Escobar: Paradise Lost – Kritik
Auch wenn die Charakterstudie des Titelhelden eine Nebensache bleibt, ist der von Benicio Del Toro gespielte Drogenboss und dämonische Verführer doch der eigentliche Star dieses Films.
Der gefallene Engel

Es könnte das Paradies auf Erden sein: Der junge Sportler Nick (Josh Hutcherson) kommt mit seinem Bruder nach Kolumbien, um eine Surfschule zu eröffnen, und verliebt sich in die schöne Maria (Claudia Traisac). Doch ist deren Onkel kein Geringerer als der gleichermaßen berühmte wie berüchtigte Drogenboss Pablo Escobar. Schnell ist klar: Aus der Romanze wird mindestens ein Melodram. Je näher Nick dem Drogenbaron kommt, umso mehr wird er in seinen Bann gezogen, und umso düsterer wird auch die Atmosphäre des Films.

Regisseur Andrea Di Stefano nähert sich dem „Patrón“, wie Escobar liebevoll genannt wurde, aus der fiktiven Perspektive des Unbeteiligten Nick. Die verführerische Kraft des Familien- und Kartelloberhauptes, die betörende Wirkung von Macht und Geld, zieht nicht nur den Jungen in seinen Bann, auch der Zuschauer kann seine Augen kaum von Benicio del Toro abwenden, der Escobar einnehmend verkörpert. Prachtvoll wird er in Szene gesetzt, wohlwollender Herrscher über seine Hacienda, die wie eine Trutzburg auf das Meer und das im Elend versinkende Land hinabblickt und den Reichtum nach außen hin abschottet. Rauschende Feste werden gefeiert, Di Stefano leugnet seine Vorbilder nicht, er verbeugt sich vor Coppola und Scorsese, lässt die (Familien-)Feiern aus Der Pate (The Godfather, 1972) und The Wolf of Wall Street (2013) aufblitzen und inszeniert Escobar als Don Corleones Blutsbruder: liebevoller Familienvater, gläubiger Christ, fürsorgliche Robin-Hood-Figur, aber eben auch durchsetzungsstarker und korrupter Geschäftsmann und gewalttätiger Gangster. Unmerklich schlagen seine Mimik und seine Gestik vom wohlwollenden Patron zum eiskalten Drogenboss um. Diese schizophrene Geisteshaltung wird auch im Umgang mit seiner Nichte deutlich: Wie eine eigene Tochter beschützt und verwöhnt er das Mädchen, doch muss auch sie um eine Audienz bitten, um dem Onkel einen Gefallen abzuringen. Im Gegenzug für dessen Großzügigkeit akzeptiert sie – und nicht nur sie: die gesamte Sippe –, dass Onkel Pablo seinen Reichtum mit Drogenhandel verdient. Geld glänzt, und gerne lassen sich alle davon blenden und blenden eben auch die blutige Kehrseite dieses Berufs aus. Ganz im Sinne Miltons: „Better to reign in Hell than to serve in Heaven.“
Der Sündenfall

Die Charakterstudie von Pablo Escobar verbannt Di Stefano jedoch in eine Nebenrolle, denn eigentlich fokussiert er den Surfer Nick, den naiven Touristen, der vom Paradies träumt und sich keine Gedanken über die Lebenswirklichkeit der Einheimischen macht. Auch er lässt sich gerne täuschen – um der Liebe willen. Als Pablo 1991 von den Behörden in die Ecke gedrängt wird und sich der Polizei stellen muss, bittet er Nick um einen letzten Freundschaftsdienst: Er soll besonders wertvolles Hab und Gut in den Bergen verstecken und den Wegführer im Anschluss töten. Spätestens hier müsste Nick stutzig werden, doch den Bruch in der Vaterfigur sieht er immer noch nicht. Diesen Moment der Erkenntnis setzt Di Stefano zu spät im Drehbuch. Zu lange ist dem Zuschauer bereits klar, dass Nick schon in einem Netz aus vermeintlichem Vertrauen gefangen ist, das jedoch zu hundert Prozent aus Escobars Kontrolle besteht. Die Falle hat schon zugeschnappt.
Die Hölle bricht los

Dieses missglückte Timing, gepaart mit dem ungebrochenen Fokus auf dem in allen Belangen im Schatten Escobars – und Del Toros – stehenden Nick, schwächt die zweite Hälfte des Films. Das Konstrukt leidet an seiner Unentschlossenheit und bleibt stets als ebensolches erkennbar – Pablo Escobar soll nur die historische Verortung, der Hintergrund für ein Melodram mit Thriller-Elementen sein. Doch dominiert Benicio Del Toro das Geschehen, hält in gewisser Weise auch die beiden so ungleichen Teile des Films zusammen. Hauptdarsteller Josh Hutcherson kommt allein gegen die physische Präsenz kaum an, zudem ist seine Figur psychologisch eindimensional gestaltet und hat gegen die schillernde Persönlichkeit Escobars kaum Bestand.

Abgefangen wird diese ungewollte Verschiebung in einem atemlosen letzten Akt: Nick und Maria wollen aus dem brennenden Paradies fliehen, und es entspinnt sich eine actiongeladene Thriller-Handlung. Ein durchaus mitreißendes Finale, spannend als zwar altbekanntes, aber solides Katz-und-Maus-Spiel inszeniert und rhythmisch geschnitten. Doch kann auch dieser durchchoreografierte Showdown nicht darüber hinwegtäuschen: Man wünscht sich, näher bei Pablo Escobar zu bleiben, den Fall des charismatischen Dons miterleben und mit erleiden zu können. Denn von ihm allein geht die angespannte Atmosphäre, das latente mulmige Gefühl, die Angst aus, die über dem Film liegt wie ein Nebelschleier im Garten Eden. Del Toros Escobar ist die teuflische Verkörperung der biblischen Verführung, sein Reich Paradies und Pandämonium zugleich.
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