Der goldene Handschuh – Kritik
Fatih Akin verfilmt Heinz Strunks Roman über einen realen Serienmörder mit greller, schlagerhafter Farbigkeit. Der Goldene Handschuh ist drastisch, explizit, hemdsärmelig, unerschrocken – und eine Liebeserklärung an ein Hamburger Milieu der 1970er Jahre.

Die Siebzigerjahre hatten viele Gesichter und Geschichten. Auch im Alltag, im Proletariat und in den Spelunken, schräg daneben. Es war eine reizvolle, poppig illustrierte, wilde Zeit. Zugleich hatte sie ihre eigenen, bodensätzigen, finsteren Schatten. Von einem der finstersten erzählt Der Goldene Handschuh, Fatih Akins Verfilmung von Heinz Strunks Roman über einen wahren Kriminalfall.
Wir kriegten das damals in der Schule, in der Mittelstufe, mit. Die bundesdeutsche Yellow Press berichtete in Serie über den Prozess gegen den Serienfrauenmörder Fritz Honka aus St. Pauli. Die Jungs in meiner Klasse waren von der Schockkolportage fasziniert. Die haarsträubenden Dinge, die Honka verbrochen hatte, wie sie abgelaufen waren, in welchem Milieu, die ganze Piratenmoritat: Dass es so was gab, hatten sie nicht für möglich gehalten.
Eine dunkle Geschichte aus dem Geist schimmeliger Tapeten

Fatih Akins Film greift die grelle, schlagerhafte Farbigkeit auf, die diese Schreckensmeldungen umgab. Und die Schäbigkeit, das Unglück, wie es einem zum Beispiel aus Aktbildern in „Praline“ oder „Wochenend“ entgegenblickte, auf denen sich traurige, abgekämpfte Frauen in ihren tristen Wohnungen zum Sex anboten. Aus diesem Geist, den schimmeligen Tapeten, dem Fusel und den Fusseln, windet und entwickelt sich die dunkle, dunkle Geschichte.
Eine Komödie ist das nicht, obwohl es Züge davon trägt. Ich habe Ausschnitte von Michael Powells Peeping Tom (1960, mit Karlheinz Böhm) gesehen, an die es mich erinnert. Oder auch John McNaughtons Henry, Portrait of a Serial Killer (1990). Aber vergleichen kann man den Handschuh mit ihnen eigentlich nicht. Sie sind zu eigen, und er auch.

Der Film ist, unter anderem, auch eine mitfühlende Liebeserklärung an ein Hamburger Milieu. An die unglücklichen, aber expressiven, extremen und markanten Leute in Absturzkneipen („Der Goldene Handschuh“ hieß die, in der Fritz Honka Stammgast war). Ich mag die dichte, kenntnisreiche Ausstattung, das Casting, das temperamentvolle, leidenschaftliche Schauspiel. Die Thekenmänner. Die rettungslos betrunkenen Frauen, die weinen, wenn Heintje aus der Musikbox „Du sollst nicht weinen“ singt. Die starr blickenden Männer, sich von ihrem Barhocker lösen, auf einen zuschwanken, erzählen, dass sie „heute die Spendierhosen anhaben“. Die „lockeren“ Sprüche der Wirte, die Spitznamen der Thekensitzer, ihre sich selber überbietenden obszönen Schimpfwortgebilde. Die ganze – gelinde gesagt – unkonventionelle Art des Umgangs. Es ist sehr „unbürgerlich“. Man steht nicht vor funktionierenden Fassaden. Der Alkohol hat vieles aufgelöst.
Kaum zu ertragende Gewalt

Honka ist ein verlegenes und scheues Würstchen, wenn er nüchtern, nicht vernebelt ist. Wenn er aber die Geister aus den Flaschen ruft, bekommt er Mut und grenzenlose Wut. Auf Frauen, die nicht machen, was er will, und nicht so sind, wie er das will. Und seine Gewaltexzesse dann sind so, dass einem auch beim Zuschauen Hören und Sehen vergeht. Es ist zu viel, man kann das kaum ertragen, wie er immer wieder einschlägt auf die Frauen, wenn sie bei ihm sind. (Irgendwann denkt das selbst Honka, im eigenen Interesse. Wird trocken, geht nicht mehr zum Handschuh. Leider nicht für immer.) Man wünscht sich, die armen Frauen könnten fliehen, zurückschlagen, überleben. (Viele versuchen das auch; manchen gelingt es sogar.) Besonders diese Frauen sind für mich, in all ihrer Unterschiedlichkeit und ihrem Elend, die großen Stars in diesem Film.
Der Film ist drastisch, explizit, hemdsärmelig, unerschrocken. Dass er aufs Fernsehen oder auf den Goldenen Bären schielen könnte, ist so gut wie ausgeschlossen. Ich muss schon sagen: Respekt! Ich find ihn ziemlich großartig.
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Kommentare
Michael
Wunderbare Kritik, danke.
AmiWee
Endlich eine Kritik mit Substanz. Top.
Jan
"Die ganze – gelinde gesagt – unkonventionelle Art des Umgangs." Den Satz finde ich gut. Das ist mehr dran als nur Freude am Exzess.
Peter
Ist das eigentlich schon Voyeurismus, wenn man sich als Mensch aus der eher .... hmmm....."bürgerlichen Mitte" einen Film über gescheiterte Existenzen anguckt? Ich werde den Film ja aus reinen Unterhaltungszwecken gucken, nicht weil ich mich (indirekt) über das immer noch vorhandene Elend im Kiez informieren möchte.
Ehrlich, ich als Zuschauer fühl' mich bei solchen Elendsgeschichten machmal schon unwohl.
4 Kommentare