Die Sieger - Director's Cut – Kritik
In Die Sieger wollte Dominik Graf Tuchfühlung aufnehmen mit den amerikanischen und italienischen Politthrillern der 1970er Jahre. Im Director's Cut von 2019 bleibt etwas spürbar von der Niederlage, die der Regisseur bei der Urfassung empfunden haben muss. Eine Wunschkritik unserer Steady-Abonnent*innen.

„Ach, ist wieder wie neu“, meint Karl Simon (Herbert Knaup), Einsatzleiter eines Spezialkommandos der Düsseldorfer Polizei, als der Staatssekretär Holger Dessaul (Thomas Schücke) ihn auf eine Narbe auf der Wange anspricht. Die Verletzung hatte Simon sich während eines misslungenen Zugriffs auf Mitglieder eines Drogensyndikats in einem Hotel zugezogen: Statt der erwarteten zwei finden die Beamten drei Verdächtige vor, die dann auch noch bis an die Zähne bewaffnet sind. Einem gelingt nach einem rabiaten Schusswechsel die Flucht; Simon erkennt in ihm seinen ehemaligen Kollegen Heinz Schaefer (Hannes Jaenicke). Das Problem daran: Schaefer gilt seit Jahren als tot. Selbstmord. Eine (vermeintliche) Affekthandlung als Antwort auf eine andere Affekthandlung: Kurz vorher hatte er im Krankenhaus seine behinderte Tochter ermordet.
Die agile Graf-Kamera schwebt mit

Manche Wunden verheilen, andere nicht. Während die körperlichen Verletzungen schnell abklingen und kaum Spuren hinterlassen, nimmt das unerwartete Wiedersehen Simon nachhaltig mit. Dabei ist er seinem eigenen Selbstverständnis nach einer, der alles wegsteckt, ein unverwüstliches Stehaufmännchen, randvoll mit Energie, im Privaten genau wie im Beruflichen. Auf der Arbeit viriles Rumkumpeln mit den Jungs, zu Hause ein glückliches Einfamilienhaus-Familienleben mit Frau und zwei Kindern, daneben eine Affäre mit Melba Dessaul (Katja Flint), der Frau des Staatssekretärs, einer mondänen Blondine, die ihm gleich beim Kennenlernen vor ihrem Hotelzimmer einen runterholt. Damit du mich in guter Erinnerung behältst, sagt sie. Das könnte man als Warnung auffassen, Simon tut es nicht.
Die Sache mit Heinz ist zunächst ebenfalls vor allem ein Energieschub. Etwas stimmt da nicht, so viel ist klar, es geht um einen V-Mann, der von der Politik und der Einsatzleitung gedeckt wird, und vermutlich geht es auch um viel Geld. Simon ermittelt auf eigene Faust. Ein Besuch bei Sunny (Meret Becker), der vermeintlichen Witwe von Heinz, bringt eine neue, fiebrig-morbide Tonart in den Film. Simon will Sunny über seinen früheren Partner ausfragen, aber sie ist komplett von der Rolle, bewegt sich wie schwerelos durch ihr Haus, betastet Regale, Bilderrahmen, Treppengeländer, und die agile Graf-Kamera schwebt mit, tastet mit; im Zimmer ihrer verstorbenen Tochter legen sich die bunt-ornamentalen Muster einer rotierenden LED-Lampe über ihren Körper. Eine Frau, die sich ganz der Vergangenheit hingibt, der Erinnerung an ihren Ehemann, aber auch an eine Nacht mit Simon, an die sie jetzt gerne wieder anschließen würde.
In diverse Begehren verstrickt

