Eastern Front – Kritik
Berlinale 2023 – Encounters: Der ukrainische Dokumentarfilm Eastern Front begleitet ein Sanitäterteam bei lebensgefährlichen Rettungsaktionen, beleuchtet aber auch die schönen Seiten ihres Lebens zu Hause, die der Krieg bedroht.

Bei der Berlinale 2022 zeigte der ebenso bedrückende wie starke Film Klondike in fiktionaler Form, wie ein russischer Einmarsch in die Ukraine aussehen könnte. Bei der Berlinale 2023 gibt es den Luxus der Fiktion nicht mehr. Die Angriffe, die Verwundeten und die Toten in Eastern Front (Shidniy front, 2023) sind echt. Der Dokumentarfilm folgt einem Sanitätertrupp des ukrainischen Militärs, zu dessen Mitgliedern auch der Co-Regisseur Yevhen Titarenko gehört. Die achtköpfige Gruppe evakuiert Verletzte an der Ostfront bei Charkiw, bringt sie schnellstmöglich ins Krankenhaus und filmt die Einsätze – je nach Möglichkeit – mit Bodycams, Handys oder Videokameras. Immer wieder werden sie während der Bergungsaktionen beschossen. Sie riskieren das eigene Leben für Menschen, deren Leben oft nicht mehr zu retten ist.
Zwischen Front und Freude
Das Regie-Duo Vitaly Mansky und Yevhen Titarenko filmt die Helfer aber nicht nur inmitten der Brutalität an der Front, sondern auch während der Erholungsphasen in der weiter westlich gelegenen Heimat. Vielleicht sind diese Passagen sogar die stärkeren. Denn während sich die Kampfszenen nicht wesentlich von den täglichen Nachrichtenbildern unterscheiden, demonstrieren die Heimataufnahmen, was dieser sinnlose Krieg den Protagonisten alles rauben könnte, welche Lebensentwürfe und Gemeinschaften er zu zerstören droht. Hier spielen die Männer mit ihren Kindern und sprechen mit ihren Frauen darüber, ob es für den Fall der Fälle vielleicht sinnvoll wäre, das eigene Sperma in einer Samenbank zu deponieren. Hier umarmen sie ihre Eltern, streicheln Katzen und Hunde, lachen, essen und trinken mit Freunden. Doch dann kommt ein harter Schnitt, und plötzlich müssen sie wieder an der Front Menschen reanimieren, zerfetzte Körperteile mitansehen und sich an den Boden pressen, um dem Kugelhagel zu entgehen.
Neben diesen Sequenzen, die mitunter etwas lang und monologlastig geraten, stechen noch zwei weitere Elemente hervor: Immer wieder sehen wir, wie die Protagonisten im See baden, wie sie gärtnern oder kochen – und wie Linienbusse durch zerbombte Städte fahren. Diese Banalität des Alltags wirkt angesichts des Kontextes fast surreal, aber natürlich geht das Leben auch im Krieg so gut wie eben möglich weiter – solange es nicht gewaltsam beendet wird. Frappierend sind auch die Begegnungen der Sanitäter und Soldaten mit Tieren: In einer Szene ist eine ganze Kuhherde dem Tod geweiht, weil sie so tief im Schlamm versunken ist, dass kein Mensch sie retten kann. Ein andermal stirbt ein Hund einen sinnlosen Tod, weil ein Soldat überreagiert, der ohne den Krieg nie auf diesen Hund getroffen wäre.

Zwischen Fiktion und Realität
Es mag paradox klingen, doch vielleicht sind fiktionale Filme mitunter sogar besser geeignet als Dokumentationen, um das Leid greifbar zu machen, das Kriege verursachen. Die Funktion von Eastern Front besteht primär darin, so authentisch wie möglich Zeugnis abzulegen. In einer Zeit omnipräsenter Bilder kann er unserem Verständnis des Ukraine-Krieges aber nur relativ wenig Neues hinzufügen – höchstens, dass wir einige unfreiwillig Beteiligte über längere Zeit begleiten und anhand dieser Einzelfälle besser nachvollziehen können, was politische Entscheidungen für Individuen und Familien bedeuten. In seiner dokumentarischen Form sind dem Film aber dramaturgische und visuelle Grenzen gesetzt, die fiktionale Filme wie Klondike überschreiten können, um uns noch stärker zu berühren und ein noch intensiveres Bild davon zu zeichnen, was ein Krieg mit Menschen macht.
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