Direct Action – Kritik

Berlinale 2024 – Encounters: Ben Russell und Guillaume Cailleau haben über zwei Jahre lang eine aktivistische Community in Frankreich beobachtet. Direct Action ist ein langsamer Film, der weiß, wie lange politische Arbeit dauert.

Mit Direct Action abstrahieren Ben Russell und Guillaume Cailleau die Arbeit einer französischen ZAD (zone á dèfendre) in eine Utopie der Solidarität und des kommunalen Lebens. ZAD ist ein französischer Neologismus, der die strategische Landbesetzung zur Verhinderung eines Bauprojektes beschreibt. Direct Action spielt auf der ZAD von Notre-Dame-des-Landes, eine autonome Zone etwas nördlich von Nantes, die im Zuge des Protests gegen einen geplanten Flughafen eingerichtet wurde, wegen dem seit 2007 sukzessive Land besetzt wurde. Der Protest breitete sich mit der Zeit aus, besiegte das Flughafen-Projekt, gewann auch den Kampf gegen die bevorstehende Räumung. Seitdem leben in der ZAD verschiedene politische Interessensgruppen miteinander. Sie fungiert deswegen auch als Ort, aus dem neue Bewegungen entspringen können, wie die Klimaschutzbewegung Les Soulèvements de la Terre.

Arbeit und Handarbeit

Russell und Cailleau verbrachten über zwei Jahre hinweg alle zwei Monate etwa zehn Tage in der ZAD. Eine Vertrautheit, die sich auch in der Ruhe der Bilder ausdrückt. Es geht viel um die Arbeit, um Direct Action. Ein Begriff, den Russell und Cailleau als „an action that seeks to achieve an end directly and by the most effective means“ definieren. In Kinosprache übersetzt heißt dies, dass sich die Länge der Einstellungen an der entsprechenden Arbeitszeit der jeweiligen Aufgabe orientieren. Es dauert, Teig herzustellen, einen Acker zu pflügen, Kühe auf die Weide zu bringen. Zeit, die im Kapitalismus definiert und instrumentalisiert wird (vgl. auch Unrueh[LINK] von Cyril Schäublein), sich hier aber noch in der Handlung selbst entfalten kann.

In der Praxis sieht das Ganze wie competence porn aus. Jeder ist extrem spezialisiert und strukturiert in der jeweiligen Aufgabe. Kein falscher Handgriff schafft es in das Bild. Die Montage denkt sich progressiv durch verschiedene Kollaborationsszenarien: Die Arbeit von Mensch mit Maschine fließt in die Arbeit mit Mensch und Tier fließt in Handarbeit. Jede Einstellung lässt sich konzeptualisieren, wobei wenige in sich selbst visuell interessant sind. Der zweite Teil findet dabei bessere Bilder, die auch mehrere Ideen des ersten Teils in sich verdichten, was die Länge etwas strapaziert. So sehen wir eine Einstellung, in der das Schleifen einer Kettensäge mit dem Abtransport der Baumstämme durch Pferde konterkariert wird. Das gleichzeitige Zubereiten von neun (!!) Crêpes vernebelt das Bild, klärt es wieder auf, vernebelt es erneut, hypnotisiert in seinen eigenen Rhythmus. Später sehen wir in einer langen Einstellung, wie Menschen sich über einen Graben helfen. Leute, die hochgezogen werden, bleiben selbst stehen, um anderen zu helfen und so ergibt sich ein konstanter Flow, ein Ineinandergreifen von Händen.

Ein Piratenschiff im Hintergrund

Es sind Bilder, die in ihrer Solidarität guttun, auch wenn die Arbeit dahinter oft ausgespart wird. Russell meinte in der Q&A sehr offen, dass er einfach ein Projekt dokumentieren wollte, das einen Sieg davongetragen hat. Wer sich in linken Räumen schon einmal engagiert hat, weiß, wie essenziell die Arbeit und das Besprechen in Gruppen ist, Diskussionen die hier bewusst fehlen. Auch wegen seiner Konfliktfreiheit ist Direct Action ein sehr entspannender Film, dem man sich einfach hingeben kann. Materielles Kino mit Bildern, die tatsächlich etwas bilden, sodass, wenn während eines Kindergeburtstags im Hintergrund ein Piratenschiff thront, auch klar ist, wie viel gemeinsame Arbeit in dessen Bau ging und was das Vermächtnis dieser Arbeit sein wird.

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