Aber Simon weicht vor ihr zurück. Die weiche, destruktive Meret-Becker-Erotik ist nichts für ihn, ihn zieht es, nach einem Abstecher zum ehelichen Vergewisserungssex (kräftige Stöße zwischen Luftballons und Kindergeschrei), zur harten, zupackenden Powerfrau-Katja-Flint-Erotik. Jedenfalls ist Simon bereits über alle Maßen in diverse Begehren verstrickt, wenn ziemlich genau in der Mitte des Films ein Routineeinsatz des Spezialkommandos komplett aus dem Ruder läuft und der bis dahin geschickt zwischen verschlepptem Procedural, Buddy-Komödie und Erotikdrama manövrierende Film auf ein anderes, rasanteres Gleis gesetzt wird. Eine Entführung mischt die Karten neu und entfernt die Handlung bald vom (nicht nur bei Graf ungewohnten) Hauptschauplatz Düsseldorf. Es geht in den Süden, zunächst kurz in Grafs Heimatstadt München und dann raus aus der Stadt, raus aus der Zivilisation, hoch in die Berge, bis da nichts mehr anderes ist als ein paar verzweifelte Männer und blutige Felsen. Wie eine abstrakt-nihilistische Variation auf ein James-Bond-Finale.
Die Sieger war lange eine Art Film maudit: Dominik Grafs ambitioniertestes Projekt, ein Polizei-Actionfilm im Blockbusterformat, der Tuchfühlung aufnehmen wollte mit den amerikanischen und italienischen Politthrillern der 1970er, aber im deutschen Kino des Jahres 1994 mit Voll normaal und Der bewegte Mann konkurrieren musste. Das konnte nicht gut gehen: Am Box Office ging der Film spektakulär unter, wurde zwischenzeitlich vom Regisseur selbst für gescheitert erklärt und war viele Jahre lang nur in einem technisch minderwertigen DVD-Transfer verfügbar. Die Wiederauferstehung erfolgte 2019 auf der Berlinale: als digital restaurierter Director’s Cut, ergänzt um einige Szenen aus dem Rohschnitt, die in der ursprünglichen Kinofassung nicht erhalten waren.
Da von diesen Inserts kein 35mm-Material mehr aufzutreiben war (nebenbei bemerkt: durchaus ein Skandal bei einer derart aufwendigen Bavaria-Produktion), mussten sie von einer grobauflösenden, farbinstabilen Magnetbandaufzeichnung umkopiert und in den Film hineinmontiert werden. Die Differenz zum 4K-Bild ist unübersehbar, aber nicht ohne ästhetischen Reiz: Jedes Mal, wenn das Bild von der glasklaren 35mm-Abtastung zur Videonotlösung springt, meint man, direkt auf die Wunden blicken zu können, die das real existierende deutsche Kino einem anderen, besseren geschlagen hat; ein wenig erinnert das an Dark (2017), Paul Schraders Neuinterpretation seines von Eingriffen der Produzenten besudelten Direct-to-Video-Films Dying of the Light – in beiden Fällen bleibt in der neuen, vom Regisseur autorisierten Fassung etwas spürbar von der Niederlage, als die sie die jeweilige Urfassung empfunden hatten.
Gespräch mit einem lebenden Toten

Ein ganz runder Film ist Die Sieger auch heute nicht. Man sieht ihm, im Guten wie im Schlechten, seine Einsamkeit im deutschen Kino der 1990er Jahre an. Die unglaublich intensive letzte halbe Stunde hat im deutschen Filmschaffen der letzten paar Jahrzehnte wenig Konkurrenz, aber vorher wirkt manches eher wie ein erster Entwurf für das, was Graf und Drehbuchautor Günter Schütter später im handlicheren Fernsehkrimi gleich mehrmals deutlich präziser und kraftvoller ausformuliert haben. Insbesondere bleibt die Verschwörung, der Simon auf die Spur kommt, ein wenig zu abstrakt: eine mit reichlich Geld und Sex gesättigte allgemeine Gesamtschweinerei eher denn eine Verschaltung konkreter Machtverhältnisse. Vielleicht ist das Fernsehen heute tatsächlich der bessere Ort, wenn es darum geht, sich Hals über Kopf in das unappetitliche Gewebe aus Politik, organisiertem Verbrechen und Privatwirtschaft zu stürzen, als das man moderne Gesellschaften immer mindestens auch beschreiben kann.
Die neu eingefügten Szenen wiederum lenken den Film zwar nicht in eine komplett neue Richtung, sie konturieren ihn aber doch deutlich anders, dunkler. Eine, fast direkt am Anfang, zeigt eine Selbstverstümmelung, die andere, kurz vor Schluss, ein Gespräch mit einem lebenden Toten. Eine Schwerpunktverschiebung: weg von den Wunden, die verheilen, und hin zu solchen, die es nicht tun.
Den Director's Cut gibt es auf DVD und Blu-ray sowie als Stream bei Amazon Prime und iTunes.
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Kommentare
Peter Parlust
Wiedergesehen , nachdem ich den Film 1995 im Kino sah und vor Begeisterung kaum laufen konnte, dass "sowas" aus Deutschland kommt.
Heute muss ich Graf beipflichten, irgendwie hat der Film nicht so richtig die Kurve gekriegt. Man versteht warum. Heute würde ein 3 Teiler gedreht und auf Netflix Furore machen.
Dennoch, ein tolles Wiedersehen, und nach wie vor tontechnisch schlecht , Dialoge, die teilweise nicht zu verstehen sind. Das Alter des Filmes sieht man m.e. hpts. an den komplett überzogenen SexSzenen, die damals ziemlich erfrischend waren, heute nahezu undenkbar wären. Die Szene mit Knaup und Katja Flint vor dem Hotelzimmer hat für mich nach wie vor Referenzcharakter. Sowieso, Katja Flint oder Jaenicke als gedungener eiskalter Killer. Top Besetzung und sehenswert. Für Graf Freunde jüneren Alters sowieso ein Muss.
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