Die Mannschaft – Kritik
Banalitäten, fokussiert: Der DFB-Werbefilm Die Mannschaft verrät nichts Neues über die vergangene Weltmeisterschaft, dafür viel über die Selbstwahrnehmung eines Fußballverbandes als Unternehmen mit Vorbildfunktion.

Das Interview mit Per Mertesacker nach dem knappen Achtelfinalsieg gegen Algerien ist die einzige Stelle, an der dieser Film ein wenig ausbricht aus seinem strengen Konzept. Bekanntlich hatte der Innenverteidiger der deutschen Nationalmannschaft äußerst pikiert auf kritische Nachfragen eines Fernsehjournalisten reagiert und damit eine Debatte entfacht – um Sport, Medien und die Erwartungen der deutschen Öffentlichkeit an ihre Fußball-Nationalmannschaft, die eine algerische Mannschaft doch bitteschön ordentlich weghauen sollte, anstatt sie in einem knappen Spiel mit nur 1:0 nach Verlängerung zu bezwingen. Einzigartig innerhalb dieses Films ist das Interview aber nicht, weil hier mal jemand ehrlich, spontan und emotional reagiert hat (diese Lesart nimmt der Film dann selbst vor, der das Authentische, Unverfälschte, das Echte, das Spontane ohnehin fetischisiert), sondern weil in den Aussagen des Spielers tatsächlich mal ein Gegner auftaucht. „Die haben uns das verdammt schwer gemacht“, verteidigt Mertesacker die wenig glanzvolle Leistung seines Teams. In einem Film, der kein anderes Ziel hat, als den eigenen Erfolg nachträglich als möglichst unausweichlich und folgerichtig zu erklären, blitzt hier tatsächlich mal die Möglichkeit des Scheiterns auf, die Ahnung davon, dass ein anderer Fußballverband einen Film wie Die Mannschaft hätte produzieren können, wäre etwa ein Ball der Algerier in jenem Achtelfinale im Tor Manuel Neuers gelandet.
Auftrag: Rausch

Dass dieser Film ansonsten frei ist von Einbrüchen des Zweifelns und den Horizont alternativer Geschichten nicht kennt, das ist nicht weiter verwunderlich. Die Mannschaft ist ein astreines Werbevideo, in dessen Vorspann als erstes FIFA- und DFB-Logo zu sehen sind. Es ist deshalb so berechtigt wie folgenlos, auf die blinden Flecken des Films hinzuweisen: FIFA-Korruption, Favela-Säuberungen und soziale Unruhen im Gastgeberland Brasilien kommen hier natürlich nicht vor. Der Film ist nicht mehr als eine Auftragsarbeit, ein in die Länge gestreckter Firmenspot, Aufbewahrung eines kollektiven Siegesrausches, der trotz seiner behaupteten Größe und Einzigartigkeit dann eben doch ziemlich schnell vorbei war. So passiert hier nichts, was man nicht schon in den unzähligen Hintergrundberichten während der WM hätte sehen können; und die einzigen vermeintlich intimen Einblicke ins Innere des Teams, Jogi Löws Kabinenansprachen, entpuppen sich – wie schon die von Vorgänger Jürgen Klinsmann in Sönke Wortmanns Deutschland. Ein Sommermärchen (2006) – als erschreckend banal. (Hier und während der Bilder nach dem Finale – wenn etwa den frisch gekürten Weltmeistern auch nach dem langen Rückflug aus Brasilien im Flughafenbus nichts anderes einfällt als das ziemlich schlichte „Die Nr. 1 der Welt sind Wir“-Gesinge, da wünscht man sich doch, es hätte jemand fern des Schland-Sumpfes Zugriff auf das Material gehabt; Die Mannschaft hätte dann eine Deutsche-Männer-Variation auf Harmony Korines Spring Breakers (2012) werden können.)
Der Fokus als Affekt

Die deutsche Nationalmannschaft leistet hier aber nicht nur Eigenwerbung für ihr auch international völlig zu Recht anerkanntes Fußballspiel, vor allem präsentiert sie sich als modernes Unternehmen, dessen Erfolgsrezept auf alle möglichen Bereiche übertragbar ist. Architekt dieses Erfolgs ist Oberstreber Oliver Bierhoff, der das Konzept für das deutsche Trainingscamp während der WM als „weißes Blatt Papier“ beschreibt, weil es den Spielern oblag, einen Großteil der gemeinsamen Zeit selbst mit Inhalt zu füllen. Der „Geist von Campo Bahia“, den Bierhoff und andere hier immer wieder beschwören, ist denn auch in erster Linie der mit allerlei Exotik und Pathos aufgewertete Geist des neuen globalisierten Kreativ-Kapitalismus, in dem Teamwork, Mitbestimmung und Autonomie nicht nur möglich, sondern erwünscht sind. Die entsprechenden Vokabeln fallen in Die Mannschaft zigfach: Freude, Lockerheit, Wechselspiel aus An- und Entspannung, Freizeit, Spontanität, Direktheit. Und immer wieder: Fokussierung.

