Der unsichtbare Zoo – Kritik

Berlinale 2024 – Forum: In seinem dreistündigen Zoo-Film richtet Romuald Karmakar den Blick nicht nur auf Tiere. Das Zoopersonal zeigt er als fürsorgliche Care Professionals, blendet aber auch ihr blutiges Geschäft nicht aus.

Warum, so könnte man fragen, spielen nicht viel mehr Filme im Zoo? Mit seinen künstlichen Landschaften, dieser besonderen Szenografie der Wildnis, wo die Natur wie für ein Filmset nachgebaut wird, ist der Tierpark doch eigentlich die perfekte Location. Nicht nur als Kulisse oder Metapher für gezähmte Ursprünglichkeit, sondern als realer Handlungsraum mit unberechenbaren, tragisch-komischen Protagonisten, die den ganzen Tag sowieso nichts anderes tun als vor Publikum auf ihren Zoo-Bühnen zu performen. Oder auch nicht.

Bei Romuald Karmakar beginnt der Zoo-Film in den Tropen. Feiner Regen hüllt den Urwald in dampfenden Nebel, durchs üppige Grün huschen seltene Vögel, ihr Gezwitscher klingt exotisch. Es raschelt im Unterholz, wo vielleicht der Panther lauert. Es ist eine Ideallandschaft ohne Gitterstäbe, in der Zoobesucher vergessen können, dass die wilden Tiere hier Gefangene sind. Dann ein harter Schnitt: Im Wirtschaftsgebäude werden Futtersilos betankt, tonnenweise rieseln „Elefantenwürfel“ und „Körnermischung“ durch eine Rohrleitung in die Speicher. Wir sehen Tierpfleger, die für ihre Schützlinge achtsam die Mahlzeiten zusammenstellen: tote Mäuse und gefriergetrocknete Küken, Zwiebeln, Salat, Kürbise, Wannen mit Fisch. Oder auch mal einen ganzen Tierkadaver für die Löwen.

Acht Jahre lang arbeitete der deutsche Filmemacher an seinem dokumentarischem Essay Der unsichtbare Zoo. Im Züricher Tierpark verbrachte er viel Zeit mit Krokodilen, Zebras und Tigern, er filmte Bären im Nebel, Gorillas hinter Glas und das Camäleon auf der Krankenstation. Dass dabei keine gewöhnliche Tierdoku rausgekommen ist, dürfte allen klar sein, die sein Œuvre kennen, zu dem intensive Filme über Serienmörder (Der Totmacher), Nazi-Ideologen (Das Himmler-Projekt) oder die Berliner Techno-Szene (196 Bpm) gehören. In seinem dreistündigen Zoo-Film richtet Karmakar nun den Blick nicht nur auf ausgestellte Tiere. Er beobachtet auch die Menschen, die im Zoo hinter den Kulissen arbeiten oder als Besucher vor den Gehegen staunen. Und wirft dabei ganz unaufgeregt ein paar grundsätzliche Fragen zu unserem Verhältnis zum Tier und der Funktion von Zoos auf.

Als Nebenprodukt des Kolonialismus stehen Zoos heute unter besonderen Rechtfertigungsdruck. Auch die radikalen Tierschützer lassen nicht locker. Längst vorbei sind die Zeiten, als man exotische Tiere zum reinen Spektakel in engen Käfigen zur Schau stellen konnte. Renommierte Einrichtungen wie der Züricher Zoo bemühen sich seit Jahrzehnten um artgerechtere Haltung, engagieren sich für Artenschutz und wissenschaftliche Forschung. Zum Zeitpunkt der Dreharbeiten wurde in Zürich gerade eine neue mustergültige Landschaft gebaut, in der verschiedene Tierarten wie in der afrikanischen Savanne zusammen leben sollen. Dem Filmemacher gewährte die Zooverwaltung überraschend freien Zugang. Karmakar durfte auch bei internen Besprechungen filmen, wo es mal um Verhütung bei Tapiren ging, mal um die Finanzierung des Erweiterungsbaus, mal um Bewerber für das ehrenamtliche Vermittlungsprogramm.

