Donbass – Kritik

Sergei Loznitsas Spielfilm Donbass wirft sich in die Wirren des Bürgerkriegs in der Ostukraine – und positioniert sich scharf zur russischen Politik. Im Mittelpunkt steht eine zweifelhafte Medienkritik.

Schon längst ist das Donezbecken im Osten der Ukraine keine rein geologische, durch das Einzugsgebiet irgendeines Flusses definierte Region mehr, schon längst hat es sich von den zufälligen Formen eines bestimmten Teils der Erdkruste losgelöst und ist ein rein menschliches Gebilde geworden: ein Wohnort, eine Heimat, ein umkämpfter Besitz. Ein endlos vielgestaltiges Bild, aufgeladen mit allerlei nationalen und kulturellen Fantasien, ein Brennpunkt für vielleicht diffuse aber darum nicht weniger wirkmächtige Wünsche und Sehnsüchte. Ein solches der menschlichen Vorstellungswelt entsprungenes Gebilde nimmt jedoch unweigerlich irgendwann auch selbst menschliche Züge an, bis ihm schließlich ein eigenständiges, menschenähnliches Wesen zugeschrieben wird, man kann sich zu ihm dann immer nur als Ganzes verhalten. Eine solche Individualität kann dann nicht mehr mit einer rein beschreibenden Bezeichnung eingefangen werden, und folglich musste auch der Begriff Donezbecken irgendwann von allen eindeutigen Verweisen auf eine äußere Realität bereinigt und auf das sinnfreie Klanggebilde Donbass zusammengerafft werden.

Es geht ums Ganze

Wenn nun Sergei Loznitsa seinen neuen Spielfilm ebenfalls Donbass nennt, dann stellt er zumindest den Anspruch in den Raum, sich mit dem imaginierten Wesen des Donbass sowie mit dem um dieses Wesen entbrannten blutigen Konflikt der letzten Jahre in seiner Gesamtheit auseinanderzusetzen. Auf der Suche nach einem solchen umfassenden synoptischen Blick, entspinnt sich Loznitsas Film als eine lose Abfolge einzelner Episoden, in denen nach und nach die verschiedenen Milieus und Gesellschaftsschichten des vom Bürgerkrieg zerrütteten Landstrichs durchschritten werden. So hält etwa ein Funktionär vor der Belegschaft eines Krankenhauses einen langen Vortrag darüber, wie die Volksarmee nun der Korruption den Kampf angesagt hat; so versucht ein verklärt dreinblickendes Dreiergrüppchen, sich bei der Bezirksleitung die finanzielle Unterstützung für eine religiös-patriotische Feier zu erbetteln; so führt ein Mann mit verstörtem Gesichtsausdruck durch ein weitverzweigtes Kellerlager, in dem dutzende Menschen vor dem unablässigen Artilleriebeschuss Zuflucht suchen. Dazwischen blitzen immer wieder Eindrücke einer von paramilitärischen Einheiten durchsetzten Gesellschaft auf: Prügelstrafen, Zwangsenteignungen und schikanöse Grenzkontrollen.

Loses Herumstochern statt satirischer Schärfe

Auf diese Art entwirft Donbass das vielgestaltige Panoptikums eines Landes, in dem allerlei informelle Machtstrukturen ineinandergreifen und miteinander konkurrieren. Dabei zielt Loznitsas Film immer wieder auf einen satirisch-überzeichneten Tonfall ab: Mit hektischem Duktus lässt der Film seine Figuren häufig über längere Zeit vor sich hinreden und dabei beständig ins Leere laufen, in der Hoffnung, dass sie so ihre eigene Unbeholfenheit und Orientierungslosigkeit offenbaren. Doch anders als in seinen letzten Dokumentarfilmen entlockt Loznitsas ungerührter Blick in Donbass dem Beobachteten keine unerwarteten Einsichten, keine plötzlich aufblitzenden Korrespondenzen, kein Drama, das sich zunächst unbemerkt unter der Oberfläche der Dinge abspielt. Für eine derartige entlarvende Reibung zwischen einem lapidaren Kamerablick und einer ruderlosen Hyperaktivität des Dargestellten fehlt es den einzelnen Episoden in Donbass an Spezifik, an einem klaren thematischen Anliegen, an sorgsam herausgearbeiteten Widersprüchen. Oft weiß man nicht wirklich, warum man diese oder jene Szene nun gezeigt bekommt, erwartet eine Wendung, eine sinnstiftende Komplikation – und dann wird doch nur die Konstellation, von der die Szene ihren Ausgang nahm, wieder und wieder aufs Neue durchlaufen, ganz so, als würde die wiederholte Bekräftigung an sich schon einen Erkenntnisgewinn oder eine mehrdeutige Erfahrung erzeugen.

Medienkritik als bloße Geste

Ein Motiv jedoch durchzieht alle Episoden von Donbass: Der Bürgerkrieg in der Ostukraine, das macht Loznitsas Film deutlich, ist ganz wesentlich eine Auseinandersetzung konkurrierender Bilder und wird zu einem beträchtlichen Teil auf der Ebene der medialen Inszenierungen ausgefochten. So zeigt Donbass ständig Handykameras, die irgendwo in die Höhe gereckt werden, lässt seine Figuren für Fotos und Filmaufnahmen posieren, führt die vollständige Inszenierung dramatischer Fernsehbilder vor, mit eigens zu diesem Zweck engagierten, geschminkten und kostümierten Statisten. So weist der Film unablässig auf die Tatsache der medialen Gestaltung und Umformung der Realität hin – doch für das Ergebnis dieser Gestaltung scheint er sich dabei nicht zu interessieren. Nie bekommt man ein Gespür oder eine Ahnung von den umfassenden Erzählungen, in die die einzelnen medialen Inszenierungen eingebettet sind, nie wird der Drang, der dieser ständigen Inszenierung zugrunde liegt, nie der Zweck, dem sie dienen soll, eingehender beleuchtet. So verkommt das Medienkritische in Donbass schnell zu einer bloßen Geste: Der Film weist immer wieder darauf hin, dass eben alles irgendwie Inszenierung ist – und verharrt in seiner Anklage dort, wo sich seine Neugier erst entfachen müsste.

Somit kommt in Donbass eine allzu enge Vorstellung von der Bedeutung der Inszenierung zum Tragen, die gerade in Loznitsas Dokumentarfilmen nicht anzutreffen oder dort zumindest von den beobachteten Ereignissen beständig ausgehebelt wird. Denn Inszenierung ist eben nicht einfach nur die Verfälschung einer vollends bekannten und umfassend zugänglichen Wirklichkeit, sie ist nicht einfach immer nur Lüge, sondern sie ist vielmehr selbst ein wesentlicher Weg, um zu dieser Wirklichkeit Zugang zu erhalten, um sie erklärbar zu machen und sich zu ihr verhalten zu können. Diesen Widerspruch scheint Donbass auf eigentümliche Art aus den Augen zu verlieren: dass man sich den eigenen Inszenierungen zwar nie ganz hingeben will, da man sich sonst vollends von der Realität ablöst, dass man aber zugleich nicht auf diese Geschichten verzichten kann, da nur in ihnen so etwas wie Sinn und Bedeutung anzutreffen ist.

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