Every Thing Will Be Fine – Kritik

Der watteweiche Pfad aus dem Trauma. Wim Wenders erforscht die dritte Dimension der Oberflächlichkeit.

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Bei der Dreidimensionalität im Kino könnte man sich fragen, ob eigentlich mehr das Vordergründige heranrückt oder sich eher das Hintergründige entfernt. Immer noch – das scheint Wim Wenders noch nicht ganz begriffen zu haben – bleiben wir vor der Leinwand sitzen, wir sind nicht im Bild, nicht Teil der Welt, die sich, in welchen Dimensionen auch immer, vor uns ausrollt. Every Thing Will Be Fine jedenfalls will auf diese Frage eine eindeutige Antwort geben: Er schiebt uns seine Figuren so dicht vor die Nase, dass man sie am liebsten zurückschubsen möchte, zurück ins Bild, wo sie hingehören; man könnte auch sagen: Every Thing Will Be Fine ist kein hintergründiger Film. Das fünfjährige Kind, das seinen Bruder verliert, wird ins Bett gelegt und in den Schlaf gesungen, wir schauen zu, von draußen. Der Türrahmen bildet den Vordergrund, er schützt gewissermaßen davor, in das Kinderzimmer eindringen zu müssen, in dem gerade Furchtbares vor sich gehen muss (in dem aber auch sogleich friedlich geschlummert wird). Das ist, um die Kritikerplattitüde, die sich an derartige Inszenierungsweisen gerne heftet, gleich auszuschalten, nicht vorsichtig, sondern vordersichtig. Was Wim Wenders aus dem Bild herauslöst, nach vorne schiebt, hätte an sich schon gereicht für diesen Film, denn was er im Hintergrund belässt, ist ihm ohnehin zu heikel, es wird eingetrübt – falsche Eleganz der Unschärfe.

Traumaprotokoll

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Inmitten einer unberührten Schneelandschaft versucht der Schriftsteller Tomas Eldan (James Franco) Inspiration zu schnuppern (man möchte diese Bücher jetzt schon nicht lesen); eine zaghafte Violine dudelt vom Glück. Er habe schon zwei Seiten geschafft, erzählt er mit lieblichem Lächeln (James Franco!) den Tiefseefischern, mit denen er hier in molliger Harmonie zusammenzuleben scheint. Wenig später wird er ein Kind überfahren (die Violine schmeißt sich in Abwärtsmelodien), und ab diesem Zeitpunkt kann es losgehen mit dem Verlaufsplan jener Alles-wird-wieder-gut-Dramaturgie. Dieser Plan gebärdet sich umso protokollarischer, als ab sofort die einzelnen Traumastationen in ihrer freizeitpsychologischen Einfärbung ins Bild zitiert werden: Hier bricht die Beziehung des Verursachers zu seiner Freundin (Rachel McAdams) auseinander, dort schreckt panisch die Mutter auf, wenn sie einen Automotor hört. Endgültig Gestalt – und zwar eine mit der definitorischen Prägnanz eines einführungstheoretischen Fallbeispiels – nimmt das dann alles an, wenn es Tomas’ Stiefkind selbst treffen könnte, als auf einem Rummelplatz die Achterbahn entgleist.

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Jeder hat seine Art, mit der Trauer umzugehen, so die hundertfach ausgesprochene Prämisse des Films; addiert man die zweite Prämisse, die im Titel steckt, hinzu, hat man am Ende der Gleichung ein: Mach was du willst (Selbstmord ist eher nix), es wird schon wieder. Erstaunlich ist allemal, dass dann auch noch das Trauma mit verrechnet werden will, bei dem man doch bekanntlich davon ausgehen darf, dass es nicht einfach hinter dem „Wird schon wieder“ verwittert. Aber damit wäre man eben auch schon abermals in der Hintergründigkeit.

Die Symmetrie der Gesundung

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Tomas, den es streng der Form nach, gemäß der planvollen Arbeit am Trauma, zurück an die Unfallstelle verschlägt, wird eine ebenso fragwürdige wie heilsame Beziehung (eine platonische) zu jener Frau (Charlotte Gainsbourg) eingehen, der er den Sohn aus dem Leben strich. „We don’t blame you“, flüstert diese christliche Gnadenmutter, als sie – im ausgelösten Vordergrund natürlich – mit Tomas einen Spaziergang macht; und kurz bevor der Frühling im Hintergrund, jene sich zu neuem Leben aufschwingende Natur, die sich als Ikone des Seelenheils versteht, sich geltend machen will, wird gravitätisch ins Schwarz geblendet – ein Stilmittel, das Wenders inflationär in den Film streut und das außerdem durch die Zeit führen will, durch jene Jahre, in denen alles immer besser wird, selbst die Bücher, die Tomas, inspiriert durch die schwere Zeit, die er durchleben musste und von deren Schwere er unzählige Male mit in Falten geworfener Stirn und herausstehenden Wangenknochen Zeugnis gibt, auf den Markt wirft. Unfair sei das, sagt der überlebende Sohn: Er habe nun Erfolg, während die Mutter allein sei: Schwarzblende!

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Asymmetrien aber – sie können zur Frage von Vorder- und Hintergrund werden – werden im Wenders’schen Kosmos geglättet und eingeebnet. Alles hat seinen Platz in der Agenda, im Koordinatensystem des Leides. Die Richtung, die der Titel vorgibt, entspricht einer streng gezogenen Linie, die im säuberlichen 90-Grad-Winkel vom Kindstod aus nach oben zeigt. Selten kam ich aus dem Kino und wünschte mir eine starke Hand, die mir sagt: Everything will be fine.

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