Den Zooalltag, ob im Direktorenzimmer, im Zebrastall oder auf der Savannenbaustelle, verfolgt Karmakar mit langen, sorgfältig komponierten Einstellungen und ruhiger Kamera. Er schwenkt nicht mit, wenn die Gazelle aus dem Bild springt, zoomt nicht auf nah, um den flauschigen Schneeleoparden noch kätzchenhaft niedlicher einzufangen, wie das oft in Tierdokus geschieht. Es gibt auch kein lehrreiches Voice-over, dafür überraschend ausdrucksstarke Tiergeräusche, etwa wenn zwei Koala-Bären sich ganz unteddyhaft angrunzen und schreien wie giftige Gremlins. Oder ein frustrierter Tiger seinen Spielzeugball so heftig durch den Käfig kickt und dabei markerschütternd brüllt, dass sich einem die Nackenhaare aufstellen.

In solchen Momenten drängt sich die Frage auf, ob die schönen neuen Gehege mit ihren unsichtbaren Gittern wirklich so viel tierfreundlicher sind als die alten Zoogefängnisse. Oder ist das alles doch nur fürs Publikum designt, das ein gefahrloses, Instagram-taugliches Afrika-Experience sucht? Karmakars Film lässt solche ambivalenten Gedanken zu. Die Gretchenfrage, ob Zoos heute überhaupt noch zeitgemäß sind, beantwortet er nicht. Seine Bildausschnitte wählt er aber bewusst so, dass die räumliche Begrenzung, in der die Tiere leben müssen, immer sichtbar bleibt. Das Zoopersonal zeigt er als fürsorgliche Care Professionals, blendet aber auch ihr blutiges Geschäft nicht aus. Für die Versorgung ihrer Schützlinge müssen sie dauernd andere Tiere töten, die nur dafür gezüchtet werden. Ungefähr in der Mitte des Films geht es einem Zebra an den Kragen – nicht weil es krank oder altersschwach ist, sondern weil es nicht mehr ins Zoo-Konzept passt. Das Tier wird im Stall getötet, von Tierpflegern rausgeschleift, ausgeweidet, enthauptet und schließlich den Löwen zum Fraß vorgeworfen. Ein Schocker, auch für zartbesaitete Zoobesucher, die mit soviel Savannen-Realismus nicht gerechnet haben. Kinder stoßen spitze Schreie aus, während die Mutti sich entsetzt abwendet.

Erst ganz zum Schluss führt uns Karmakar ins Affenhaus, das Highlight jedes Zoos. Und vielleicht sein deprimierendster Ort. Wo sich die Massen sonst ihre Nasen an den Glasscheiben platt drücken, herrscht gespenstische Leere. Wegen Corona musste auch der Züricher Tierpark vorübergehend die Pforten schließen. Aber der Filmemacher durfte weiterdrehen. Und wurde so Zeuge einer anrührenden, irgendwie auch tragischen Szene. Die Gorillas, die sich sonst oft demonstrativ abgewenden, weil sie genau wie wir das dauernde Anstarren nicht mehr ertragen können, vermissen plötzlich ihr Publikum. Sie klopfen von innen an die Scheibe, drehen Purzelbäume im Stroh, drücken das Gesicht ganz dicht ans Glas. Traurige Augen, sie schauen uns an.

Neue Kritiken

Trailer zu „Der unsichtbare Zoo“


Trailer ansehen (1)

Neue Trailer

alle neuen Trailer

Kommentare

Es gibt bisher noch keine Kommentare.






Kommentare der Nutzer geben nur deren Meinung wieder. Durch das Schreiben eines Kommentars stimmen sie unseren Regeln zu.