Die Fokussierung hat als allgegenwärtige Management-Vokabel unserer Zeit längst die alte Disziplin abgelöst, weil sie zwar ebenso zielgerichtet daherkommt, dabei aber Raum lässt für die unverzichtbar gewordene Individualität. Sie schleppt dabei jedoch das alte Problem der Disziplin mit sich herum: Sie ist nicht wirklich geil. Deshalb sieht man hier Smartphone-Getippe in Superzeitlupe und musikalisch untermalte Close-ups von ziemlich öder Muskel-Regeneration. In erster Linie übersetzt Die Mannschaft nämlich die erforderlichen Kompetenzen für einen Triumph wie die Weltmeisterschaft in Bilder und lädt die unternehmenseigene „Philosophie“ affektiv auf: Ein paar Spieler bekommen vom eingebürgerten Ex-Nationalspieler Cacau brasilianische Sätze beigebracht (interkulturelle Sensibilität!), DFB-Neuling Christoph Kramer muss zum Einstand eine Schnulze singen (lustvolles Teambuilding!); Kapitän Phillip Lahm erklärt, dass er weder als Sechser noch als Linksverteidiger am liebsten spielt, sondern eben immer auf der Position, auf der er für die Mannschaft jeweils am wichtigsten ist (innerbetriebliche Anpassungsfähigkeit!); Thomas Müller muss nach einer verlorenen Wette im rosa Dirndl das Abendessen servieren (Spaß und positive Stimmung!).
Herzen erobern, nicht Länder

Wie Uli Krug in einem bereits lange vor der WM publizierten Text analysiert hat, läuft es vor allem aufgrund dieser deutlich veränderten Selbstvermarktung der Nationalmannschaft am Kern der Sache vorbei, sich am Schland-Wahn nur aus einer empörten antinationalistischen Haltung heraus abzuarbeiten. Auch Die Mannschaft gibt zu moralisierendem Fingerzeigen – sieht man vom leicht gruseligen Fanmeilen-Getöse und den exotistischen Nationalspieler-treffen-edlen-Indianerstamm-Bildern mal ab – kaum Anlass. Deutschland ist hier nicht das große Ungetüm, das alles niederwalzt, man verweist vielmehr auf die sympathische Demut nach der 7:1-Demütigung Brasiliens im Halbfinale. Wenn bei einem Promo-Termin in einer Schule ein paar Kinder einen Tanz aufführen und im Hintergrund einmal unmerklich, aber fast bildschirmfüllend die deutsche Flagge weht, dann weist dieses Bild nicht auf Überlegenheitsansprüche hin. Deutschland hat den Rahmen nicht gesprengt, sondern ist selbst in den Rahmen übergegangen, ist die vermeintlich neutrale Folie für den Genuss der schönen WM-Welt Brasiliens. Das größte Problem des deutschen Nationalismus ist nichts Bestimmbares mehr, sondern genau die Tatsache, dass er als derart unbestimmt daherkommt. Deutschland ist in Die Mannschaft eine Leerstelle, ein Null-Punkt; die austauschbaren, weil so sympathischen Nationalspieler das unmarkierte Ich-Ideal einer Zeit, in der wir strebsam und doch locker, fokussiert und doch flexibel sein sollen, und dabei Freundschaften wie Eigenheiten zu pflegen haben – und in der wir auch die freundlichen Indianerstämme und die bunt bemalten Fans anderer Nationen selig in unser Abendgebet aufnehmen. Man erobert nicht mehr Länder, sondern Herzen. Dann wird man nicht nur Weltmeister, sondern kann danach auch noch ein tolles Image-Video fürs Kino drehen.
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Kommentare
daniel
Vielen Dank fuer diesen sehr sehr feinen Text. Dicht und praezise. Es tut unheimlich gut, im allgemeinen noch immer waehrenden Schlandwahn, dem auch ich gelegentlich anheim gefallen bin (und zwar heftig, als brennender Fan), einen intelligenten Text zu lesen, der mit etwas mehr Abstand auf die Geschehnisse blickt und ein paar Spuren fuer weiterfuehrende Gedanken legt. Gluecklicherweise reicht mir die Analyse aus, den Film selbst brauche ich gar nicht mehr sehen. Auf die Gaensehaut verzichte ich gerne. Merci!
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