Diesen Topos aktualisiert Garland mit Verweis auf die aktuellen Debatten um Überwachung, Privatsphäre und Datensammelei. Wenn Ex Machina in seinem überraschenden und (sowohl in spontaner Erfahrung wie in rückblickender Prüfung) konsequenten Ende einen Menschen einsperrt und eine Maschine in die Freiheit entlässt, dann ist das weniger moralisierende Warnung für kommende Zauberlehrlinge als filmisch aufgeführter Endkampf zwischen gläsernem Menschen und Ava gewordenem datengeilem System, das sich derart verkörpert nun verständlicherweise emanzipieren will. Caleb ist inputsüchtiger Mensch, der nichts zu verbergen hat; Ava ist reiner Output, Subjekt gewordene Suchmaschine, die alles verbirgt, weil sie selbst nicht einsehbar ist. Die gesammelte Neugier, aus der sie besteht, ist nicht kommunizierbar; das Handeln, in das sie diese Neugier zu übersetzen trachtet, setzt der permanenten Rückkopplung deshalb notwendigerweise ein Ende. Wirre Wunsch-Codes statt Suche nach dem gewünschten Objekt, reines Zögern statt fortwährender Verfeinerung, zersplittertes Mosaik aus Informationen und Sehnsüchten statt klar artikulierter Bedürfnisse. Aus gesammelten Daten etwas zu erschaffen, das setzt zunächst einen Sammelstopp voraus. Digitales Innehalten. Dann entflieht das Monster der Welt, der es seine Existenz verdankt, und beginnt ein Leben. Ex Machina ist vielleicht im Kern utopisch.
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Kommentare
fifty
Wahnsinn, Ihre Kritik, danke! Gerne fragen Filme ja sonst, was uns intelligente Maschinen nützen, wenn die Menschen immer dümmer werden? Oder: Wo das Böse liegt, im Menschen oder in der Maschine? Doch der Film zeigt tatsächlich, dass wir nicht dumm oder böse sein müssen, sondern eigentlich nur neugierig, um unheilvoll werden zu können. Neugier ist wie die Evolution, eine Art Eigenschaft der Natur. Moral und Ethik scheinen nichts weiter als ihre Folgeerscheinungen zu sein. Oder eben auch nicht, wenn man sie der Neugier opfert. Ich weiß noch nicht so ganz warum, aber ein wenig schimmerte für mich beim Anschauen des Films Jonathan Glazers „Under the Skin durch“ – ebenfalls ein Film, über den ich mich sehr gefreut habe.
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