Der Geschmack von Leben – Kritik

Fi(c)ktionen vor Schwarz-Rot-Gold: Eine Vloggerin auf Deutschlandreise verteilt Blowjobs an fremde Männer und führt Interviews mit frustrierten Frauen. Der Geschmack von Leben versteht sich als anti-bürgerliche Ode an die Freiheit, kommt aber ziemlich reaktionär daher.

Die exhibitionistische Dauergrinserin Nikki ist auf der Suche nach Geschichten. Dafür fährt sie mit ihrem Landrover durch die deutsche Provinz und trifft auf Menschen, die ihr erzählen, wonach das Leben für sie so schmeckt. Für die Frauen, die ihr begegnen, meist nach sexueller Frustration, Schuldgefühlen und Einsamkeit. Über diese traurigen Themen kann Nikki nur voller Unverständnis lachen. Ihr Rat: Begegnet dem Leben doch mit Freude und Lust. Darin liege das eigentliche Geheimnis von Freiheit. Und die ist für Nikki eng mit Sperma verbunden. So zeigt sie in ihrem Video-Blog, der sich laut seiner Macherin mit dem beschäftigt, „was die Leute auf der Straße so bewegt“, wie sie begeistert Blowjobs an fremde Männer verteilt. Neben dieser Leidenschaft verkündet sie am laufenden Band ihre Lebensphilosophie, in der die Affirmation der Lust die Lösung für alle metaphysischen Probleme ist. Und das meist in Reimen.

Affirmation von Machtstrukturen

Nikkis Haltung spiegelt sich im Gestus des gesamten Filmes wider. Was sich als anti-bürgerliche Ode an die Freiheit verstehen möchte, kommt letztlich ziemlich reaktionär daher. In einer heiter-trashigen Mischung aus Porno, Doku und Musical schafft Der Geschmack von Leben ein krudes Bild von Sexualität – und nebenbei versucht der in Gemeinschaftsarbeit entstandene Film der „wtp international“ unter der Leitung von Roland Reber, Antworten auf existenzielle Fragen zu finden. Doch was wir hauptsächlich zu hören und sehen bekommen, sind halbnackte Frauen, die im männlichen Samenerguss die einzige Befriedigung ihrer Lust erkennen, und singende nackte Männer, die sich darüber besonders freuen. Und immer wieder Nikki, die, manisch lachend und genüsslich aus einem Glas in Penisform schlürfend, vor laufender Kamera ihre sexuelle Bereitschaft durch ihr permanentes Nacktsein zum Besten gibt.

Häufig werden die Szenen dadurch eingeleitet, dass wir erst durch die Kameras selbst schauen. Mit dieser Doppelung der Bilder und selbstreflexiven Kommentaren bemüht sich der Film um eine Metaebene. Doch auch damit lässt sich nicht verbergen, dass die Quintessenz von „Nikkis Vlog“ reine Misogynie ist. Vom Internet als Ort mit auch emanzipatorischem Potenzial ist nichts zu sehen, es erscheint hier schlicht als Plattform fanatischer Sex-Propagandisten. Dabei wird auf verstörende Weise die Affirmation von Machtstrukturen mit sexueller Selbstbestimmung verwechselt. Amateurhafte Animationen und skurrile Sketche zeichnen in auffällig unzeitgemäßer Manier plakative Figuren und deren Sehnsüchte. Und ab und zu fliegen Smartphones vor dem Hintergrund der Deutschlandfahne.

Vergewaltigungsfantasien eines Pimmelfürsten

Herzstück von Nikkis Vlog ist eine Rubrik namens „Die Fi(c)ktion des Monats“, in denen sich der Film neben der großen Sinnfrage vor allem für die Körper seiner Protagonistinnen interessiert. In schrägen Video-Clips bekommen wir neben Sex-im-Wald-Szenen und SM-Sehnsüchten einer singenden, sich auf dem Boden rekelnden jungen Frau auch die Diskriminierung einer anderen Frau aufgrund ihres Alters und Vergewaltigungsfantasien eines selbsternannten „Pimmelfürsten“ zu sehen. Das Nacktsein der Männer scheint lediglich komödiantisches Mittel zu sein. Dafür sind, wenn Figuren einmal länger zu Wort kommen, sie es, die über die „tiefgründigen“ Themen schwadronieren. Unter anderem gibt es einen größenwahnsinnigen Alten, der sich lang und breit über die Sinnlosigkeit deutscher Gesetze auslässt. Dass die gewollt unsympathischste Figur des Filmes im Rollstuhl sitzt und eine Davidstern-Kette trägt, lässt auch die vielleicht witzig gemeinten Hinweise darauf, dass wir uns in Deutschland befinden, in ein sehr schlechtes Licht rücken. Ein eifersüchtiger Jesus und ein Heidenröslein spielender Engel schließlich umrahmen die Handlung und sollen die losen Gedanken der Figuren zu Religion und Moral visualisieren.

Ironischer Wink mit der Peitsche

Seinen Höhepunkt erlebt der Film in einer abschließenden Gesprächsrunde, genannt „Nikkis Talk“. Die Antworten auf die große Frage, um die sich anscheinend alles dreht, erscheinen ausgesprochen überholt und unmodern. Was ist ein Mann? Dazu serviert ein Kerl in Penis-Kostüm Getränke. Falls der Film versucht, Geschlechterrollen auf die Spitze zu treiben, um deren abstruse Ansprüche an ihre Vertreter zu entlarven, scheitert er total. Denn leider schafft er, wenn er Geschlechterverhältnisse mit normativen Porno-Konventionen aushandelt, nicht einen Schritt aus seiner heterosexuellen Matrix heraus. Was sich dort auf der Leinwand abspielt, ist dermaßen anti-feministisch, dass auch der vermeintlich ironische Wink mit der Peitsche dies nicht wieder aufzuheben vermag. Eine Kritik an der Bildsprache des Filmes und dessen Umgang mit Fantasien und Fetischen mit einem Prüderie-Vorwurf zu entgegnen würde zu der Haltung des Filmes passen. Doch was sich als sexueller Befreiungsschlag verstehen will, ist nur provokant, weil es so schrecklich regressiv ist.

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Kommentare


Miriam Bernard

Schlechte Schauspieler, Regressiver Film, Keine Aussage, Nicht einmal unterhaltsam.
Als aufwendiger Porno geeignet, was einzelne Szenen betrifft. Kamera: einziger Lichtblick hier( Gutes Bildhandwerk, ruhige Führung, Aesthetik.)






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