Der Affront – Kritik

Ziad Doueiris neuer Film Der Affront zeichnet die libanesische Gesellschaft als Pulverfass mit kurzer Lunte, an der die Vergangenheit herumzündelt. Trotzdem ist er mehr als ein Film zur Lage der Nation.

„Ich glaube nicht, dass ein Abfluss der Grund für all das hier ist“, sagt der Richter zum Kläger, und tatsächlich ist ein paar Szenen später dieser kleine Streit so sehr eskaliert, dass von diesem Abfluss keine Rede mehr ist, mit dem alles angefangen hatte: Der in einem christlichen Viertel in Beirut lebende Toni (Adel Karam), Kfz-Mechaniker und Mitglied der national-konservativen Partei, hat einen schlecht montierten Abfluss an seinem Balkon, der das Schmutzwasser direkt auf die Schulter des aus Palästina geflüchteten Vorarbeiters Yasser (Kamel El Basha) tropfen lässt. Yasser brüllt ihm deshalb „Du Scheißkerl!“ entgegen. Und Toni, der sich in seiner Werkstatt statt von Musik gerne mal von flüchtlingsfeindlichen Reden beschallen lässt, antwortet einen Tag später hasserfüllt: „Sharon hätte euch alle eliminieren sollen!“ Yasser entgegnet wiederum mit einem gezielten Schlag in den Bauch, der Toni zwei Rippen bricht. Das Ganze kommt also vor Gericht, womit wir wieder beim zweifelnden Richter angekommen sind. Das ist jedoch nur die zweite von einigen Eskalationsstufen.

Eine Nation als Pulverfass

Eskalation – das ist in Ziad Doueiris Der Affront sowohl dramaturgische Grundbewegung als auch Hauptanliegen. Toni legt Revision gegen den Freispruch für Yasser ein, zieht den Prozess vor ein höheres Gericht und spätestens mit dem Einschalten des bekannten und ebenfalls nationalistischen Anwalts Wajdi Wehbe ist die Verhandlung sofort ein Stellvertreterkonflikt – stellvertretend für all die Vorurteile und Ungerechtigkeiten, die die libanesische Gesellschaft durchziehen. Wehbe zäumt seine Verhandlungsstrategie vor allem über seine rechte Ideologie und festgefahrenen Vorurteile gegenüber palästinensischen Flüchtlingen auf; schnell füllen sich die Bänke des Gerichtssaals mit lautstarken Unterstützern – und die Straßen Beiruts werden von gewaltsamen Protesten beider Lager heimgesucht. Wenn Doueiris Kamera zum Schluss die Skyline Beiruts überfliegt und damit ein Gefühl des Überblicks herstellt, wird deutlich, dass der Film seine Erzählung ebenfalls stellvertretend verstanden wissen will – als Metapher für das heutige Libanon, eine Nation als Pulverfass mit kurzer Lunte, an der die Vergangenheit nicht aufhört herumzuzündeln.

Kino im Präsentationsmodus

Obwohl Der Affront sich weigert, klar Stellung für eine Seite zu beziehen, ist er in seiner Betrachtung nicht ergebnisoffen. Dafür ist er zu durchkonstruiert und verpasst kaum eine Chance, die Gerichtsverhandlung durch dramatische Wendungen noch weiter zu emotionalisieren. Doueiri hat stattdessen einen Film gedreht, der genau weiß, wo er hinwill, schon vorher herausgefunden hat, welche Mechanismen für die Eskalation entscheidend sind. Kino wird hier nicht als analytisches Werkzeug gedacht, sondern wirkt wie die Präsentation von Ergebnissen einer bereits vor dem Film abgeschlossenen Untersuchung der Gesellschaft. Diese Präsentation erzählt dann nicht nur von einer nie aufgearbeiteten Vergangenheit oder von hysterischen Medien, sondern vor allem von einem Land, das sich generell eher von Emotionen leiten lässt als sich für die Wahrheit zu interessieren. „Muss ich mich entscheiden zwischen Stabilität und Ehrlichkeit, entscheide ich mich für die Stabilität“, fasst es der libanesische Präsident im Film zusammen.

Sehnsucht: Europa

Die schönste Pointe von Der Affront liegt allerdings gar nicht auf dem Präsentierteller, sondern scheint viel subtiler an nur wenigen Stellen durch. Vor allem bewahrt sie den Film vor dem Schicksal, reine Lagebesprechung einer Nation zu sein, die eine westliche Zuschauerschaft über das vermeintlich hitzige Gemüt des Nahen Ostens informiert. Bei allem, was Toni und Yasser trennt, ist es ihre Abneigung gegenüber Nachahmungen europäischer Markenprodukte, die beide verbindet. „Besser gebraucht deutsch, als neu chinesisch“, wird ein Angestellter von Toni ermahnt, der sogar eine kleine Deutschland-Flagge in der Werkstatt hängen hat. Überhaupt spannt sich ein kleiner Europa-Kult über Doueiris Film, und so wird mal von der langen Garantie italienischer Farbe, mal den großzügigen Sozialleistungen Norwegens geschwärmt. In diesem Europa scheint man keinerlei neue Eskalationsstufen zu vermuten – vielleicht die Momente, in denen man sich am allerwenigsten für die Wahrheit interessiert.

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