Destroyer – Kritik
Karyn Kusamas Neo-Noir Destroyer folgt dem Rachefeldzug einer heruntergekommenen Polizistin wie durch einen Schleier – und ist besessen vom zerschundenen Körper seiner Protagonistin. Nicole Kidman sieht darin aus wie etwas, das der Hund angeschleppt hat.

„Nothing Nicole Kidman has done in her career can prepare you for Destroyer“. Schon das Poster von Karyn Kusamas (Girlfight, The Invitation) neuem Film stellt klar, dass die große Attraktion hier die Hauptdarstellerin ist. Gerade bei Stars mit einem recht klaren Image ist es besonders reizvoll, sie bis zur Unkenntlichkeit zu verändern. Dieses Vorhaben ist Kusama auf jeden Fall gelungen. Kidman, die ihren Körper mit zunehmendem Alter immer makelloser, aristokratischer und marmorner erscheinen lässt, sieht hier plötzlich aus wie etwas, das der Hund angeschleppt hat. Ihre LAPD-Ermittlerin Erin hat ausgetrocknete runzelige Haut, blutunterlaufene Augen und ungewaschene fransige Haare. Sie trägt speckige Jeans und eine viel zu große Lederjacke, die sie verwahrlost und asexuell wirken lässt. Und dann ist Erin auch noch so kaputtgesoffen, dass sie anderen nur noch mit Mühe in die Augen schauen, ja sich nicht einmal richtig auf den Beinen halten kann. Destroyer ist wie besessen vom zerschundenen Körper seiner Protagonistin. Und er macht es sich zur Aufgabe, dem Trauma nachzuspüren, das diesen Verfallsprozess in Gang gesetzt hat.
L.A. als Setting einer Nahtoderfahrung

Kusama konfrontiert uns mit zwei Versionen von Erin: auf der einen Seite die junge hübsche Polizistin, die gemeinsam mit ihrem Kollegen Chris (Sebastian Stan) in die sektenähnliche Gang des gefürchteten Räuberbarons Silas (Toby Kebbell) eingeschleust wird, auf der anderen Seite ihr fast zwanzig Jahre älteres Ich, das vor den Trümmern der privaten und beruflichen Existenz steht. Dazwischen klafft eine Lücke, die der Film mit gemächlichem Tempo, aber konstanter Grundspannung zu schließen versucht. Durch die sich abwechselnden Zeitebenen folgen wir einem selbstzerstörerischen Rachefeldzug in der Gegenwart, während in Rückblenden die Undercover-Aktion rekonstruiert wird, deren tragischer Ausgang als Quelle allen Übels erscheint. Ohne impressionistische Manierismen überzustrapazieren, deutet Kusama dabei immer wieder an, dass wir die Welt durch die Linse ihrer heruntergekommenen Heldin sehen. Auf die vorüberziehenden Ereignisse – selbst auf eine actionreiche Schießerei – blickt man wie durch einen Schleier. Das von gleißendem Sonnenlicht bestrahlte L.A. wirkt wie das Setting einer Nahtoderfahrung.

Trotz seiner zahlreichen Nebenfiguren führt Destroyer immer wieder zu seiner Protagonistin zurück. Andere Charaktere und Konflikte bleiben oft nur angedeutet. Antonio (Shamier Anderson), der eigentlich so etwas wie Erins Partner sein soll, taucht nur ein paar Mal völlig unvermittelt auf, fast wie ein Geist. Und selbst der esoterische Anführer Silas wird zwar als Bösewicht eingeführt, jedoch ohne dass dieses Versprechen je eingelöst würde. Es ist vermutlich kein Zufall, dass alle vor ihm Angst haben, obwohl er selbst nur bedingt bedrohlich wirkt. Und so stellt sich langsam die Frage, ob Erin überhaupt etwas mit jemand anderem zu klären hat oder vielleicht doch nur mit sich selbst.
Kein wahres Glück im falschen Leben

Die zwei offensichtlichsten Eigenheiten des Films sind zwar Kidmans Verwandlung und die Tatsache, dass der hard boiled detective einer recht klassischen Noir-Geschichte ausnahmsweise eine Frau ist, aber seine Qualitäten erschöpfen sich nicht in diesen Gimmicks. Neben der Sehnsucht nach Erlösung erzählt Destroyer vor allem von einer ständigen Dissonanz zwischen seiner Heldin und ihrem Umfeld. Schon das, was wir in der Vergangenheit sehen, ist nur bedingt die echte Erin, sondern vielmehr eine Rolle, die sie spielen muss. Dass die zwischen ihr und ihrem Partner Chris vorgetäuschte Beziehung irgendwann Wirklichkeit wird, weist darauf hin, dass sich das wahre Glück nur schwer in einem Leben finden lässt, das selbst nur Trugbild ist.

Wenn nun die Vergangenheit schon falsch war, kann die Gegenwart nicht richtig sein. Es wirkt, als hätte Erin das traumatische Ereignis in eine Parallelwelt bugsiert, die einer anderen Zeitrechnung gehorcht. Ihr Vorhaben ist so sinnlos wie fast jeder Vergeltungsschlag, aus ihm spricht die Illusion, man könne etwas Unumkehrbares nachträglich korrigieren. Auch beim Versuch, ihre 16-jährige, emotional vernachlässigte und etwas missratene Tochter noch auf den richtigen Weg bringen, kommt Erin viel zu spät. Eine heroisch gemeinte Befreiungsaktion in einem Club wird zur reinen Demütigung für die besoffene Mutter. Wenn sie ihre Dienstmarke zieht, wird sie von den anderen nur ausgelacht.
Erin scheint unfähig, noch etwas zu ändern, und ist trotzdem rastlos. Ein ständig wiederkehrendes Bild in Destroyer, das sich vielleicht am stärksten einprägt, ist deshalb auch, wie sie sich mit gekrümmter Haltung auf dem Lenkrad ihres Autos abstützt und entschlossen durch die Stadt fährt. Sie scheint dabei wie in einer Endlosschleife gefangen zu sein, aber Kusama ist keine Sadistin und findet selbst für ihre verlorene Heldin noch eine angemessene Katharsis.
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