Elisa & Marcela – Kritik
Zwei mutige lesbische Frauen in Galicien: Isabel Coixet erzählt in Elisa & Marcela eine wahre Geschichte aus der Zeit der Jahrhundertwende. Das ist vielleicht schon das Problem.

Sie verbreiten sich wie ein Virus: true stories, Filme, die auf wahren Begebenheiten basieren. „Krise der Fiktion“ nannte das der französische Philosoph Jacques Rancière einmal. Geschichten, die man nachgoogeln kann. Es gibt so viele davon! Sie handeln meist von herausragenden, mutigen Menschen, die gegen Ungerechtigkeit rebellieren, die Dinge nicht so hinnehmen, wie sie sind. Es geht um Niederlagen, aber vor allem um Triumphe.
Etwas für damalige Zeit Undenkbares
Elisa y Marcela der spanischen Regisseurin Isabel Coixet ist so ein Film. Die wahre Geschichte, die ihm als Stoff dient, ereignete sich während der Jahrhundertwende in Galicien. Bis dahin beispiellos: Die Grundschullehrerinnen Elisa Sánchez Loriga und Marcela Gracia Ibeas heiraten offiziell. Dafür muss sich eine von ihnen als Mann ausgeben, aus Elisa wird Mario. Ein Heiratsporträt der beiden ist erhalten geblieben, das Bild findet man im Internet. Das ist wirklich kaum zu glauben: Zwei junge Frauen trauen sich etwas in der damaligen Zeit Undenkbares, leben selbstbestimmt, leisten Übergriffen und der Wut ihrer Umwelt einen stolzen Widerstand, riskieren alles, möglicherweise sogar den Tod. Der jahrzehntelangen Haftstrafe für Transvestismus, Blasphemie und Papierfälschung entkommen sie dank einem liberalen portugiesischen Beamten nur knapp. Dabei spielt die damals herrschende Rivalität zwischen Spanien und Portugal eine nicht unwichtige Rolle. Die Ehe von Elisa und Marcela wurde nie aufgelöst, sie flohen nach Argentinien und blieben ihr Leben lang zusammen.
Schön ausgeleuchtete Sinnlichkeit

Wie für die große Leinwand bestellt ist diese Geschichte, und in der Art, wie Coixet sie auslegt, versammelt sie auch auch einige Zutaten, die das Hollywoodkino gut einzusetzen weiß: Verkleidungen als pikante Twists, Erotik als Belohnung, die große romantische Liebe als Leitkonzept und emotionale Kernaussage. Die erotischen Szenen kommen in diesem Film oft vor. Sie sind besonders konventionell inszeniert, was angesichts des Themas doch problematisch ist. Elisa und Marcela, gespielt von Natalia de Molina und Greta Fernández, begehren einander, sind jung und hinreißend. Sie ziehen ihre Kleider aus, dann ihre Wäschestücke aus Häkelspitze und Leinen, ganz langsam fällt das alles zu Boden. Zu koketter Klaviermusik werden anschließend die Korsette abgeschnürt – für eine perfekte Verführungsszene fehlen hier eigentlich nur ein Paar Strümpfe. Die Kamera erfasst die schönen Frauenkörper aus vorteilhaften Aufnahmewinkeln, das ist diese schön ausgeleuchtete, samtige, verklärte Sinnlichkeit, die alles darauf anlegt, den Zuschauenden zu gefallen. Elisa y Marcela erzählt von selbstbestimmten Frauen, die ihrer Zeit voraus waren, aber es fällt dem Film nichts Besseres ein als seine Figuren lediglich wie hübsche Objekte zu servieren, nach dem altbewährten Rezept.
Nur die ewige Liebe

Und dann ist da noch diese große Liebe. Zweisamkeit für immer und ewig als das ultimative und das einzig wirklich wahre Ziel – kaum ein Hollywoodfilm, Popsong und Werbespot kommt ohne sie aus, aber muss sie wirklich sein? Wäre die Geschichte von Elisa und Marcela weniger erzählenswert, wenn die beiden nicht auf den ersten Blick gewusst hätten, dass sie füreinander bestimmt sind, wenn sie sich auf halber Strecke getrennt hätten? Für einen Film wie diesen, der von von seiner ganzen Anlage her schematisch, weichgespült und glattgebügelt ist, wäre die Antwort vermutlich: Nein.
Wer Elisa y Marcela nicht auf der Berlinale erleben kann, findet ihn übrigens bald im Internet, der Film ist eine Netflix-Produktion. Im Vorfeld des Festivals haben deutsche Kinobetreiber mit einem offenen Brief an Dieter Kosslick und Kulturministerin Monika Grütters versucht, die Aufführung von Elisa y Marcela im Wettbewerb zu verhindern. Ein Kinostart in Spanien ist geplant, darum blieb die Aktion ohne Erfolg. Die Berlinale hat eine Entscheidung auf der Höhe der Zeit getroffen.
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Kommentare
Elke Damm
Hade den Film gerade auf der Berlinale gesehen. Was für ein toller, auch filmisch hervorragend umgesetzter Film und was für eine furchtbar oberflächliche Kritik hier. Die Rezensentin hat leider offensichtlich nichts verstanden.












1 Kommentar