Der schmale Grat – Kritik

Die Freuden und Qualen des Ich-Verlusts: Mensch und Natur sind in Terrence Malicks unfertig wirkendem Kriegsfilm durchlässig. Und die Toten sprechen.

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Eine Dreiviertelstunde Film ist vergangen. Die Infanteriedivision hat sich vom Strand der Südseeinsel Guadalcanal durch dichten Dschungel bis in die rollenden Hügelketten vorgeschlichen, und niemals ein Schuss. John Tolls Kamera fliegt tief über die sich im Wind wiegenden hüfthohen Halme, durch eine Natur, die den Menschen mit ihrer zwecklosen Schönheit zu foppen scheint. Jared Letos Kiefer mahlen, er duckt sich ins Gras, blinzelt nicht, gestikuliert zweimal in Richtung Front, dann nochmal mit wildem Nachdruck. Zwei Gefreite richten sich auf, zögerlich, spurten vorwärts, zwei Blitze, zwei Schüsse, zwei Körper verschwinden im hüfthohen Gras. Jared Letos Kiefer mahlen, er blinzelt nicht. Und dann schneidet Terrence Malick auf ein menschenleeres Bild. Die weichen Hügel im Schatten, eine Brise streicht ihre Flanken, in der bewegten Luft wogen die Gräser, und auf einmal bricht die Sonne hervor. Eine Wolke ist vorüber gewandert, und die Welt hat zwei Menschen verschluckt. Die Schönheit der Natur kann grausam sein. Oder, natürlich, erhaben.

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Im Sehen, im Betrachten liegt für Terrence Malick viel Weisheit, aber auch eine große Herausforderung. In einem Blick kann sich eine gesamte Philosophie erschöpfen, ein ganzes Leben kann sich dem mitteilen, der im rechten Licht und Moment auf ineinander verkrampfte Hände schaut, auf ein Gesicht im Profil, auf den Soldaten, der kurz vor der Landung die tausendmal gelesenen Briefbögen ein letztes Mal glattstreift. Aber diese optischen Wahrheiten sind prekär, und sie führen leicht in die Irre. Denn jeder Blick kommt von irgendwoher, ist an einen Standpunkt gebunden, und jedes erblickte Stück Welt wirkt wiederum auf diesen Standpunkt ein. Und Standpunkte ändern sich: panta rhei.

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Der schmale Grat (The Thin Red Line) wurde monatelang geschnitten. Die erste Version dauerte über fünf Stunden, in der dreistündigen Kinofassung fehlen die Auftritte von Schauspielern wie Gary Oldman, Mickey Rourke oder Martin Sheen. Aber auch diejenigen, die dabei sind, John Travolta etwa oder George Clooney, tauchen oft auf und unter im Strom der Bilder, ohne den Film an sich reißen zu können. Viele Kritiker monierten die unfertig wirkende Form, die schwer nachvollziehbaren Schwerpunktsetzungen und Einstellungsdauern, die mäandernden, mit großen Vokabeln wie „Seele“, „Liebe“ und „Tod“ hantierenden Voice-over-Monologe. Aber von diesem Film kann es keine definitive Fassung geben, seine Unabgeschlossenheit ist Teil seines Problemgewebes. Kein Standpunkt, keine Einsicht, keine Beobachtung kann Ewigkeitswert beanspruchen, denn sie wird abgelöst werden von unverbundenen, alternativen, widersprüchlichen, überlegenen oder sonst wie davon abgesetzten Beobachtungen.

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Wenn Private Witt (Jim Caviezel) – ein typischer Malick-Held, beschenkt mit klarsichtiger Einfalt und dem Maulvoll Südstaaten-Amerikanisch – das erste Mal ins Idyll der Südseeinseln desertiert, dann blickt er, und mit ihm die Kamera, auf die Ureinwohner wie ein exotistischer Klischee-Westler. Spielende Kinder, grinsende nackte Wilde, edel und friedlich, umgeben von klarem Ozean und Palmenbäumen. Hier ist Malicks Montage so simpel wie effizient: ein ins Off blickendes Gesicht, dann eine Folge von Beobachtungsaufnahmen. Sie springen durch den Raum, auch durch die Tageszeiten, kein einzelner Mensch könnte, ohne sich zu bewegen, diese Eindrücke sammeln. Hier wird eine Stimmung etabliert. Bei Witts späterer Rückkehr in das Dorf, die Waffe im Anschlag und nach schlimmen Gefechten, ist die Reihe eine andere: zankende Männer, Totenköpfe, ein Kind kratzt sich den Ausschlag vom Rücken, während die Erwachsenen daneben ungerührt Körbe flechten. „War das immer schon da, diese Grausamkeit?“, fragt Witts Stimme aus dem Off. Natürlich, aber die Situation war eine andere.

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Malick glaubt an die Wahrnehmung, und darüber, über dieses filigran zwischen Mensch und Natur gespannte Band, das im Jetztmoment zittert, glaubt er an die Welt. Wahrnehmen heißt hier nicht begreifen, sondern teilhaben. Er zeigt nicht Woody Harrelson, wie er so tut, als sterbe er, sondern Jim Caviezel, wie der so tut, als schaue er zu, wie Harrelson stirbt. In diesem empathischen Beobachten liegt die Verbundenheit von Schauspielerkörper und Kamerablick, der geschauspielerte Tod wäre ein zu direktes, ein unwahres Bild, ohne die notwendige Perspektive, die erst sehen lässt.

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Der Tod, mit dem sich Malick so gerne mit so entwaffnender Direktheit auseinandersetzt (in Der schmale Grat mimt die Kamera häufig den subjektiven Blick des Sterbenden nach, gen Himmel, ins Gras ...), ist hier in jede Stimmung eingewoben. Jeder Blick ist ein Blick auf das Leben im Bewusstsein des Todes. Aber jeder Blick wiederum ist eingebettet in Klang, in einen Raum, wo die Stimmen große Fragen stellen: Der schmale Grat ist Malicks erster Film, bei dem er seine mittlerweile zum Markenzeichen geronnene Technik der multiplen Voice-overs zum Einsatz bringt. Hier sprechen Liebhaber mit ihren Frauen in der Heimat, die manchmal antworten, und sogar die Toten reden und richten Fragen an die Lebenden.

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Der Klangraum ist für Malick ein Ort, an dem sich die Grenzen zwischen Individuen auflösen, allerdings nach innen hinein, in die Innerlichkeit einer mehrfach beschworenen „One Big Soul“, die unzählige Gesichter hat und aus ebenso vielen Kehlen spricht: des einen großen Organismus, in dem Natur und Mensch eins sind. Die Erfahrung dieser geteilten Sphäre kann erhaben sein, oder grausam. Aber wie der Soldat in der Truppe, wie der Lebende im allgegenwärtigen Tod sein Ich verlieren kann, so verlieren die Wahrnehmungsfetzen der Malick’schen Montagereihen ihre Konturen im majestätisch in Bewegung versetzten Strom der Klänge und Stimmungen.

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